© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    27/02 28. Juni 2002

 
"Uns steht noch ein harter Kampf bevor"
Tierschutz: Neben den natürlichen Lebensgrundlagen bekommen jetzt auch die Tiere grundgesetzlichen Schutz
Edgar Guhde

Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generatio-nen die natürlichen Lebensgrundlagen im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Recht und Gesetz durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung", so lautete bisher der Artikel 20a des Grundgesetzes. Letzten Freitag stimmte nun nach dem Bundestag auch der Bundesrat in seiner 777. Sitzung mit 64 zu 4 Stimmen zu, Artikel 20a um den Zusatz "und die Tiere" zu erweitern. Nur der CDU-regierte Freistaat Sachsen enthielt sich. Damit ist der Tierschutz erstmals in der Verfassung eines EU-Landes festgeschrieben.

Nach vergeblichen Anläufen 1994, 1997, 1998 und 2000 wurde endlich erreicht, daß neben den natürlichen Lebensgrundlagen künftig auch die Tiere staatlichen "Schutz" genießen. Die Ergänzung durch die Worte "und die Tiere", nachzulesen in der Bundesrats-Drucksache 453/02, ist allerdings ein Kompromiß mit der CDU/CSU-Bundestagsfraktion: Der ursprüngliche Entwurf der rot-grünen Koalition lautete: "Tiere werden als Mitgeschöpfe geachtet. Sie werden vor nicht artgemäßer Haltung, vermeidbaren Leiden und in ihren Lebensräumen geschützt." Von Seiten des Tierschutzes war darüber hinaus vorgeschlagen worden, die Tiere um ihrer selbst willen zu schützen, also nicht nur als Verfügungsobjekt des Menschen.

Warum muß der Tierschutz als Staatsziel überhaupt ins Grundgesetz? Der beschwichtigende Verweis auf das Tierschutzgesetz ging immer fehl, weil es als einfaches Gesetz Grundrechten wie Eigentumsrecht, Freiheit der Berufsausübung, Lehr-, Forschungs- Religions- und Kunstfreiheit untergeordnet und daher mehr oder weniger wirkungslos blieb. Oft kam es zu Konflikten mit den Lebensrechten der Tiere. Übergeordnetes EU-Recht sowie die Bestimmungen der Welthandelsorganisation WTO schafften ebenfalls Probleme. Das Tierschutzgesetz ist jenes Gesetz, bei dem die Verfahrenseinstellungen mit 80 Prozent über dem Gesamtdurchschnitt lagen und bei dem der Strafrahmen am wenigsten ausgeschöpft wurde.

Die übelste sadistische Tierquälerei wird selten härter bestraft als das Beschmieren von Hauswänden. Grundrechte können laut Bundesverfassungsgericht nur durch "Rechtswerte mit Verfassungsrang", also nicht durch das niederrangige Tierschutzgesetz eingeschränkt werden. Daher der lange währende Einsatz, die verfassungsrechtliche Regelungslücke zu schließen und durch die ausdrückliche Verankerung des Tierschutzes als Staatszielbestimmung dem Schutz der Tiere bessere Chancen zu geben. Vom neuen Artikel 20a könnte ein zweifaches Signal ausgehen: Daß der Schutzauftrag des Staates nicht beim Menschen endet und daß die Verantwortung des Menschen nicht nur auf seinesgleichen beschränkt bleibt.

Staatsziel darf keine verbale Luftblase bleiben

Wie schon in den Auseinandersetzungen um die Aufnahme des Tierschutzes in bislang elf Länderverfassungen gab es massiven Widerstand von Seiten der Tierversuchsbefürworter, die durch den "schwarzer Freitag" ihre Forschungsfreiheit bedroht wähnen und mit der Abwanderung ins Ausland drohen. Viele Juristen sind dagegen eher zurückhaltend. So wies der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes in Nordrhein-Westfalen, Johannes Nüsse, darauf hin, daß die Aufnahme des Naturschutzes ins Grundgesetz auf die Arbeit der Gerichte bislang wenig Einfluß gehabt habe. Der "Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen" hat keinen Durchbruch in der Naturschutzpolitik bewirkt. Das bislang zahnlose Tierschutzgesetz hat jetzt zwar ein Karlsruher Fundament erhalten hat, doch die Ursachen der tagtäglichen millionenfachen Tierschinderei wie egoistischer Materialismus, Eßgewohnheiten, Gewinn- und Karrierestreben sind geblieben. Und die Pharmafirmen werden ebensowenig ins Ausland abwandern wie die in der Schweiz, wo die "Würde der Kreatur" schon seit 1992 Verfassungsrang hat.

Denkbar ist aber, daß nun Tierversuche überzeugender begründet werden müssen oder daß mittel- und längerfristig wirksamere Verwaltungsvorschriften zur Durchsetzung des Tierschutzgesetzes herauskommen. Die Verwaltungsgerichte könnten demnächst auch strenge Maßstäbe bei den Ausnahmegenehmigungen für das religiös begründete "Schächten" zugrunde legen und darauf bestehen, daß die Antragsteller, "zwingende Vorschriften" ihrer Religionsgemeinschaften für das betäubungslose Schlachten nachweisen - was sie wahrscheinlich nicht können!

Da die drei Wörter im Grundgesetz von sich aus aber nichts bewirken können, ist die Politik, sind die Tierschutzverbände und die Parteien gefordert, daß es zu wirklichen Verbesserungen kommt. "Das Staatsziel darf nicht nur eine verbale Luftblase sein. Uns steht noch ein harter Kampf bevor", stellte denn auch der Deutsche Tierschutzbund richtig fest. Das Staatsziel bietet die Grundlage für die nun anstehenden Aufgaben, soll es nicht zu einer Luftblase werden. Ein Beispiel ist die Einführung des Verbandsklagerechts für anerkannte Tierschutzverbände, analog zum bestehenden Klagerecht der Naturschutzverbände. Und ebenso selbstverständlich müßte die Verankerung des Tierschutzes in einer künftigen EU-Verfassung werden. Die deutschen Politiker haben durch Artikel 20a dafür nun eine bessere Voraussetzung als bisher. Solange der Tierschutz nicht europaweit einheitlich praktiziert wird, wird es ihn auch in Deutschland nicht geben. Nationales Tierschutzrecht ist nur anwendbar, wenn es nicht durch EU-Recht ausgeschlossen oder beschränkt wird. Nationale und europäische Tierschutzgesetzgebung müssen die rechtliche Grundlage für einen wirksamen Schutz der Mitlebewesen bieten. Ebenso müßte erreicht werden, daß die öffentlichen Verwaltungen willens und in der Lage sind, die tatsächliche Anwendung des Rechts in der Praxis zu gewährleisten. Es geht um nichts Geringeres als um die Herstellung rechtsstaatlicher Zustände in der Mensch-Tier-Beziehung. Dies ist die große Herausforderung an die Gesellschaft: Die Neubegründung des Verhältnisses von Mensch und Tier, die Durchsetzung einer Tierethik, die den Tieren ein Recht auf Leben und Gesundheit unabhängig von ihrem Nutzwert für den Menschen zuerkennt.


 
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