© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    27/02 28. Juni 2002

 
"Die Diskussion bei uns ist freier"

Peter Skaarup, Europapolitiker und Vizechef der Dänischen Volkspartei, über Einwanderung und den EU-Gipfel von Sevilla
Moritz Schwarz

Herr Skaarup, Sie sind der stellvertretende Vorsitzende und immigrationspolitische Sprecher der europakritischen Dänischen Volkspartei. Was halten Sie für die wichtigsten Ergebnisse des EU-Gipfels von Sevilla am vergangenen Wochenende, wo es vor allem um das Probelm der Einwanderung ging?

Skaarup: Es ist überhaupt ein Fortschritt, daß das Thema Einwanderung endlich einmal an die Spitze der Agenda in der EU gesetzt worden ist. Natürlich ist klar, daß man auf rein europäischer Ebene nicht allzuviel zur Lösung dieses Problem tun kann. Die entscheidende Ebene ist die der Nationalstaaten, und diesbezüglich ist das Treffen von Sevilla grundsätzlich zu begrüßen.

Die europäischen Staatschefs konnten sich allerdings nicht dazu entschließen, die Möglichkeit der Verhängung von Sanktionen gegen Staaten zu beschließen, die sich bei der Bewältigung des Problems der Einwanderung nach Europa nicht kooperationswillig zeigen.

Skaarup: Das bestätigt unsere Auffassung, daß die einzelnen Staaten Europas selbst handeln müssen.

Schwedens Ministerpräsident Göran Persson nannte den Vorschlag, der übrigens auch von Deutschland unterstützt wurde, eine "dumme Idee".

Skaarup: Schweden hat noch immer nicht die Tragweite des Problems erkannt, die Regierung dort lebt ganz offensichtlich, was die Einwanderungsfrage betrifft, auf einem anderen Stern. Dänemark jedenfalls ist unter den europäischen Nationen eines der Länder, das am meisten für Entwicklungshilfe aufwendet: nämlich über ein Prozent unseres Bruttosozialproduktes. Also ist es verständlich, daß wir nicht damit einverstanden sind, wenn die Entwicklungsländer uns nun ihre Einwohner "schicken". Natürlich stehen wir auf dem Standpunkt, daß solche Länder ihre Auswanderer zurücknehmen müssen oder wir unsere Zahlungen einschränken werden, auch wenn andere so etwas für eine "dumme Idee" halten.

Befürworten Sie auch Sanktionen gegen Dritt-Staaten, die bei der Begrenzung der Einwanderung nicht kooperieren?

Skaarup: Grundsätzlich ja, natürlich muß man aber jeden Fall einzeln beurteilen. Doch wir halten das für ein gutes Mittel, um in dieser Frage zu erreichen, die Interessen der Europäer zu wahren.

Welche Mittel können Sie sich zu diesem Zwecke vorstellen?

Skaarup: Vom Kürzen von Subventionszahlungen, wie schon gesagt, bis zum Ausüben diplomatischen Drucks, sollten die zur Verfügung stehenden Mittel ausgenutzt werden.

Zum Beispiel?

Skaarup: Nach Dänemark kommen unter anderem jedes Jahr viele tausend Menschen aus dem Irak. Der Hohe Kommissar für Flüchtlingsfragen der Vereinten Nationen hat festgestellt, daß es möglich ist, diese Leute zu repatriieren. Doch die Türkei - dies würde über ihre Grenze geschehen - stellt sich quer. Die Türkei ist Mitglied der Nato, sie will Mitglied der EU werden - es sollte also möglich sein, auf die Türken entsprechenden diplomatischen Druck auszuüben, um sie dazu zu bewegen, uns bei der Lösung unserer Probleme in Europa zu unterstützen.

Göran Persson nennt die neue Ausländerpolitik der dänischen Regierung, die von Ihrer Partei toleriert wird, zudem "inhuman und asozial".

Skaarup: Schweden hat in der Tat sehr verärgert auf die Verschärfung unserer Einwanderungs- und Asylpolitik reagiert. Ich glaube allerdings, darin kommt lediglich die Furcht der schwedischen Regierung zum Ausdruck; denn sie selbst hat es bislang versäumt, das Problem in Schweden anzupacken.

Man hat Angst, die Politik des Nachbarlandes Dänemark könnte vom schwedischen Volk als vorbildlich betrachtet werden?

Skaarup: In Schweden versucht man die Debatte unter der Decke zu halten. Ein Thema wie die Zuwanderung darf dort nicht grundsätzlich diskutiert werden. Ähnlich war es in den achtziger und neunziger Jahren auch bei uns in Dänemark. Heute ist die Diskussion bei uns freier, und ich glaube früher oder später läßt sich auch in anderen europäischen Ländern die Diskussion nicht mehr unterdrücken. Die Einwanderungsproblematik ist wohl die große Herausforderung des neuen Jahhunderts, davor kann man nicht ständig davonlaufen.

Warum hat sich in Dänemark die Atmosphäre gewandelt?

Skaarup: Einen gewissen Verdienst an dieser Veränderung in unserem Land hat sicherlich auch unsere Partei. Unsere Arbeit hat dazu beigetragen, daß die etablierten Politiker das Thema nicht länger ignorieren konnten. Das Problem der Schweden ist, daß sie gewalttätige Neonazi-Gruppen im Lande haben, die nicht nur Einwanderer, sondern sogar Presseleute angreifen, über die Szene schreiben. In Dänemark haben wir die Debatte zum Glück rechtzeitig liberalisiert, deshalb bleiben uns wohl solche Verhärtungen erspart. In Schweden dagegen ist die Diskussion derart politisch korrekt, daß zum Beispiel bei Gewalttaten, an denen Immigranten beteiligt sind, deren Herkunft in der Presse lieber unterschlagen wird. So etwas ist "ungesund".

Versucht man den Druck der political correctness nun von außen auf Dänemark auszuüben?

Skaarup: Natürlich versuchen uns gewisse Leute in Europa zu verunglimpfen, aber wir sind weder ausländerfeindlich noch extremistisch. Tatsächlich sind wir - wie Schweden im Prinzip auch - eine offene Gesellschaft. Allerdings ist eine offene Gesellschaft etwas anderes, als eine multikulturelle Gesellschaft.

Aus "schwedischer" Sicht wollen die Dänen ihren Wohlstand nicht mit den Menschen ärmerer Regionen teilen.

Skaarup: Wenn man ein so großzügiges Wohlfahrtssystem hat wie Dänemark, dann muß man es hegen und pflegen und darauf achtgeben, wer an diesem System partizipiert, sonst gerät es in Gefahr.

Experten vertreten die Meinung, der Einwanderungsdruck auf Europa sei beinahe zu groß, um seiner Herr zu werden.

Skaarup: Wenn uns das nicht gelingt, wird das zwangsläufig zu Spannungen führen, denn auch im relativ reichen Europa gibt es soziale Probleme, denken Sie an die Arbeitslosigkeit oder die Verletzlichkeit der Sozialsysteme.

Sehen Sie auch eine kulturelle Gefahr?

Skaarup: Natürlich, angesichts der europäischen Geburtenraten ist das eine erhebliche Gefahr. Wenn wir die Einwanderung nicht scharf begrenzen, werden wir unser Europa bald nicht mehr wiedererkennen.

Tony Blair will die königliche Kriegsmarine ausschicken, um Großbritanniens Küsten zu bewachen. Ein Vorschlag, von dem Sie allerdings nicht allzuviel halten.

Skaarup: Ich habe große Zweifel, was die Möglichkeit einer lückenlosen Kontrolle der europäischen Außengrenzen angeht. Dafür ist Europa einfach zu groß und unübersichtlich. Man kann die Küsten Europas nicht wie einen weißen Sandstrand von der Marine überwachen lassen. Was wir brauchen, sind langfristige Lösungen. Zum Beispiel eine verläßliche Repatriierungspolitik: Das heißt, es muß die Möglichkeit geben, Menschen die unter Umgehung der Gesetzte in europäische Länder eingereist sind, nach Hause zurückzubringen.

Der Einsatz von Überwachungs-Hochtechnologie, von Streitkräften und der Vorschlag eines gemeinsamen europäischen Grenzschutz-Korps lassen Kritiker immer wieder davon sprechen, Europa rüste zum Krieg gegen die Einwanderer.

Skaarup: Das sind polemische Vorwürfe, denn die Aufrüstung mit Hochtechnologie, Waffen und Sicherheitskräften richtet sich nicht gegen die Menschen, die versuchen, in Europa ein besseres Leben zu finden, sondern gegen jene, die versuchen, mit dem Einschleusen dieser Menschen Profit zu machen, indem sie sich an den Einwanderern bereichern und sie obendrein nicht selten in Lebensgefahr bringen. Wenn die Uno Kontingentflüchtlinge zuteilt, werden diese in Europa selbstverständlich aufgenommen. Es geht also nicht um einen Krieg gegen Fremde, sondern um den Kampf gegen Illegalität und Menschenschmuggel.

Es ist aufällig, daß die Politker der etablierten Parteien meist von "Kanalisierung" und "Steuerung" der Einwanderung sprechen. Warum kann mit Blick auf den Primat der Volkssouveränität nicht ganz klar die Forderung nach weitgehender Unterbindung von Einwanderung erhoben werden?

Skaarup: Es ist richtig, daß die Sprache vieler Politiker nur eine Diskussion über das "wie" zuläßt, aber keine demokratische Abstimmung darüber darstellt, wollen wir das überhaupt oder nicht. Natürlich werden immer fremde Menschen nach Europa kommen, aber von Einwanderung sprechen wir ja nicht, wenn mal 500 Moslems nach Kopenhagen kommen, sondern da geht es um Zigtausende von Menschen aus anderen Kulturkreisen; und da muß die Frage schon erlaubt sein: Wollen wir das überhaupt.

Die Fortschrittspartei, aus der 1995 die Dänische Volkspartei hervorgegangen ist, war zunächst eine liberale Protestpartei: Man wandte sich vor allem gegen Interventionismus und ausufernde Besteuerung durch den dänischen Sozialstaat. Nach einem Streit in der Fortschrittspartei spaltete sich die Volkspartei unter der heutigen Parteichefin Pia Kjærsgaard ab.Wieso?

Skaarup: Ein Teil der Fortschrittspartei meinte, man müsse mehr Bereitschaft zeigen, in der Politik Verantwortung zu übernehmen - aus diesem reformorientierten Flügel entstand schließlich die Dänische Volkspartei. Seit dem Entstehen der Fortschrittspartei hat sich in Dänemark viel geändert, und die Inhalte der Volkspartei sind natürlich zum Teil andere: So sind für uns heute die Einwanderung und die Europäische Union, - mit Blick auf die Frage nach Demokratie und Souveränität - und auch die Bewahrung der dänischen Identität, zentrale Herausforderungen für unsere politische Arbeit.

Sie werden immer wieder mit dem Vorwurf des Rechtsradikalismus konfrontiert.

Skaarup: Das ist richtig und es ist kompletter Blödsinn. Überlegen Sie: das würde bedeuten, daß es sich bei zwölf Prozent des dänischen Volkes - das ist unser Stimmenanteil - um Extremisten und Radikale mit Haß auf Ausländer handelt. Ich glaube aber, diese zwölf Prozent wären sehr unglücklich darüber, als Rassisten und Fremdenfeinde betrachtet zu werden.

Die Volkspartei selbst betrachtet sich weder als "links" noch als "rechts".Wie würden Sie die Partei einordnen?

Skaarup: Ich halte in der Tat dieses Links-Rechts-Schema für völlig altmodisch. Politik ist heute sehr viel komplexer, als die simple Aufteilung in "links" und "rechts". In vielen Punkten ist die Dänische Volkspartei "links" in anderen "rechts". Aber was ist mit Themen wie der "nationalen Souveränität"? Viele Parteien in Europa, die als "rechts" gelten, treten immer mehr nationalstaatliche Rechte nach Brüssel ab. Man sieht, das Muster paßt nicht mehr.

In Dänemark stehen linke und rechte Parteien zusammen gegen die "Mitte", wenn es um die Verteidigung der nationalstaatlichen Volkssouveränität geht. Ein Phänomen, das den Deutschen mit ihrer simplen politischen Landschaft beinahe unbekannt ist.

Skaarup: So ist es, es geht uns um Inhalte, nicht um ideologische Grabenkämpfe. Die Frage ist zum Beispiel: Wer entscheidet über unser Schicksal, Brüssel oder wir selbst.

Ihre Partei toleriert die Regierung von Ministerpräsident Anders Fogh Rasmussen. Sind sie mit der neuen, in Europa kritisierten Einwanderungs-Politik der Regierung zufrieden, oder fordern Sie weitere Verschärfungen?

Skaarup: Wir begrüßen die Initiativen der Regierung Rasmussen, aber es gibt natürlich auch Punkte, die wir kritisieren. Insgesamt ist es erfreulich, daß dieses Thema überhaupt endlich angepackt wird. Wir haben mit der Regierung vereinbart, sie noch ein weiteres Jahr zu unterstützen, um dann zu sehen, ob ihre Politik annehmbare Ergebnisse gebracht hat.

Sie üben immer wieder heftige Krtik an Brüssel, wie steht die Volkspartei exakt zur Europäischen Union?

Skaarup: Wir begrüßen die Zusammenarbeit der Nationen in Europa und sind auf jeden Fall für die Mitgliedschaft Dänemarks in der Nato und Europäischen Union, aber einen Transfer unserer Souveränität von Kopenhagen nach Brüsssel lehnen wir ab. Das geht zu weit!

Allerdings sind Sie selbst Mitglied des europäischen Konvent, der erst Anfang des Jahres eingesetzt wurde, um eine europäische Verfassung auszuarbeiten. Das ist der Weg in den Superstaat.

Skaarup: Das ist der Grund, warum wir daran teilnehmen: Wir wollen genau beobachten, was vor sich geht. Natürlich ist dieses Projekt nicht im Interesse der Menschen: In Dänemark halten höchstens zwanzig Prozent des Volkes eine Art Vereinigte Staaten von Europa für eine gute Idee.

Wie operiert Ihre Partei in der EU, angesichts dieses Zwiespaltes?

Skaarup: Wir sind nicht für eine gemeinsame europäische Armee oder ein vollwertiges europäisches Parlament, wir sind auch nicht der Meinung, daß die Welt eine weitere Supermacht - nämlich Europa - braucht. Aber das geht nicht nur uns Dänen so, das ist auch bei vielen der neuen Beitrittskandidaten der Fall. Die osteuropäischen Länder haben erst vor zehn Jahren ihre Souveränität von einer übermächtigen Union erkämpft. Es ist ein Irrtum zu glauben, daß diese Nationen, nur weil sie der EU beitreten wollen, automatisch für mehr Integration eintreten. Die meisten hoffen, mit diesem Schritt dazu beizutragen, ihre nationalstaatliche Identität zu festigen.

 

Peter Skaarup geboren 1964 in Århus/Jütland. Skaarup ist stellvertretender Vorsitzender der Dänischen Volkspartei, Abgeordneter des Folketing, des dänischen Parlamentes und Sprecher seiner Partei in Einwanderungsfragen. Seit Anfang 2002 ist er zudem Mitglied des Verfassungskonvents der Europäischen Union. Zunächst gehörte Skaarup der dänischen Fortschrittspartei an. 1995 gründete er mit der populären Pia Kjærsgaard und anderen die Volkspartei "Dansk Folkeparti", deren Generalsekretär er bis 1998 war. Seitdem ist er Abgeordneter in Kopenhagen.

 

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