© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    27/02 28. Juni 2002

 
Pankraz,
C. Codreanu und die Leipziger Neoromantiker

Leipzig (Eig. Ber.). Im Vorfeld zum 11. Wave-Gotik-Treffen Leipzig mehren sich die Vorwürfe gegen die Veranstalter. Beim Pfingst-Festival der Neoromantiker sind Verlage und mehrere Bands präsent, die der rechtsradikalen Szene nahestehen sollen. Zu ihnen zählt eine Gruppe, die bei Auftritten Ausschnitte aus einer Rede des rumänischen Faschistenführers Cornelu Zelea Codreanu und eine abgewandelte Form des Hitlergrußes gezeigt hat. Der Verlag VAWS, der auch bei der letzten Leipziger Buchmesse ausstellte, taucht seit Jahren in den Verfassungsschutzberichten des Bundes und Nordrhein-Westfalens auf.

In einer Presseerklärung verlangt die Bremer Initiative 'Gruftis gegen Rechts' Konsequenzen aus dem Rathaus. Der Extremismusbeauftragte der Stadt Leipzig sammelt Erkenntnisse, der Verfassungsschutz ermittelt. Fest steht, daß Staatsschutz und das Ordnungsamt Leipzig während des Wave-Gotik-Treffens bestimmte Veranstaltungen beobachten werden. 'Falls nötig, können Auftrittsverbote unverzüglich ausgesprochen werden', heißt es. Siehe auch Seite 11."

Soweit ein Zitat aus der Leipziger Volkszeitung (LVZ) vom 15. Mai 2002. Es ist der komplette "Aufmacher" des Blattes von diesem Tage, ein sogenannter "schmaler Dreispalter" links oben auf Seite eins gleich unter der Datumszeile, ein hochprivilegierter Platz, der der jeweiligen "Spitzennachricht" vorbehalten ist, welche der Chefredakteur persönlich absegnen muß.

Dies also war für den Chef der LVZ, die eine der großen Regionalzeitungen Deutschlands zu sein begehrt und immerhin einige Hunderttausend Auflage hat, die Spitzennachricht drei Tage vor Pfingsten (bei der Frankfurter Allgemeinen hieß die Spitzennachricht vom selben Tag: "Nato und Rußland lassen Kalten Krieg endgültig hinter sich"). Ein Musikfestival der Neoromantiker findet in der alten Musik- und Messestadt statt, aber nicht das Stattfinden an sich löst die Spitzenmeldung aus, sondern der Verdacht, daß daran möglicherweise auch Bands teilnehmen, die einer gewissen Szene nahestehen "sollen". Dementsprechend auch die Überschriften des Artikels: "Neonazis beim Wave-Gotik-Treffen? Angeblich rechtsradikale Bands zu Leipziger Pfingst-Festival der Neoromantiker".

Der verstorbene Johannes Gross pflegte zu sagen: "Wenn eine Artikel-, gar Aufmacher-Überschrift mit einem Fragezeichen endet, ist das ein sicheres Zeichen dafür, daß die Zeitung nichts taugt." Bei der LVZ gibt es gleich zwei donnernde Fragezeichen, denn auch das "angeblich" in der zweiten Zeile ist ja eins. Der Leser sieht sofort: Die Leute haben nichts Wirkliches mitzuteilen, nur Vermutungen, Möglichkeiten, in diesem Fall Verdächtigungen, Unterstellungen, Insinuationen. Es sind keine richtigen Journalisten, sondern professionelle Anschwärzer, Hilfs-Sheriffs.

Wenn man das Elaborat dann trotz der Überschriften liest, wird man in seinem Urteil voll bestätigt. Es handelt sich um eine perfekte Nullnachricht, es ist kein Bericht, sondern eine Drohung. Irgendwer taucht in irgendwelchen Verfassungsschutzberichten auf. Irgendwelche Initiativen fordern "Konsequenzen". Der Extremismusbeauftragte (wie hoch ist eigentlich sein Gehalt?) "sammelt Erkenntnisse". Der Verfassungsschutz "ermittelt". Staatsschutz und Ordnungsamt "beobachten". Verbote "können unverzüglich ausgesprochen werden".

Im Nachhinein kommt dann heraus: Kein einziges Verbot konnte ausgesprochen werden, so sehr die beteiligten Ordnungskräfte inklusive der ihnen zugeordneten "Journalisten" auch forderten, sammelten, ermittelten, beobachteten. Nicht einmal der rumänische Faschistenführer Codreanu wurde gezeigt, geschweige denn sein "abgewandelter" Hitlergruß. Ist hier etwa die Abwandlung ihrerseits abgewandelt worden? Wo versteckt sich der Faschismus der Neoromantiker? Redakteure der Leipziger Volkszeitung! An die Front! Große Recherchen warten auf euch!

Ein rheinländischer Korrespondent, dem Pankraz den LVZ-Aufmacher zu lesen gab, zuckte mit den Achseln. "Was willst du, das ist eben noch die alte kommunistische Kaderschmiede aus der Leipziger Tieckstraße, wo zu Honeckers Zeiten kleine schreibende Achtgroschenjungs auf Parteiauftrag gedrillt wurden. Vielleicht läßt sich das allmählich angleichen."

Pankraz fragt sich indessen mit Bangigkeit: Wer gleicht wen an, und woran wird angeglichen? Inzwischen sind ja schon dreizehn Jahre vergangen, seitdem die Leipziger Journalistenfakultät auf die neuen, demokratischen Standards der BRD-Journalistenausbildung umgestellt wurde. Der eingangs zitierte Eig. Ber. der LVZ vom 15. Mai entfloß - zuverlässigem Bericht zufolge - dem Laptop eines jungen Schreibtalents, das bereits voll auf BRD geprägt ist und seinen Aufmacher ganz selbstverständlich für ein Spitzenprodukt des demokratischen Journalismus à la 2002 hält, mit dem sich gut Karriere machen läßt.

Die Wahrheit ist wohl, daß es in Sachen Journalismus und Medienbedienung schon lange keinen Unterschied zwischen Ost und West mehr gibt. Der Leipziger Eig. Ber. hätte ebenso gut als Aufmacher bei einer der großen westlichen Regionalzeitungen durchgehen können oder als "Take" in einem der TV-Magazine. Dieses Gebräu aus Nullnachricht und politischer Verdächtigung, beflissener Staatsschutzschreibe und perfider Einschüchterung wird gebraucht und von den Verantwortlichen regelrecht angefordert. Es ist nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel.

Rückschlüsse auf den Gesamtzustand des Landes sind erlaubt und geboten. Wer einen solchen Journalismus an auffälliger, bevorzugter Stelle durchgehen läßt, ja, sogar fördert und belohnt, der meint es nicht gut mit dieser Republik, der will sie letzten Endes in einen beschissenen Polizeistaat verwandeln. An sich wäre es an der schreibenden Zunft, sich als erste dagegen zu wehren.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen