© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    26/02 21. Juni 2002

 
Verbale Attacken gegen den Wiener Vetter
Jugoslawien in der Tito-Ära: Drohgebärden gegen die Alpenrepublik hatten Tradition
Andreas Graf Razumovsky

In den Siebzigern des vorigen Jahrhunderts sah sich der Staatschef Jugoslawiens, "Marschall" Tito, wieder einmal vor ernsten Schwierigkeiten mit den Sowjets. Er hatte sich 1967 von den Altstalinisten Novotnys in Prag als großen Staatsmann und Wegweiser zu einem eigenen, unabhängigen "Weg zum Sozialismus" empfangen lassen, und er bereitete eine gegenüber Moskau noch viel provokantere Tat vor: eine Versöhnungs- und Freundschaftsreise nach Peking - damals die gefährlichsten Feinde der "Breschnjew-clique".

In jenen Jahren galt Tito nicht zuletzt an den deutschen Hochschulen und bei den meisten Medien als bedeutender Theoretiker des Marxismus und des "gesellschaftlich fortschrittlichen" Mythos der "Arbeiterselbstverwaltung". Der Klett-Verlag bereitete eine vielbändige Ausgabe der gesammelten Reden und Aufsätze des Staatsmannes vor. Es hat seither wieder einiger Jahrzehnte bedurft, bis 1998, diesmal bei Rowohlt, das von Gunnar Heinsohn (Universität Bremen) erarbeitete "Lexikon der Völkermorde" Josip Broz Tito unter die sechszehn diesbezüglich effizientesten Praktiker gereiht hat - noch etliche Positionen vor so bewährten Politmafia-Bossen wie Ante Pavelic oder Slobodan Milosevic, als Urheber jener "Ausmordungsaktionen, die am Ende zur genozidalen Ausgestaltung der Auflösung Jugoslawiens in den neunziger Jahren" geführt hätten.

Österreich war das neue Feindbild Titos

1971-72 hatte sich, aus dem Tonfall bestimmter Kommentare in den Medien zwischen Laibach (Ljubljana) und Skopje deutlich ablesbar, das dringende Bedürfnis Belgrads ergeben, einen Feind im Westen auszumachen. Keineswegs um einen zuletzt etwa gefährlichen Konflikt zu provozieren; auch nicht sosehr, um ernsthaft das Mißtrauen der Russen zu beschwichtigen, das hatte man schon längst aufgegeben. Aber doch umso mehr, um ihnen vorweg jeden Anlaß oder eher Vorwand im hohen Rate des Warschauer Paktes zu nehmen, der da unvermeidlich gelautet hätte, die Jugoslawen verließen nun doch den Weg vom Sozialismus zum Kommunismus und verrieten "die Revolution".

Um ein entlastendes Exempel zu statuieren, war Titos Wahl auf Österreich gefallen: in dem kleinsten der benachbarten Staaten funktionierte Titos im Westen wirksamste Waffe: die durch keinerlei Zweifels Blässe getrübte blindwütige Bewunderung der Medien, die mit der schnodderigen Besserwisserei jede Kritik an Jugoslawien in den eigenen Reihen - und sogar eine besonnene Haltung ihrer Regierungen jahrzehntelang unterbunden haben. Für ein nachgeholtes balkanisches Hühnchenrupfen, bot sich Österreich ja förmlich an, aus dem man schon seit den vierziger Jahren, wie schon in den Zwanzigern das südliche "traditionell slawische" Kärnten, mit Hilfe Stalins (die freilich schon ab dem Juni 1948 allenfalls ins Gegenteil umgeschlagen wäre) vergeblich hatte "heimholen" wollen. Provisorisch aus dem Fadenkreuz des antifaschistischen Kampfes geschwunden, stellte Österreich in der Ära des ruhmsüchtigen Bruno Kreisky (SPÖ), mit seiner noch recht frischen immerwährenden Neutralität, mit seiner verglichen mit der jugoslawischen Armee militärischen Hilflosigkeit, das billigste Demonstrationsobjekt. Wenn auch im Belgrader Politbüro, den dortigen Außen- und Verteidigungsministerien und am Hofe des Marschalls und Alleinherrschers wohl niemand im Ernst an einen bewaffneten Konflikt mit Kreiskys Nachbarland geglaubt hat, so hat es den servilen Sprüchemachern bei politischen, sportlichen und kulturellen Anlässen, aber den jeweils der neuesten "Linie" aus Belgrad immer sehr rasch folgenden Medienleuten, evident unverhohlenes Vergnügen bereitet, die Österreicher zu demütigen. Vor allem der damals gerade seinen Karrieregipfel ersteigende, in Jassir Arafat einen "Freund fürs Leben" gefunden habende Bundeskanzler Kreisky hat den Hohn der Kommentatoren erregt. Daraufhin erschien in der slowenischen Parteizeitung Delot 1972 eine Karikatur des Bruno Kreisky, in SA-Uniform, mit krummer Nase und Hakenkreuzen am Ärmel. Für manchen der gewiegten Taktiker des Politbüros geriet die grelle Verhöhnung Kreiskys zu einem fast offen ausgekosteten Vergnügen; allen voran für den Slowenen Edvard Kardelj, dem ewig zweiten Mann. Als erster Außenminister des im Namen der "Revolution" 1945 neu errichteten, nach allen Himmelsrichtungen, nach Italien, Albanien und Österreich zur Expansion entschlossenen Jugoslawien hat der schon in dieser Funktion ideale, von Milovan Djilas in seiner "Neuen Klasse" genau porträtierte Kardelj, der ebenso bürokratische wie chauvinistische Hasser des k.u. k. Österreichisch-ungarischen "Völkerkerkers", zu den fanatischen Ausrottern sowohl der katholischen, slowenischen, antistalinistischen "Domobranci", wie, nicht weniger blutig, der deutsch-österreichischen Minorität gehört. Kardelj war es, der "im Befreiungskrieg" das altösterreichische Auerspergische Schloß Gottschee mit all den Kunstschätzen in Brand gesteckt, die Bevölkerung der deutsch-österreichischen Enklave dort teils umgebracht, teils über die Grenzen verjagt hatte, wie Djilas es in seinen Memoiren festgehalten hat: ihm bereitete die Verhöhnung Kreiskys ein fast offen ausgekostetes Vergnügen; im Gegensatz zu Tito selbst, dem kalt abgebrühten, in weiteren Horizonten und Folgerichtigkeiten denkenden virtuosen Macchiavellisten, der ein paar Jahre später in Wien einen freundschaftlichen Besuch abstattete und sich nicht genierte, sich vom damaligen Bundeskanzler Josef Klaus, ganz ohne antisemitische oder antifaschistische Sottisen, post festum den Antrag seines Regimentskommandeurs für eine k.u.k. Tapferkeitsmedaille von 1916 aushändigen zu lassen, Souvenir aus einer Zeit, als der Kroate Tito als wackerer Artillerist mit seinem Regiment mitmachen durfte, seine künftige Residenz, die damals noch feindliche königlich-serbische Hauptstadt Belgrad in Brand zu schießen.

Auf dem Balkan sprach man von einer "slawischen Rasse"

Damals, im Ersten Weltkrieg, waren die Gewichte noch anders verteilt: Der prominenteste Slowene war ein Professor namens Bogumil Vosnjak, ein Kämpfer für die "slawische Rassereinheit". Schon 1917 begeisterte er sich in einem Buch für die "natürliche ausgezeichnete Gesundheit dieser Rasse", die freilich "im Norden (in Kärnten) durch die teutonische Korruption angegriffen" sei; dies aber werde sich im neuen südslawischen Bruderstaat ändern, da "die slowenische Nation nicht durch rassische Degeneration gefährdet" sei. Der "Literat und Diplomat" Vosnjak gab mit solchen Sätzen die panslawische, in Slowenien zumindest seit 1848 gepflegte Ideologie preis, die schon in der späteren Tito-Zeit kaum auf übertriebenen Enthusiasmus gestoßen ist. Aber auch der letzterwählte slowenischen Jünger Titos, Stane Dolanc, hat solche Wortspenden nicht mehr für ratsam gehalten. Das waren die siebziger Jahre, als man in Laibach keine kyrillisch gedruckte Zeitung aus Belgrad erhielt, im Restaurant besser deutsch als serbisch bestellte, und in dem vermeintlich unverfänglichen Küchengärtlein der Kultur seltene Kräutlein, bizarre nationale Mythen pflegte, wie den einer 300 Jahre alten "Laibacher Philharmonie", der Beethoven höchstselbst seine Pastorale gewidmet hätte. Dolanc kam von der Staatspolizei, hatte sein perfektes Deutsch als Hitlerjunge erworben (etwa gleichzeitig mit dem späteren sozialistischen Kärntner Landeshauptmann Wagner) und wäre bis zuletzt Titos Stellvertreter, sogar potentieller Nachfolger geblieben, wenn nicht der damalige Bonner Oppositionsführer Helmut Kohl (CDU) nach seinem Besuch in Belgrad tiefsinnig gesagt hätte, dieser Dolanc könnte als Gesinnungsgenosse jederzeit in der CDU/CSU eine führende Position einnehmen: habe der doch ihm einleuchtend dargetan, Belgrad und Tito selbst hätten gar nichts gegen den Westen, man wisse sehr wohl daß man von dort nichts zu fürchten habe, wohl aber drohe immer noch unvermindert die Gefahr aus Moskau. Dolanc hatte, wie damals in Belgrad verlautete, unter anderem auf den vom slowakischen General Sejna 1968 an den Westen verratenen Aufmarschplan "Polarka" verwiesen, der die Armeen des Warschauer Paktes quer durch Österreich geführt hätte, um in Jugoslawien gerade noch rechtzeitig einen weiteren Verrat an den "Errungenschaften der Revolution" zu unterbinden.

Ob Dolanc 1971/72 als hoher Staatssicherheitsmann in Laibach Titos Beauftragter für die endlich zu befreiende slowenische Minorität in Koroska (Kärnten) fungiert hat, wie später in Belgrad behauptet wurde, werden dortige Historiker zu klären haben. In vielen Dörfern erwachte 1971 und 1972 ganz spontan, nach jahrzehntelangem Dornröschenschlaf, der Widerstand, der "Otpor", gegen die Knechtung der Leute aus Dunaj (Wien) und in Celovec (Klagenfurt).

Nach den jüngsten Auseinandersetzungen um und in der Kärntner Ortstafelfrage würde man gerne dem österreichischen Diplomaten aus slowenisch-kärntnerischer Familie, Valentin Inzko, folgen, der erwartet, daß denn doch die seit dem letzten diesbezüglichen "Krieg" verflossenen dreißig Jahre die Gemüter auch relativ simpler Heimat- und Scholle-verbundener Patrioten hinlänglich abgekühlt haben müßten. Genau das wird Gegenstand des Interesses jener Beobachter bleiben, die sich nicht so ohne weiteres mit den Leidenschaften der duolingualen Kämpfer gegen die Einsprach-Krieger identifizieren können. Wie lange lassen sich die Emotionen über die Generationen weiter politisch verwerten, vor allem in bewährter Weise für den Zusammenhalt der zur widerwilligen Solidarität gegen den Feind genötigten Nation, wie wirksam wird der Transmissionsriemen der Urangst das politische Werk noch antreiben, wenn hinter deren professionellen Schürern auf beiden Seiten keine plausibel drohende Macht mehr steckt?

Der Balkan ist nicht zu vergleichen mit der Schweiz

Es soll uns freuen, daß es Leute gibt, die da die Antwort parat haben und an diese bereitwillig erteilte Belehrung auch glauben, daß nämlich etwa die schweizerische Nationalitätenpolitik überlegen sei der kärntnerischen; dabei aber bedauerlicherweise übersehen, daß die politische Entfaltung Kärntens und seiner jugoslawischen Nachbarn weniger auf einem dickschädeligen Rütlischwur wehrhaft-freisinniger zentraleuropäischer Eidgenossen, denn auf den keineswegs weniger soliden Traditionen - definieren wir sie als vergleichsweise merowingisch - des Balkan beruhen: daß also die Attitüde der Slowenen, beginnend mit dem Moment, an dem sie sich befreit haben aus dem alten Habsburgischen "Vielvölkerkerker", um sich umarmen zu lassen von ihren südslawischen Brüdern, sich gewandelt hat: allzu sehr hat sie sich mißbrauchen lassen von den Fanatismen und Radikalismen des doch nur cum grano salis geographisch zu Europa gehörigen Balkan: als dessen unerfreuliche Ausbeulung, von unten in den weichen Unterleib Europas hinein.

 

Prof. Andreas Graf Razumovsky war langjähriger Auslandskorrespondent der FAZ. Er lebt in Wien.


 
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