© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de   28/02 05. Juli 2002


Blick in die Medien
Kleiner Schritt
Ronald Gläser

Zwischen hingebungsvoller Liebe und tödlichem Haß liegt oft nur ein kleiner Schritt. Galten unsere Fußballspieler vor zwei Jahren noch als die Deppen der Nation, so sind sie jetzt wieder echte Helden. Nicht nur die deutsche Mannschaft kennt das Wechselbad der Gefühle. Den Brasilianern erging es nicht anders. Ihre Presse wütete während der WM-Qualifikation gegen Ronaldo und Co. Nach dem Sieg am Sonntag wird der Zuckerhut von neuer Euphorie beherrscht. "Ronaldo stürmt über die Berliner Mauer", jubelte eine brasilianische Zeitschrift. Rund um den Globus wurde beiden Mannschaften Respekt gezollt. CNN lobte die Lateinamerikaner als "Brasilliant". Als erste hatten die Russen vor zwei Wochen die Qualität der Deutschen Mannschaft erkannt. Iswestija meldete, Rudi Völler habe zwar nicht den Fußball neu erfunden. Aber mit einigen Ersatzteilen könne man ja auch ein Fahrrad wieder flott machen - so wie unsere Nationalelf.

Die Japan Times verglich unsere Spieler mit den "effizienten und verläßlichen Luxuskarossen", für deren Herstellung wir Deutsche bekannt sind. Selbst die Engländer überschlugen sich in ihren Glückwünschen. "Typical british". Von der Insel aus werden wir immer gelobt, wenn wir verlieren, aber kritisiert, wenn wir gewinnen. In Argentinien dominierte Diego Maradona die Nachrichten. Er will die schlechteste deutsche Mannschaft aller Zeiten gesehen haben. Aber auch die Brasilianer seien ein maroder Haufen. Zwischen Wahrheit und Wahrnehmung liegt eben auch nur ein kleiner Schritt.


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