© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    26/02 21. Juni 2002

 
Über den ursächlichen Zusammenhang
Der Historiker Ernst Nolte nähert sich in seinem neuesten Werk seinem wissenschaftlichen Leitthema aus verschiedenen Perspektiven
Stefan Scheil

Eine Einschätzung von Günter Maschke kennzeichnet Ernst Nolte als einen jener "Unbelehrbaren", die diesen Status ihrem Wissen verdanken: Es ist umfassender als das der Oberlehrer und entzieht sich deshalb ihrer Pädagogik.

Bekannt geworden ist Nolte mit seiner Beobachtung, es gäbe eine nicht allein bestimmende, aber ursächliche Verknüpfung zwischen der kommunistischen Ideologie und dem später entstehenden Faschismus. Daraus sei eine Verbindung zwischen den Verbrechen der real existierenden Sowjetunion und dem Nationalsozialismus geworden, was Nolte unter dem Begriff "Der kausale Nexus" zusammengefaßt hat.

Der Titel seines neuen Buchs greift dieses Leitthema seiner wissenschaftlichen Arbeit zu Recht auf. In den dort versammelten Beiträgen aus den letzten zehn Jahren ist es immer präsent, obwohl Nolte sich ihm auf unterschiedliche Weise annähert. Bemerkungen über "Revisionen und Revisionismus" sind ebenso zu finden wie ein längerer Aufsatz über die "Armeniergreuel" in der Türkei während des Ersten Weltkriegs oder Betrachtungen zu "Europa vor der Jahrtausendwende." Fast alle Texte werden zum ersten Mal in Deutschland publiziert. Trotz des breiten Spektrums bilden die Beiträge eine Einheit, was neben dem unterschwellig verbindenden Thema vorwiegend an Noltes Stil liegt. Es ist jederzeit sein Anliegen, den Gang der Dinge wirklich zu verstehen, und deshalb nimmt er sie auf eine heutzutage ungewöhnliche Weise ernst. Er gesteht den Marxisten wie den Nationalsozialisten zu, daß ihren Taten und Überzeugungen ein "verstehbarer Kern" zugrunde gelegen hat. In diesem Zusammenhang geht er auch Dingen wie der von den Nationalsozialisten behaupteten engen Verbindung zwischen Judentum und Marxismus nach, "die als solche offensichtlich verfehlt ist, die aber doch ein Stück des Richtigen oder mindestens Verstehbaren enthält, so daß sie nicht von vornherein und ohne Prüfung zurückgewiesen werden darf."

Mit dem Mut zu solchen Aussagen hat er sich innerhalb des bundesdeutschen Debattierbetriebs den Ruf eines "umstrittenen" Autors zugezogen, denn nur allzugern haben manche Kritiker Verstehen mit Verständnis verwechselt und dann auf Billigung oder wenigstens "Verharmlosung" geschlossen. Es folgten die üblichen Begleiterscheinungen, zu denen neben Noltes Rolle als Reizfigur im Historikerstreit der achtziger Jahre auch die spätere Aufkündigung der Zusammenarbeit seitens einer gewissen "Zeitung für Deutschland" gehört, ebenso wie Proteste gegen Noltes öffentliche Auftritte.

Der "kausale Nexus" ist auch ein Rückblick auf die letzten vier Jahrzehnte, in denen Nolte seinen Platz unter den deutschen Historikern behauptet hat. Auf diesem Weg hat sich seine Umgebung mehr verändert als Nolte selbst, der seine Position konsequent weiterentwickelte. Befruchtet hat er die Zunft in diesen Jahren, voll angenommen hat sie ihn nicht. Schon sein Erstling, der "Faschismus in seiner Epoche" wurde "außerhalb allen Zusammenhangs mit der akademischen Geschichtswissenschaft geschrieben", wie er selbst sagt und fand auf Initiative Theodor Schieders die Anerkennung als Habilitationsschrift.

Bezeichnenderweise ist Schieder inzwischen selbst posthum in die Reihen der Umstrittenen aufgenommen worden, obwohl oder gerade weil er in den sechziger Jahren einer der Granden der deutschen Historiker gewesen ist. Dazu reicht es aus, daß er auch während der NS-Zeit veröffentlicht hat und somit unter jenem Generalverdacht steht, der die Bundesrepublik der Nachkriegszeit im Bewußtsein mancher Junghistoriker mittlerweile zur Spätform des Dritten Reichs verzerrt hat.

Nolte erkennt die gegenwärtige Erinnerungs- und Schuldkultur als europäische Erscheinung, eigentlich als Phänomen des Westens insgesamt. Was innerhalb Europas besonders in Deutschland skurrile Züge angenommen hat, das gibt es auch in Australien, wo sich die gesamte weiße Bevölkerung dafür schuldig zu fühlen hat, daß ihre Vorfahren die auf Steinzeitniveau lebenden Ureinwohner beiseite geschoben haben. Zunehmend wird die Kolonisierung Lateinamerikas unter dem Aspekt der damit verbundenen Aggression gesehen und afro-amerikanische Organisationen bringen eine billionenschwere Schadenersatzforderung wegen des Sklavenhandels vor. Die Geschichte der Europäer sieht sich als ganzes einer Anklage gegenüber, die auf ihre Substanz zielt. Nolte hält dies weder für sinnvoll noch für gerechtfertigt: "Ein okzidentales Kulturbewußtsein ist heute sicherlich ebensowenig ohne Selbstkritik möglich wie ein deutsches Nationalbewußtsein, aber es muß nicht notwendigerweise selbstzerstörerisch sein, denn ohne grobe Einseitigkeiten und die Verleugnung historischer Tatsachen ist eine solche Selbstzerstörung und Selbstverwerfung nicht möglich." Gegen diese Einseitigkeiten wendet er sich. Es ist Aufklärung im besten Sinne des Wortes, wenn Nolte auf "Historische Tabuisierungen in Deutschland" aufmerksam macht und solche tabuisierten Zusammenhänge mit drastischen Zitaten sichtbar machen kann. Dieser Befund bleibt von Kritik in Einzelfragen unberührt, denn an manchen Punkten konzentriert er sich vielleicht zu sehr auf die ideologischen Konflikte des "europäischen Bürgerkriegs", wie er die Zeit zwischen 1917 und 1945 nennt.

Die Nationalstaaten stellt er entschieden in die zweite Reihe, obwohl deren Gegensätze diese Jahre entscheidend mitgeprägt haben. So entstand die Weltkriegskoalition gegen Deutschland ja auch im Zweiten Weltkrieg fast unverändert wieder neu, trotz allen ideologischen Wandels. Aber solche Einwände trüben nicht den positiven Gesamteindruck, den auch diese Veröffentlichung Noltes wieder hinterläßt.

Ernst Nolte: Der kausale Nexus. Revision und Revisionismus in der Geschichtswissenschaft. Herbig Verlag, München 2002, 320 Seiten, geb., 29,90 Euro


 
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