© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    28/02 05. Juli 2002

 
Der deutsche Fußball
Gemeinsam zum Sieg
von Peter Bossdorf

Nein, daß Brasilien den WM-Titel gewonnen hat, ist nicht bloß abzuhaken. Der persönliche Erfolg Ronaldos könnte sehr leicht ein fatales psychologisches Signal für ein Entwicklungsland sein, das schweren Zeiten entgegengeht. Für Hochgefühle und die Devise "Weiter so!" gibt es dort nämlich eigentlich keine Veranlassung.

Vor allem aber hat das Finale von Yokohama dem Fußball als Mannschaftssport Schaden zugefügt. Brasilien verfügt vielleicht über die "besseren Einzelspieler", das heißt, seine Ballkünstler beherrschen jene telegenen Tricks, die onkelhafte Moderatoren mit der Zunge schnalzen lassen und die man dann bis zum Abwinken in der Zeitlupe und aus allen erdenklichen Perspektiven am Bildschirm über sich ergehen lassen muß. Doch Fußball erschöpft sich jedoch nicht darin, daß elf Artisten auf dem Platz tanzen und Zauberkunststückchen darbieten. Es treffen vielmehr Kollektivwesen aufeinander, die mehr sind als die Summe jener Individuen, die das gleiche Trikot tragen.

Ein solches Kollektivwesen hat der deutsche Teamchef Rudi Völler aus Spielern geformt, die - von ein, zwei Ausnahmen abgesehen - auch in ihren Vereinen nicht die ganz großen Stars sind. Wieviel die Psychologie hier vermag, kann man schon an Spielern wie Thomas Linke und Dietmar Hamann ablesen, die bei der EM 2000 kläglich baden gingen und nun fast zum ganz großen Triumph vorgestoßen sind. Aus unsicheren Kantonisten mit hämischer Freude am Debakel wurden verläßliche Größen mit Siegeswillen, Sportskameraden eben.

Rudi Völler konnte es so schnell und so durchschlagend richten, weil er das Rad nicht neu erfinden mußte. Er mußte bloß jene Einstellungsmuster abrufen, durch die der deutsche Fußball seit jeher gekennzeichnet ist: Disziplin, Kampfbereitschaft, Ausdauer, Teamgeist. In der Nach-Beckenbauer-Ära, insbesondere nach der WM-Pleite von 1998, meinte man zwar, auf sie verzichten zu dürfen, weil sie dem durch die Franzosen und andere gesetzten internationalen Standard angeblich nicht mehr genügen würden. Das Gegenteil ist nun bewiesen. Man kann attraktiven Fußball ohne zwanghafte Show-einlagen bieten. Kampf und einfache taktische Regeln tun der Spannung keinen Abbruch. Nicht die Professionalität der Gehaltsempfänger, sondern der glaubwürdig vorgetragene Gemeinschaftswille ist es, der die Fans in den Stadien und die Zuschauer am Fernsehschirm elektrisiert und sie zur Parteinahme verführt.

Die deutsche Elf, die am vergangenen Sonntag in Yokohama auf dem Platz stand, sah nicht bloß ein berufliches Karriereziel zum Greifen nah. Es sollten Jugendträume in Erfüllung gehen. Dies war ihr anzumerken. Den Nährboden dafür bietet die vielgescholtene Vereinsmeierei, die dem immer weiter ausufernden Fußballunternehmertum Grenzen setzt. Nun kann niemand mehr ausschließen, daß die Saat bei der WM 2006 in heimischen Gefilden wieder einmal aufgeht.


 
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