© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    27/02 28. Juni 2002

 
Mit Volldampf nach Berlin
Schill-Partei: Auf Parteitag nun doch Antritt zur Bundestagswahl beschlossen / Hürden zur Bildung von Landesverbänden aus dem Weg geräumt
Peter Freitag

Nun also doch: Mit einer Mehrheit von 453 zu 386 Stimmen hat sich der Bundesparteitag der Partei Rechtsstaatlicher Offensive am vergangenen Samstag in Hamburg für das Antreten zur Bundestagswahl ausgesprochen. Damit sind die Querelen der vergangenen Wochen beendet, die zu Zerwürfnissen zwischen Parteivorstand und einigen Länderkoordinatoren geführt hatten.

Der Parteigründer und Vorsitzende Ronald B. Schill hatte in seiner Rede zuvor die Parteibasis noch aufgefordert, mit dem "Verstand statt dem Herzen" abzustimmen, und sich gegen eine Teilnahme an der Bundestagswahl ausgesprochen, da Zeit und Geld zu knapp und die Strukturen der jungen Partei bundesweit noch zu unvollständig seien. Dem widersprachen im Anschluß jedoch zahlreiche Redner, darunter auch die ehemaligen Landesbeauftragten von Nordrhein-Westfalen und Thüringen, Dieter Mückenberger und Martin Moderegger. Sie argumtieren in erster Linie mit der Erwartungshaltung der Mitglieder außerhalb Hamburgs, die jetzt "etwas bewegen" wollten. Diese Schill-Anhänger dürfe man nicht auf spätere Wahlteilnahmen vertrösten, da so der momentane Schwung verlorengehe.

Nach seiner Abstimmungsniederlage, die er "als gutes Beispiel für Basisdemokratie" wertete, gelang es Schill, die neue Marschrichtung einzuschlagen und der Aufbruchsstimmung gerecht zu werden; unter dem Jubel der Anwesenden verkündete Hamburgs zweiter Bürgermeister: "Wir nehmen die Herausforderung an! Wir wollen die drittstärkste Kraft im Bundestag mit einem zweistelligen Ergebnis werden."

Schill schwor seine Anhängerschaft auf Geschlossenheit ein, "Verräter" am gemeinsamen Ziel, die nur ihre eigenen Karrierewünsche im Auge hätten, bekämen die "rote Karte", so der 43jährige Vorsitzende kämpferisch. Bereits in seiner Eröffnungsrede ging der Parteigründer in Anspielung auf die zurückliegenden internen Auseinandersetzungen hart mit "Querulanten" in den eigenen Reihen ins Gericht, vermied jedoch konkrete Namensnennungen.

Nach der "richtigen Entscheidung des Herzens" (Schill) stellte sich Schill entgegen vorherigen Ankündigungen als Spitzenkandidat der Partei für die Bundestagswahl zur Verfügung, ohne jedoch ein Bundestagsmandat anzustreben. Ob er im Falle eines Erfolgs auf einen Ministerposten in Berlin wechseln wolle, ließ der Innensenator offen. Für Schills Parteivize Dirk Nockemann, der intern als vehementester Gegner der Teilnahme an der Bundestagswahl gilt, war die Abstimmung eine herbe Niederlage. Der 44jährige Jurist und einstige Juso sprach von einem entscheidenden Fehler und kündigte an, sich nicht im Wahlkampf zu engagieren.

Unterdessen bestätigte der Vorsitzende der CDU-Bürgerschaftsfraktion, Michael Freytag, durch seine Kritik am Antritt der Schill-Partei indirekt die Spekulationen, daß die Hamburger Koalitionspartner Druck auf den Schill-Vorstand ausgeübt hatten. Freytag hatte gegenüber der Presse geäußert, die Teilnahme der Schill-Partei an der Bundestagswahl schade nicht nur dem Unionskandidaten Edmund Stoiber, sondern auch der Hamburger Koalition.

Die nervöse Reaktion im Unions-Lager kommt nicht von ungefähr: Glaubt man einer Emnid-Umfrage von Anfang Mai, so können sich bundesweit neun Prozent der CDU/CSU-Wähler vorstellen, ihr Kreuz bei Schill zu machen. Eine genauso große Zustimmung erfahren die Politneulinge laut dieser Umfrage auch unter Wählern mit sonst sozialdemokratischer Präferenz. Bereits bei der Hamburger Bürgerschaftswahl ließ sich eine überproportional große Zustimmung zu Schill in "klassischen Arbeiterbezirken" beobachten. Daß Schill zudem Protestwählerpotential an sich binden kann, welches für die Union wahrscheinlich kaum erreichbar ist, zeigt die von Emnid ermittelte Zustimmung für die Partei Rechtsstaatlicher Offensive unter Anhängern der PDS (19 Prozent) und rechter Gruppierungen (51 Prozent).

Vermeidet die Partei bei der Kandidatennominierung Fehlbesetzungen à la Ulrich Marseille, der für das Scheitern bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt am 21. April sicherlich maßgeblich war, so kann die Schill-Partei in Mitteldeutschland massiv in das Wählerreservoir der Sozialisten einbrechen. Zugkräftig dürfte dort vor allem eine Thematisierung der Einwanderung sein.

Bereits auf dem Hamburger Parteitag deutete Ronald Schill - offensichtlich vom derzeitigen Erfolg sogenannter Rechtspopulisten in der EU inspiriert - an, dieses Feld als zweiten Schwerpunkt neben der Inneren Sicherheit beackern zu wollen. Da besonders hier eine große Distanz zwischen der Programmatik linker Parteien und den Forderungen ihrer Wählerschaft besteht, könnte ein Populist Schill als "Anwalt des kleinen Mannes" reüssieren. Mit den Worten des Hamburger Parteigründers gesprochen: "Wir sind die glaubwürdige Alternative zu den verkrusteten Altparteien, die die Interessen der Bevölkerung nicht mehr erkennen und ignorieren."

Sehr zufrieden mit dem Abstimmungsergebnis des Bundesparteitages äußerte sich Klaus Veuskens gegenüber der JUNGEN FREIHEIT: "Das richtige Signal für unsere Mitglieder und möglichen Wähler in Niedersachsen!" Veuskens, Vorsitzender der Schill-Partei im niedersächsischen Hildesheim, hatte bereits im April eine "Gedankensammlung" mit konkreten organisatorischen Hinweisen zur Teilnahme an der Bundestagswahl verfaßt (JF berichtete). Er gehe davon aus, daß in Niedersachsen bis zum 13. Juli eine Landesliste mit kompetenten Kandidaten zur Bundestagswahl aufgestellt werden kann. Veuskens äußerte auch seine Hoffnung, der jüngst aus der Partei ausgeschiedene ehemalige niedersächsische Landesbeauftragte und Ex-Salzgitter-Manager Hans-Joachim Selenz (JF 26/02) werde wieder zur Schill-Partei zurückkehren, nachdem sich der von ihm gewünschte Kurs auf dem Bundesparteitag durchgesetzt hat.

Vergleiche mit der Liste Pim Fortuyns

Zur Erleichterung einer bundesweiten Ausdehnung der Partei beschloß der Parteitag außerdem einige zentrale Änderungen der Satzung. So bedarf es zur Gründung von Ortsverbänden nur mehr zehn anstatt dreißig Mitglieder, für Bezirksverbände 40 statt 100. Ein Landesverband kann bereits bei einem Mitgliederbestand von 150 und mehr als drei Ortsverbänden gegründet werden. Zur Zeit verfügt die Partei nach eigenen Angaben bundesweit über rund 6.100 Mitglieder.

Als Ermutigung für den kurzfristigen Aufbau von bundesweiten Parteistrukturen wurde während des Parteitages mehrmals das erfolgreiche Beispiel Pim Fortuyns in den Niederlanden herangezogen. Die Einreichung von Unterschriftenlisten zur Wahlzulassung ist nicht notwendig, da die Schill-Partei in einem Landesparlament vertreten ist.

Ob der Beschluß des Parteitages nun den "Anfang vom Ende" der Schill-Partei, wie die Hamburger Springerpresse übereinstimmend kommentierte, oder aber des überkommenen deutschen Parteisystems einläutet, wird sich am 22. September offenbaren.


 
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