© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    26/02 21. Juni 2002

 
Meister des Terrorismus
Oliver Schröm dokumentiert die Kontakte zwischen deutschen "Revolutionären Zellen" und dem Top-Terroristen Carlos

Es gibt nur wenige Terroristen, die sich schonungslos mit ihrem eigenen Irrweg auseinandergesetzt haben. Zu diesen seltenen Exemplaren gehört das frühere Mitglied der "Revolutionären Zellen" (RZ), Magdalena Kopp, die außerdem die Geliebte des Venezolaners Ilich Ramirez Sanchez alias Carlos, Mutter ihrer gemeinsamen Tochter und spätere Ehefrau dieses in den siebziger, achtziger und neunziger Jahren weltweit meistgesuchten Terroristen war.

Der Journalist Oliver Schröm, der bislang eher durch triviale Enthüllungsliteratur über Spendenskandale und angebliche "Netzwerke alter und junger Nazis" hervorgetreten ist, recherchierte mehr als sechs Jahre im Umfeld der Terrorgruppe "Organisation Internationaler Revolutionäre" (OIR) und legt nun eine spannend und präzise geschriebene Dokumentation des internationalen Terrorismus vor.

Bereits 1995 hatten der ARD-Redakteur Fritz Schmaldienst und der ehemalige Nachrichtendienstler Klaus-Dieter Matschke in "Carlos-Komplize Weinrich" die Spuren dieses Top-Zirkels der Terror-Szene aufgenommen. Schröm knüpft daran an, beleuchtet aber erstmals die verhängnisvolle Rolle der "Revolutionären Zellen", die im Gegensatz zur terroristischen "Roten Armee Fraktion (RAF) kein Gesicht hatten. Die "Feierabendterroristen" der RZ führten ein gut getarntes bürgerliches Leben, waren in Wahrheit aber äußerst gefährlich. So war es durchaus kein Zufall, daß Carlos aus dieser Gruppe seine deutschen Mitstreiter rekrutierte. 1975 erlangte er mit seinem Überfall auf die Wiener Opec-Konferenz traurige Berühmtheit. Im Auftrag der "Volksfront für die Befreiung Palästinas" (PFLP), des rumänischen Geheimdienstes "Securitate" und mit tatkräftiger Unterstützung offizieller irakischer, syrischer und libyscher Behörden mordete und bombte sich die OIR, deren Hauptquartier sich in Budapest befand, durch Europa. 1981 wird der Sender "Radio Freies Europa" in die Luft gesprengt, wobei acht Mitarbeiter zum Teil schwer verletzt werden. Zwei Jahre später detoniert in West-Berlin eine Bombe vor dem französischen Kulturzentrum "Maison de France". Der Anschlag fordert einen Toten und 23 Schwerverletzte. 1985 ermordet Carlos in Anwesenhenheit von Johannes Weinrich in Damaskus den "Verräter" Gerd Albertus, ein Frankfurter RZ-Mitglied, das angeblich ohne Wissen des "Chefs" mit der Stasi zusammengearbeitet haben soll. Die RZler erfahren erst Jahre später von dem Mord an ihrem Genossen.

Nachdem sich Anfang der neunziger Jahre die Ostblock-Geheimdienste aufzulösen begannen, weigerten sich Syrien und Libyen, Carlos, Kopp und Weinrich weiterhin zu beherbergen. Im Sudan findet der zum Islam übergetretene Carlos ein neues Domizil. Aber der französische Geheimdienst ist ihm auf den Fersen, und in einer Nacht- und Nebel-Aktion wird der Terrorist im August 1994 von einem sudanesischen Spezialkommando überwältigt und an Frankreich übergeben. Noch von seiner Pariser Gefängniszelle aus beauftragt er Magdalena Kopp, seine Verhaftung durch Anschläge zu rächen. Kopp kehrt jedoch 1995 freiwillig nach Deutschland zurück, um sich zu stellen. Heute lebt die arbeitslose Sozialhilfeempfängerin gemeinsam mit ihrer Tochter in einem Reihenhaus in Neu-Ulm. Carlos, der den Anschlag vom 11. September 2001 lautstark als Fortsetzung seines Kampfes begrüßte, führt eine regelmäßige Korrespondenz mit dem venezolanischen Staatspräsidenten Hugo Chavez, schreibt Kolumnen für die Zeitung La Razon (Die Vernunft) und beabsichtigt, demnächst seine französische Anwältin zu heiraten. Werner Olles

Oliver Schröm: Im Schatten des Schakals - Carlos und die Wegbereiter des internationalen Terrorismus. Chr. Links Verlag, Berlin 2002, 334 Seiten, 17,90 Euro


 
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