© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    27/02 28. Juni 2002

 
"Wir sind wirklich ein gutes Team geworden"
Interview: ÖVP-Klubobmann Andreas Khol über die Perspektiven der ÖVP/FPÖ-Koalition und die Bilanz von zwei Jahren Wende-Regierung
Andreas Mölzer

Herr Khol, die seit dem Februar 2000 regierende ÖVP-FPÖ-Koalition von Bundeskanzler Wolfgang Schüssel steht schon fast wieder im Vorwahlkampf, und die Sachpolitik könnte dabei ein bißchen ins Hintertreffen geraten. Wie sehen die sachpolitischen und die reformpolitischen Maßnahmen für den Rest der Legislaturperiode aus - und wie soll es danach weitergehen?

Khol: Ich glaube, daß wir keineswegs in einem Vorwahlkampf sind, sondern daß wir jetzt beginnen, langsam in das letzte Drittel unserer Regierungsarbeit einzutreten. Wir regieren und werden bis Juli nächsten Jahres voll arbeiten. Der Wahlkampf beginnt im September 2003, und es wird ein kurzer Wahlkampf sein, vielleicht vier Wochen. Wir werden die Wahl nicht vorverlegen, weil wir in den Aufschwung hineinwählen wollen. Und es gibt einen sehr komplizierten Wahlkalender der Bundesländer. Der vierte Sonntag im September 2003 ist der voraussichtlich nächste Wahltermin. Wir haben noch ein ehrgeiziges Arbeitsprogramm. Fangen wir bei der Verwaltungsreform an. Wir haben alle Pläne fertig, aber die gesetzgeberische Durchführung dieser Pläne erst zur Hälfte erreicht. Wir müssen noch viele Einzelgesetze mühsam erarbeiten. Da brauchen wir mindestens ein Jahr, um wir alle diese Gesetze zustandezubringen, damit wir auch die Verwaltungsreform erfolgreich bilanzieren können.

Was sind die wichtigsten Ziele in der Verwaltungsreform?

Khol: Die großen Ziele sind die dauerhafte Einsparung von 15.000 Dienstposten - da sind wir schon dabei - eine Effizienzsteigerung in der Verwaltung und natürlich die Aufhebung von vielen Gesetzen. Das soll geschehen, damit am Ende ein besserer Bürgerservice, ein neugeordneter öffentlicher Dienst im Sinne von modernem Dienstrecht, modernem Berufsbeamtentum und zeitgemäßen Ausbildungsmethoden herauskommt. Diese Verwaltungsreform wird mit den Namen der Landeshauptleute Erwin Pröll (Niederösterreich, ÖVP), Jörg Haider (Kärnten, FPÖ) und Josef Pühringer (Oberösterreich, ÖVP), aber auch mit Susanne Riess-Passer und Landwirtschaftsminister Wilhelm Molterer (ÖVP) verbunden sein. Das zweite große Vorhaben, wofür der Bundeskanzler einzustehen hat, ist die Vorbereitung der EU-Erweiterung - das ist Chef-Sache. Ich denke, daß wir das ganze erste Halbjahr 2003 dafür benötigen werden. Es gibt ja schon einiges Vorgeplänkel, das aber aus meiner Sicht nur Scheinkonflikte darstellt.

Ist da die Regierung wirklich bei beiden Partnern - ihrer ÖVP und der FPÖ - auf Linie oder gibt's da noch wesentliche Fragen, die erst der Abstimmung bedürfen?

Khol: Ich denke, daß wir auf Linie sind. Es gibt Nuancen - schließlich sind wir keine Einheitspartei! Ich denke, man muß die Agrarfragen ernst nehmen, denn das kann noch schwierig werden. Wir stimmen allerdings mit Finanzminister Grasser überein, daß die mögliche EU-Finanzierung von 1,27 Prozent des Brutto-Inlandsprodukts nicht erreicht werden soll, sondern daß 1,1 Prozent die Obergrenze ist, wie er es gesagt hat. Da müssen wir noch Details abstimmen. Verkehrsminister Matthias Reichhold (FPÖ) ist jetzt gerade dabei, die Verlängerung des EU-Transit-Vertrags für ganz Österreich zu erreichen. Natürlich müssen wir mit den Tschechen reden, was die Benes-Dekrete betrifft, und noch einmal versuchen, beim umstrittenen Atomkraftwerk Temelín ein gutes Stück weiterzukommen - über die Sicherheitsvereinbarung hinaus.

Gibt es noch offene Fragen in bezug auf den EU-Beitritt Sloweniens?

Khol: Bis zu dem Zeitpunkt, da der EU-Beitrittsvertrag beziehungsweise die Ratifizierung ansteht, werden alle Rückgabeverfahren entschieden sein. Die Slowenen machen da keinen großen Wind und arbeiten darn. Sie haben im Gegensatz zu den Tschechen ein sehr gutes Verhältnis zum Nachbarn, zu Kärnten und zur Republik Österreich, obwohl sie immer noch nicht von einer wirklich neuen Regierung regiert werden, es gibt da noch viele alte Kader. Aber Respekt vor den Slowenen!

Wie sieht es mit der Reform der Universitäten aus?

Khol: Die Universitätsreform werden wir gesetzgeberisch im Juli entscheiden. Dann kommt aber die ganz schwierige Umsetzungsphase, die im Oktober beginnt, mit der Bestellung der Gründungskonvente und der Universitätsräte. Und da muß diese Regierung noch sehr, sehr sorgsam darüber wachen, daß wir die Universität des 20. Jahrhunderts zu einer Universität des dritten Jahrtausends machen. Als nächstes kommt dann die Oberstufenreform - an der Matura (entscheidende Abiturabschlußprüfung) lassen wir nicht rütteln. Da habe ich allerdings mit meinem Freund Karl Schweitzer (FPÖ-Generalsekretär und Bildungsfachmann) einen Disput, aber bei vielen Dingen sind wir sehr einig. Zudem wollen wir das Regierungsziel umsetzen, die Fachhochschul-Studienplätze einmal im ersten Schlag zu verdoppeln, aber mittelfristig müssen die vom heutigen Stand her vervierfacht werden!

Sind das nicht Projekte, die schon in die nächste Legislaturperiode hineinreichen?

Khol: Ja, ich denke, daß wir im Jahr 2010 eine völlig veränderte Hochschullandschaft im weiteren Sinn haben müssen: ein Drittel der Studenten auf Fachhochschulen, zwei Drittel an den Universitäten.

Wie geht es anderen Bereichen weiter?

Khol: Der Verkehrsminister wird die kilometerabhängige LKW-Maut einführen. Das erste Mal seit langem wird im Verkehrsministerium wirklich regiert - und zwar mit kühlem Sachverstand und heißem Wollen. Wir werden im Bereich Landwirtschaft und Umwelt weitere Naturparks planen, da haben wir schon gute Fortschritte gemacht, müssen aber noch weiter gehen! Man darf auch nicht alles mit Subventionen fördern, sondern schauen, daß das alles sich im Markt behaupten kann. Landwirtschaftsminister Molterer wird es im übrigen sehr schwer haben mit der EU-Erweiterung.

Ist die geplante Steuerreform aufgrund der Konjunkturlage noch leistbar?

Khol: Die Steuerreform - ein großes Ziel - geht auch weit in die nächste Legislaturperiode hinein. Ich denke, daß Finanzminister Karl-Heinz Grasser (FPÖ) hier Vorschläge erarbeiten wird, die bereits im Oktober diskutiert und beschlossen werden müssen. Nach allen Vorhersagen ist das erst sicher, wenn wir im Juli die Konjunkturprognosen haben und sehen, wie sich die Staatseinnahmen entwickeln.

Ist das Null-Defizit im Bundeshaushalt da überhaupt noch realistisch?

Khol: Das ist die große Aufgabe dieser Regierung. Es gibt wenig Dinge, die so unbestritten sind in Österreich, wie daß keine neue Schulden gemacht werden dürfen, wobei den Leuten schon klar ist, daß das einmal ein zehntel Prozent mehr oder weniger sein kann. Aber es darf nicht so sein, wie es in der Vergangenheit gewesen ist. Das wissen alle in der Regierung. Dafür werden wir auch anerkannt, vor allem von der älteren Generation. Für die Steuerreform - eine ganz große Aufgabe, die weit in die nächste Legislaturperiode hineinreicht - werden wir einen Stufenplan entwickeln müssen. Wir gehen auch dieses Thema grundsätzlich an, und zwar nicht nur mit Tariffragen, sondern mit weiteren Vereinfachungen, durch elektronisches Management, konsequenter Steuereintreibung und Schwarzgeldbekämpfung. Da ist sehr umfangreich, dazu brauchen wir das Geld, das die derzeit geltende Steuergesetzgebung vorsieht. Wir wollen keine Steuern erhöhen! Im Bereich der Wirtschaft haben wir unsere Agenda weitgehend aufgearbeitet, die Umsetzung der Gewerbeordnungsreform läuft planmäßig. In der nächsten Legislaturperiode werden neue Ziele zur Stärkung des Wirtschaftsstandortes Österreich gesetzt.

Was steht dann noch auf dem Plan?

Khol: Wir wollen im Sozialstaat die Steuerbelastungsquote um fünf Punkte senken - das ist ein Mammutprogramm. Deshalb muß noch weiter rationalisiert werden, denn das dazu notwendige Geld findet sich nicht so leicht. Ein Teil davon bringt das Wirtschaftswachstum, ein andrer Teil sind Produktivitätsgewinne, ein weiterer Teil davon ist die steuerliche Entlastung im Zusammenhang mit den besseren Steuereinnahmen. Bei steigendem Wirtschaftswachstum kann man niedere Steuertarife einführen. Wir stehen jetzt schon mitten in den Vorbereitungsarbeiten: Künftig sollen beispielsweise Betriebsprüfungen, Kontrollen der Sozialversicherung und des Finanzamt nicht mehr auseinanderfallen, sondern bei einer einzigen Prüfung erfolgen. Wir die Krankenkassen durch zwei mittlere Reformen aus den roten Zahlen herausgeholt. Aber eine umfassende Krankenkassensanierung, bei der Privilegien abschafft und die Qualitätsmedizin für die schweren Krankheiten weiter ausbaut wird, das ist ein Mammutwerk!

Was ist im Schulbereich geplant?

Khol: Wir müssen die Vielfalt im Bildungssystem fördern. Die Waldorfschulen, die Montessori-Schulen oder die Neuland-Schulen müssen alle neben den konventionellen Schulen als Angebot dastehen und für die Eltern leistbar werden. Ich hoffe, daß die Regierungsform, die wir jetzt haben, in der Wahl 2003 bestätigt wird. Ich habe die Regierung Vranitzky, die Regierung Klima (beide SPÖ/ÖVP) und die jetzige ÖVP-FPÖ-Regierung erlebt, und ich muß feststellen, daß die Qualität der Zusammenarbeit wesentlich besser ist als in all den Vorgängerregierungen.

Womit hängt das zusammen?

Khol: Das hängt damit zusammen, daß es Kanzler Wolfgang Schüssel und Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer gelungen ist, ein Team zu bilden. Sie haben keine Berührungsängste, man kann auch privat ganz gut miteinander. Es gibt kollegiale Beziehungen, basierend auf einem Wertefundament, das in Fragen der Bildung, der Wirtschaftspolitik, der Sozialpolitik, der Außenpolitik, der Sicherheitspolitik weitgehend identisch ist. Die Sozialpartnerschaft ist in dieser Regierungszusammenarbeit nicht mehr identisch mit der Bundesregierung, wie das früher der Fall war. Das alles führt dazu, daß es ein starkes Wir-Gefühl in der Regierung gibt. Es ist sehr schwierig für jede Partei, von der Opposition in die Regierung zu gehen. Man hat nicht die Regierungserfahrung, das muß auch gelernt sein, das ist ein Handwerk, wie man regiert. Es ist auch eine Frage des kundigen Personals. Ich bewundere viele Minister - unsere und freiheitliche - wie sie mit einem Beamtenapparat zurechtkommen, der Jahrzehnte gewohnt war, von der Arbeiterkammer bzw. der Wirtschaftskammer die klaren politischen Direktiven zu bekommen. Ich beneide weder den Sozialminister Herbert Haupt (FPÖ) noch Verkehrsminister Matthias Reichhold oder Innenminister Ernst Strasser (ÖVP), sie führen Ministerien, die immer sozialistisch dominiert waren. Ich muß auch sagen, daß der von der FPÖ nominierte, parteilose Minister Dieter Böhmdorfer - am Anfang in den Medien heftig umstritten - aus meiner Sicht ein Justizminister geworden ist, der endlich wieder - seit SPÖ-Minister Christian Broda (1970 - 1983) - wieder Gesellschaftspolitik macht. Böhmdorfers Vorgänger waren ja eigentlich Beamtenminister, und die Politik ist im Parlament gemacht worden, und vom Justizausschuß. Wir sind wirklich ein gutes Team geworden.

Gewisse Konflikte gab es jedoch immer wieder, auch mit der Sonderrolle des freiheitlichen "Übervaters" Jörg Haider im Verhältnis zu dieser Bundesregierung. Wie sehen Sie das?

Khol: Ich sehe ihn als einen der Gründer dieser Koalition. Es gibt drei Haider, den Staatsmann, den Parteipolitiker, den Disco-Haider. Den Disco-Haider kenne ich nicht, mit dem Parteipolitiker Haider habe ich wenig Berührung, und da gibt's Dinge, die ich nicht nachvollziehen kann, aber der Staatsmann Haider, der mit uns die Koalition verhandelt hat, der immer wieder, wenn's um heikle Dinge geht, zur Verfügung steht, der hat meinen Respekt. Ich wurde viel kritisiert, als ich gesagt habe, ich habe mit dem Staatsmann Haider nie ein Problem. Ich telefoniere oft mit ihm, und es ist immer gut, mit ihm zu reden. Und Haider ist einer, der sehr erfahren ist und hundertprozentig zu unserem Wende-Projekt steht - da können unsere Gegner hoch und nieder springen. Haider wird nie etwas tun, um dieses Projekt zu gefährden, es ist für ihn ein wichtiges Ziel, das hat er vom ersten Tag an klar gemacht, als wir verhandelt haben. Schon bei den ersten Sondierungsgesprächen hat er gesagt, "wenn ich nur parteipolitisch handeln würde, würde ich Euch (SPÖ und ÖVP) noch vier Jahre lang in der großen Koalition weiterwursteln lassen, dann bin ich Bundeskanzler. Aber ich will etwas verändern, und daher schlucke ich die Kröte". Das war, als wir erfahren haben, daß die Kröte eben 165 Milliarden Schilling (12 Milliarden Euro) Sanierungsbedarf sind.

 

Univ.-Prof. Dr. Andreas Khol, geboren 1941 in Bergen/Südtirol, besuchte die Volksschule in Sterzing/Südtirol und Innsbruck, danach das Gymnasium in Innsbruck. Nach dem Abitur 1959 studierte er Jura an der Universität Innsbruck und promovierte 1963 zum Dr. iur. Er ist Mitglied im Cartellverband der österreichischen katholischen Studentenverbindungen (Cver). Hochschulassistent an den Universitäten Innsbruck und Wien. 1966 Generalsekretär der Österreichischen Gesellschaft für Außenpolitik, Jurist in de Europäischen Menschen-rechtskommission. Seit 1983 als Tiroler ÖVP-Abgeordneter im Wiener Parlament, Klubobmann der ÖVP von 1994 bis 1999 sowie seit 2000.

 

Andreas Mölzer ist Chefredakteur der in Wien erscheinenden Wochenzeitung "Zur Zeit".


 
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