© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    28/02 05. Juli 2002

 
Immer den Kurs gehalten
Nachruf: Mit dem Tode Alfred Dreggers hat das konservative Deutschland einen unermüdlichen Streiter verloren
Martin Hohmann

Alfred Dregger - das ist ein Name, der niemanden kalt gelassen hat. Begeisterte Zustimmung, Verehrung, Bewunderung, aber auch massive Anfeindung und Schmähung waren die Reaktionen während seiner langen politischen Laufbahn. 1920 in Münster/Westfalen geboren mußte er unmittelbar nach seinem Abitur am humanistischen Gymnasium in Werl zum Kriegsdienst einrücken. Nach Studium der Rechts- und Staatswissenschaften sowie Promotion zum Dr. jur. in Rekordzeit wurde er 1956 mit 35 Jahren in der Stadt Fulda jüngster Oberbürgermeister der damaligen Bundesrepublik. Gegen Ende seiner 14 Oberbürgermeisterjahre war er bereits hessischer Landtagsabgeordneter und von 1967 bis 1982 Landesvorsitzender der CDU Hessen.

Wie er es wurde, spricht für sein ausgeprägtes Selbstbewußtsein. Sein damaliger favorisierter Mitbewerber war der zehn Jahre jüngere, spätere Bundesminister Christian Schwarz-Schilling. Man traf sich bei einem guten Tropfen Wein zu einem Vieraugengespräch, um sich über den Vorsitz zu verständigen. Statt langer Präliminarien faßte Dregger Schwarz-Schilling fest ins Auge und erklärte mit entwaffnendem Charme: "Lieber Herr Schwarz-Schilling, ich besitze Charisma, und das ist es, was die hessische Union braucht."

Der bei 24 Prozent dümpelnden, etwas betulichen Honoratiorenpartei verging Hören und Sehen, als Dregger im Dezember 1967 auf dem Landesparteitag in Eltville seine Marschrichtung vorgab: "Unsere Führungsmannschaft ist jung, voller Selbstvertrauen und von dem unbedingten Willen erfüllt, die hessische CDU auf ihr Ziel hinzuführen, dieses Ziel, meine Freunde, ist die Mehrheit. Es kann kein anderes Ziel geben." Es irritierte ihn nicht, daß die hessische SPD damals bei 50 Prozent lag, nein, seine mitreißende Energie, sein Mut, seine Entschiedenheit zeigten bereits 1970 Früchte, als die SPD ihre absolute Mehrheit verlor, die CDU 13 Prozent hinzu gewann und mit der FDP eine bürgerliche Koalition hätte bilden können. Prägnanter Ausdruck der neuen Selbstsicherheit, des Kameradschaftsgeistes und der Aufbruchstimmung war das "High Noon"-Wahlkampfplakat mit sieben CDU-Politikern in Keilformation, Dregger an der Spitze, und dem Slogan: "Wir kommen."

Die 68er in ihrer Hochburg Frankfurt sahen in Dregger ihren Lieblingsgegner und die Zielscheibe haßerfüllter Propaganda. Zu unterschiedlich waren die Positionen und das Politikverständnis. Auf der einen Seite die APO-Kader mit den Vorbildern Mao Tse Tung und Ho Chi Minh, auf der anderen Seite der viermal verwundete Frontsoldat, der am eigenen Leib verspürt hatte, was Krieg bedeutet. Auf der einen Seite der SPD-Kultusminister von Friedeburg mit seinen Rahmenrichtlinien, in die viel Gedankengut der linken und linksextremen Studentenschaft eingeflossen war, auf der anderen Seite der humanistisch gebildete, vom wertbezogenen Konservatismus durchdrungene Jurist. Auf der einen Seite die GEW, die mit ihren im Hessischen Landtag befindlichen Hilfstruppen in der SPD meßbare schulische Leistungen bereits als "Körperverletzung" ansah, auf der anderen Seite der leistungsorientierte Kämpfer Dregger, der jeden Schüler an sein Leistungsoptimum heranführen wollte. Sein damaliges Eintreten für das dreigliedrige Schulsystem und sein Kampf gegen die Gesamtschule als einzige Regelschule ist durch Ergebnisse des PISA-Ländervergleiches eindrucksvoll bestätigt worden.

Besuche auf dem "revolutionären" Frankfurter Campus und Reden vor feindseligen Studentenscharen waren für ihn selbstverständlich: Es flogen nur Eier und keine Eierhandgranaten. Während andere Vertreter der "Herrschenden" sich angstvoll wegduckten und unsichtbar blieben, gab es für den Oppositionsführer im Hessischen Landtag kein off limits.

Der grandiose Landtagswahlerfolg von 1982 mit 47 Prozent der Wählerstimmen hätte Dregger das Amt des Hessischen Ministerpräsidenten beschert, wäre nicht dank der von Bundeskanzler Schmidt in Bonn inszenierten "Verratskampagne" die FDP in Hessen als Koalitionspartner aus dem Landtag geflogen. Da schlug Helmut Kohl Dregger zum CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden vor und Dregger wurde darauf fast ohne Gegenstimmen gewählt. Zuvor hatte er 1976 den Slogan "Freiheit oder Sozialismus" geprägt und in 15 Jahren unter seinem Vorsitz die hessische Union zu einem "Kampfverband" geschmiedet. Der durch ihn begründete kameradschaftliche Zusammenhalt wirkt bis heute nach. Statt Roland Koch auf dem Höhepunkt der hessischen CDU-Finanzaffäre als Sündenbock in die Wüste zu schicken, hat ihn der Parteitag im Frühjahr 2000 mit 96 Prozent bestätigt.

Als Bundespolitiker war Alfred Dregger einer der wenigen, der sich mit dem Schicksal Deutschlands und den deutschen Opfern des letzten Jahrhunderts identifizierte, mit den Soldaten, mit den Vertriebenen. Trotz bester Beziehungen zu US-Politikern scheute er sich nicht, vom "verbrecherischen Bombenkrieg" der Alliierten zu sprechen. Weil er gewohnt war, in geopolitischen Dimensionen zu denken und vom Freiheitsgedanken durchdrungen war, beharrte er auf seiner politischen Vision von der Vereinigung der Bundesrepublik der DDR. In der Deutschlandpolitik gelte es, "den Sozialismus zu Lande, zu Wasser und in der Luft zu bekämpfen", so seine Parole. Während die SPD mit der SED ein Diskussionspapier mit dem Titel "Der Streit der Ideologien und die gemeinsame Sicherheit" verfaßte, während von Seiten der SPD regierten Bundesländer die Erfassungsstelle für SED-Unrecht in Salzgitter in Frage gestellt wurde und die Teilung Europas scheinbar Ewigkeitscharakter annahm, sprach Dregger weiter Klartext. Mit Honecker müsse nicht über die Anerkennung einer DDR-Staatsbürgerschaft, sondern über Freizügigkeit gesprochen werden. "Im übrigen", so Dregger, "unsere Zukunft hängt nicht davon ab, daß Herr Honecker uns die Ehre seines Besuches erweist." Das Medienecho von Links bis zu bürgerlichen Blättern fiel vernichtend aus. Dregger wurde als "ewig Gestriger", als "letzter kalter Krieger", gar als "Kriegstreiber" diffamiert. Wenn man bedenkt, daß Honecker als Staatsgast von 1987 wenig später im chilenischen Asyl war, Mauer und Stacheldraht gefallen waren, so hatte sich die Unbeirrbarkeit Dreggers erneut als richtig erwiesen. Deutschland und Europa wurden frei, Deutschland in Freiheit vereint, so wie Alfred Dregger dies Jahrzehnte hindurch gefordert und vorausgesagt hatte. Diejenigen, die die Realitäten der Teilung anerkennen wollten, waren widerlegt; der Visionär Alfred Dregger aber wurde glänzend bestätigt.

Nach Erzbischof Johannes Dyba verlieren Fulda und das konservative Deutschland mit Alfred Dregger eine weitere Persönlichkeit von nationalem, ja internationalem Rang. Sein Vermächtnis: In abendländischen Werten feststehen, den Patriotismus zur Kraftquelle machen, Friedenssicherung und Friedenserhaltung in Europa und weltweit als vorrangige Aufgabe betrachten. Im übrigen: Kurs halten! Unerschütterlich Kurs halten!

 

Martin Hohmann (CDU) ist Mitglied des Deutschen Bundestages und als Vertreter des hessischen Wahlkreises Fulda seit 1998 Nachfolger des verstorbenen Alfred Dregger.


 
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