© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    29/02 12. Juli 2002

 
Die Tür ist spaltbreit offen
Stasi-Unterlagen-Gesetz: Novellierung gegen die Stimmen der Union beschlossen
Detlef Kühn

Das ehrgeizige "Projekt 18" für den Wahltag hat wohl den Ausschlag gegeben: Die FDP, die sich in den vergangenen Monaten wahrhaftig nicht als Vorkämpferin einer Novellierung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes im Sinne der bisherigen Praxis der Gauck-Birthler-Behörde profiliert hatte, trat überraschend in der vergangenen Woche - quasi in letzter Minute - im Bundestag den Fraktionen von SPD und Grünen zur Seite, die die negativen Folgen des von Altkanzler Helmut Kohl erstrittenen Urteils des Bundesverwaltungsgerichts für die zeitgeschichtliche Forschung zumindest deutlich mildern wollten (JF 26/02). Die Stimmen der FDP sind zwar im Bundestag für eine Mehrheit nicht nötig. Von Bedeutung ist ihre politische Entscheidung aber für die Abstimmung am Freitag dieser Woche im Bundesrat, wo die von SPD und Grünen regierten Länder keine Mehrheit mehr haben. Die CDU-geführten Länder könnten hier eine Entscheidung blockieren, etwa indem sie den Vermittlungsausschuß von Bundestag und Bundesrat anrufen. Das wäre schon aus Zeitgründen das Ende der Novellierung in dieser Legislaturperiode des Bundestags. Wenn die FDP-Politiker jedoch in den drei Bundesländern, in denen sie zusammen mit der CDU regieren, ihrer Bundestagsfraktion folgen, könnten sie die Stimmung der Länder neutralisieren, was doch noch zu einem Inkrafttreten der geplanten Neuregelung führen würde.

Die Gesetzesnovelle bringt zwei Änderungen des bisherigen Stasi-Unterlagen-Gesetzes: Paragraph 14 wird gestrichen. Damit ist sichergestellt, daß Betroffene auch in Zukunft auf keinen Fall die endgültige Schwärzung personenbezogener Daten in den Originalakten verlangen dürfen, was unter Umständen der Vernichtung der Akten gleichgekommen wäre.

Dieser Punkt ist kaum umstritten. Wichtiger, weil heftig umstritten, ist die Streichung des ominösen Halbsatzes in Paragraph 32, der die Herausgabe von Akten über Personen der Zeitgeschichte und Amtsträger nur dann erlaubte, wenn diese "nicht Betroffene oder Dritte sind." Da letzteres praktisch immer der Fall ist, wurde auf diese Weise der Sinn der Vorschrift in das Gegenteil verkehrt, was Altkanzler Kohl zu seinem Erfolg vor Gericht verholfen hat. Statt dieses nunmehr gestrichenen Halbsatzes wird ein komplett neuer Paragraph 32 a in das Gesetz eingefügt. Danach müssen die betroffenen Personen der Zeitgeschichte über den Inhalt der zur Veröffentlichung vorgesehenen Akten rechtzeitig informiert werden. Sind sie mit der Veröffentlichung nicht einverstanden, darf die Birthler-Behörde die Akten nur herausgeben, wenn "die Informationserhebung" nicht "erkennbar auf einer Menschenrechtsverletzung beruht."

Nach Auffassung des Bundesdatenschutzbeauftragten Joachim Jacob, der sich dabei auf die (nicht verbindliche) Begründung der Gesetzesänderung stützen kann, liegt eine solche Verletzung bereits dann vor, wenn zum Beispiel das Fernmeldegeheimnis gebrochen wurde. Da es sich bei den Akten von Helmut Kohl größtenteils um Abhörprotokolle und deren Zusammenfassung handele, sei nunmehr klargestellt, sagt Jacob, daß solche Informationen nicht an die Öffentlichkeit gelangen dürften.

Da kann man allerdings auch anderer Ansicht sein. Natürlich war die gesamte Existenz des Ministeriums für Staatssicherheit unter rechtsstaatlichen Aspekten zu beanstanden. Wer aber vom Staatsgebiet der DDR aus, etwa vom Brocken, Telefongespräche in der damaligen Bundesrepublik abhörte, machte sich in aller Regel weder nach seiner eigenen Rechtsordnung noch nach der westdeutschen strafbar, weil das Grundgesetz eben nicht auf dem Brocken galt. Ein überstaatliches Recht auf Schutz des Fernmeldegeheimnisses zu konstruieren, dürfte nicht zuletzt bei unseren Verbündeten von gestern und heute auf wenig Gegenliebe stoßen. Sie haben sich im "Kalten Krieg" bei der Nachrichtenversammlung mit technischen Mitteln nicht viel anders als das MfS verhalten und tun dies heute beim weltweiten Kampf gegen den Terrorismus erst recht nicht. Die USA zum Beispiel werden kaum geneigt sein, sich bei der Nutzung ihrer technischen Möglichkeiten eine Verletzung der Menschenrechte vorwerfen zu lassen. Daher steht die Annahme, die Abhörprotokolle etwa von Kohls Telefongesprächen seien auf menschenrechtswidrige Weise entstanden, auf politisch und juristisch wackligen Füßen.

Im Zweifel werden solche und andere Streitfragen von den Gerichten entschieden. Marianne Birthler stehen also auch bei einer positiven Entscheidung des Bundesrats am Freitag weitere Auseinandersetzungen ins Haus. Sie muß bei der Ausübung ihres Ermessens mit einflußreichen Feinden rechnen, die versuchen könnten, sie unter Druck zu setzen. Dennoch hat sie einen wichtigen Erfolg erzielt. Sie und ihre Mitarbeiter werden aber auch weiterhin Mut und Nervenstärke bei der Erfüllung ihres Auftrags benötigen.


 
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