© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    29/02 12. Juli 2002

 
PRO&CONTRA
Ist die Ehe ein Relikt aus der Vergangenheit?
Rolf Ohler / Hans-Ludwig Schmidt

In den letzten 50 Jahren hat sich auch in der Bundesrepublik ein gesellschaftlicher Wandel vollzogen. Waren es vor 50 Jahren die Leitbilder Ehe und Familie, so müssen wir heute leider der Wirklichkeit ins Auge sehen, daß wir mit Scheidungsraten von fast 40 Prozent Singlehaushalten, alleinerziehenden Vätern, alleinerziehenden Müttern und Lebenspartnerschaften konfrontiert werden.

Und dies in einer Zeit, wo wir vor dem Kippen der Alterspyramide nicht mehr die Augen verschließen dürfen. Die einzige Lösung für unsere Gesellschaft, diese Zukunftsprobleme zu lösen, ist eine moderne Familienpolitik, die alle Ressourcen einschließt. Es ist keine Frage, daß Ehe und Lebensgemeinschaften die Keimzelle der Familie bilden. Nur: Der Schutz des Staates sollte sich in den kommenden Jahren wirklich und konsequent auf den Schutz der Familie konzentrieren. Was ist an einer Ehe im herkömmlichen Sinne schützungswürdig, die nicht auf den Aufbau einer Familie ausgerichtet ist? Ist die Zweckehe eines 85-jährigen mit einer 18-jährigen Partnerin besonders schützungswürdig? Ist die Lebenspartnerschaft von zwei Menschen besonders schützenswert? Nein!...Dies ist für mich Familie: Partnerschaften, gleichwelcher Art, die Kinder aufziehen; Einzelpersonen, die Kinder aufziehen; Partnerschaften, gleich welcher Art, die pflegebedürftige Eltern versorgen; Einzelpersonen, die pflegebedürftige Eltern versorgen. Erst mit diesen Voraussetzungen fängt Familie an. Und nicht mit der Eintragung einer Ehe oder Lebenspartnerschaft! Deshalb stelle ich die Forderung: Konsequente Abschaffung aller Privilegien für Ehe und Lebenspartnerschaften! Abschaffung des Ehegattensplittings - ein wirkliches Relikt aus alter Zeit! Extreme Förderung von Familie, wobei Familie anders definiert werden muß: Familie ist eine auf ein Leben lang eingerichtete Lebensform, die generationsübergreifend Verantwortung übernimmt."

 

Rolf Ohler ist Bundesgeschäftsführer der Lesben und Schwulen in der Union (LSU). Der Text ist seiner Internetseite zum Thema "Familienpolitik" entnommen.

 

 

Ausgangspunkt unseres Selbstverständnisses ist es, daß wir bei aller wissenschaftlichen Freiheit das Leitbild von Ehe und Familie vertreten, das sich im christlichen Abendland entwickeln durfte: Lebenslange Partnerschaft von Mann und Frau als personale Lebensgemeinschaft, die Offenheit für Kinder, die Annahme derselben, aber auch die Annahme der Erwachsenen gegenseitig und die freiwillige Solidarität untereinander. Diese Elemente sind Kriterien, die uns immer wieder hilfreich sein können bei der selbstkritischen Frage, inwieweit Vorschläge, die aufgrund neutraler wissenschaftlicher Untersuchungen entstanden sind, zielführend umgesetzt werden können. Politischen Gruppen ist heute die Bedeutung von Ehe und Familie für die Gesellschaft größtenteils klarer als noch vor einigen Jahren. Auch viele Mitbürgerinnen und Mitbürger bringen der Familie als Lebensform Wertschätzung entgegen. Es kommt darauf an, daß wir Ehe und Familie weder romantisch nur als bunten Blumenstrauß des schönen und harmonischen Lebens ausmalen noch das Familienleben mit erhobenem Zeigefinger anmahnen bzw. mit moralischen Postulaten überfrachten. Vielmehr müssen wir ganz sorgfältig und realistisch die Bedingungen untersuchen, unter denen vor Ort das Thema Ehe und Familie überhaupt wieder gemeinschaftlich in den Blick kommt.

Familienpolitik heißt hier also ganz konkret, auf die Familien zuzugehen, ihnen die Erfahrung zu ermöglichen, daß es ihnen tatsächlich etwas bringt, wenn sie sich selbst in kommunalen Entscheidungsprozessen äußern. Und Kommunalbehörden, Kirchen und Sozialbehörden können lernen, daß es ein Gewinn ist, wenn sich Familien selbst vertreten. Das ist ein Wechselspiel. Dann ist einiges getan dafür, daß junge Menschen Ehe und Familie nicht nur als Ideal, sondern auch als real Machbares wieder attraktiv finden. Darum muß es uns doch gehen.

 

Prof. Dr. Hans-Ludwig Schmidt ist stellvertretender Direktor des Zentralinstituts für Ehe und Familie in der Gesellschaft (ZFG) der Katholischen Universität Eichstädt-Ingolstadt.


 
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