© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    26/02 21. Juni 2002

 
"Tötet die Schuldigen"
Oper: Richard Wagners "Parsifal" im Staatstheater Kassel
Konrad Pfinke

Woran wirtschaftet Gurnemanz?" Auch dieser Frage stellte sich der kürzlich verstorbene Einar Schleef, der vor einigen Jahren eine nicht zustande gekommene "Parsifal"-Inszenierung für die Nürnberger Oper vorbereitete, in seinem monumentalen Werk "Droge Faust Parsifal". Der Besucher der Kasseler Neuinszenierung erfährt recht schnell, woran man mit Gurnemanz ist - und er erfährt Dinge, die er, im dunklen Licht der "Parsifal"-Geschichte betrachtet, so schon bei Schleef bedacht fand: Der Gral oder Die Welt aus Blut und Gewalt.

Der Regisseur Sebastian Baumgarten, der bereits einige erhellende, rätselhaft verdunkelte Inszenierungen großer Opern in Kassel verantwortet hat, nimmt auch den "Parsifal", Wagners problematischstes Stück, blutig ernst. Baumgarten hat das Stück auf seine barbarischen und rituellen Urgründe durchleuchtet. Daß es sich beim Männerbund um eine erstarrte Gesellschaft handelt, deren Frauenverachtung zum Untergang führen muß, hat sich ja inzwischen herumgesprochen - aber Baumgarten bringt die Gewalt, die diesem Stück gerade in den Ordensszenen auch musikalisch zu eigen ist, offen auf die Bühne. Daß Amfortas in einer vampiristischen Aktion brutal angezapft wird, daß dessen Blut von den Rittern - als wären sie dem Drogenrausch verfallen - gesoffen wird, bringt das Bild des Blutsaugens vielleicht ein wenig zu deutlich, doch szenisch sinnfällig, auf jeden Fall erschreckend auf die Bühne. Wenn Titurel eine junge, zudem noch als Muslimin charakterisierte Frau in einer blasphemischen, aufwühlenden Zurschaustellung dem kranken König präsentiert, verschränken sich die Gewalt, das Begehren und die "Sünde", die man(n) nur mit Gewalt von sich abhalten kann.

Ansonsten befindet man sich hier im öden, mit Tierattrappen ausstaffierten Wartesaal des Grals, in dem der Königsmacher Gurnemanz als graue Eminenz den Parsifal inszeniert: vom Strampelanzug zur Machtübernahme. Da verwundert's nicht mehr, daß bereits im ersten Moment mit blutigen Schwänen operiert wird, daß die Knappen nur "mitspielen", weil sie vom Chefideologen Gurnemanz in Trance versetzt wurden, daß Klingsor nur ein lächerlicher Zauberer ist, dessen Blumenmädchen als gespenstische Gliederpuppen, Typus blondes Mädel, im aseptischen Blumenladen den hysterischen Pseudo-Helden bedrängen.

Am Ende wird doch noch alles gut: Gurnemanz inszeniert den faulen Karfreitagszauber nach seinem Regieplan, Parsifal hat seinen Job erledigt, indem er Kundry - die Frau, die ewige Wunde des Mannes - getreu seinem Motto "Tötet die Schuldigen" erstochen und das Entlassungsdekret für den alten König unterschrieben hat. Nun darf er, der vordem schon sichtlich überfordert war mit seiner Rolle, wieder seine Papierflieger basteln, mit denen er schon während der ersten Gralszeremonie das junge, hübsche Mädchen bedacht hat. Alles scheint ein Spiel, wenn auch kein Bühnenweihfestspiel.

Sebastian Baumgarten hat das Machtspiel, das im "Parsifal" über alle psychologische Wahrscheinlichkeit siegt, so emst genommen, daß es schmerzt. Wieder bleibt es faszinierend, wie sehr die symbolistisch angehauchten Kunst-Bilder mit ihren Verweisen auf die Gegenwart von der Musik getragen werden, und dies wohl auch, weil Wagners "letzte Karte" einen zutiefst inhumanen Keim enthält. Aktuell geblieben ist an ihm die Darstellung der blutigen Maschinerie eines Kulturkampfs, den Baumgarten in zuweilen erschreckend eindringlichen Bildern auf die Bühne gestellt hat.

Unter Kassels Generalmusikdirektor Roberto Paternostro klingt die Partitur denn auch sehr schlank, sehr theatralisch und klar. Gerhard Siegel stemmt den Parsifal eindrucksvoll, gerade im zweiten Akt, in forcierte Höhen, die im letzten Akt ihren Tribut fordern. Lona Culmer Schellbachs Kundry ist mit ihren Spitzendetonationen leider nicht ganz so klangschön, wie es die Partie erfordert. Ganz hervorragend, absolut bayreuthverdächtig: Hans-Peter König als Gurnemanz, mit seiner wunderbar klaren Diktion, seiner interpretatorischen Intelligenz und der tiefen Wärme seines Basses. Daß nur die Musiker einhelligen Beifall erhielten, muß nicht verwundern: Baumgartens Deutung eines schwierigen Stücks wird solange umstritten sein, wie Wagners letztes Stück nicht zu Ende gedacht wird.

Die nächsten Aufführungen im Opernhaus Kassel, Friedrichsplatz 5, finden statt am 30. Juni sowie am 3. und 6. Juli. Info: 05 61 / 10 94-0 E-Post: info@staatstheater-kassel.de  


 
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