© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    29/02 12. Juli 2002

 
"Strategisches Dokument"
Niederlande: Koalitionsvereinbarung steht / Maßnahmen gegen Kriminalität und Einwanderung in der Kritik
Jerker Spits

Ich verspreche zwei Dinge, wenn wir an der Regierung teilnehmen. Erstens: nach vier Jahren gibt es keine Wartelisten mehr im Gesundheitswesen. Zweitens: eine äußerst restriktive Ausländerpolitik. Wir empfangen jetzt vierzigtausend Asylbewerber im Jahr. Von mir aus demnächst nicht mehr als zehntausend", sagte Pim Fortuyn kurz vor seiner Ermordung durch den linksextremen Gewalttäter Volkert van der Graaf im Mai diesen Jahres.

Viele Fortuyn-Kritiker innerhalb und außerhalb der Niederlande hatten nach diesem Schock - zumindest insgeheim - gehofft, daß mit dem Tod des "Rechtspopulisten" auch solche und andere Forderungen zu Grabe getragen wurden. Doch entgegen den Vorhersagen zahlreicher "politischer Beobachter" haben jetzt der Christlich-Demokratische Appell (CDA), die Liste Pim Fortuyn (LPF) und die rechtsliberale Volkspartei für Freiheit und Demokratie (VVD) ihre Verhandlungen über eine Koalitionsvereinbarung erfolgreich abgeschlossen.

Die Unterhändler der drei künftigen Regierungsparteien, Jan Peter Balkenende (CDA), Gerrit Zalm (VVD) und Mat Herben (LPF) waren sich letzte Woche über die von der LPF mit Nachdruck verlangte Abschaffung der Sonderabgabe auf Kraftfahrzeugbenzin und die Abschaffung der Grundsteuer für Privatpersonen - eine der wichtigsten Forderungen der Rechtsliberalen - einig geworden. Der CDA, der die größte Fraktion stellt, konnte mit der Einführung von Steuervergünstigungen eine wichtige Forderung durchsetzen.

Zuvor hatten die drei künftigen Regierungsparteien sich bereits auf verschärfte Ausländergesetze sowie auf die Eindämmung der Zahl der Anspruchsberechtigten für die Berufsunfähigkeitsversicherung geeinigt (JF 27/02). Das Thema Sicherheit, das auch den Wahlkampf beherrscht hatte, steht in dem 48 Seiten umfassenden "strategischen Dokument" an erster Stelle. Geplant werden die Einführung einer allgemeinen Ausweispflicht und einer Kameraüberwachung an Orten mit erhöhtem Kriminalitätsrisiko, wie sie etwa in Bayern oder Großbritannien gehandhabt wird. Auch gegen die Produktion und den Handel von Rauschgift will man künftig strenger vorgehen. Die "Coffeeshops" - staatlich geduldete Verkaufsstellen für "weiche Drogen" - sollen aus der Nähe von Schulen und Landesgrenzen verdrängt werden. Die Rechtsprechung soll beschleunigt werden, das Polizei- und Justizpersonal wird aufgestockt. Für die Kriminalitätsbekämpfung stellt das künftige Kabinett insgesamt 700 Millionen Euro bereit. Mit der Verschärfung der Zuwanderungspolitik, durch die Reform der Finanzierung des Gesundheitswesens und in der Kriminalitätsbekämpfung hat die LPF ihre Handschrift deutlich sichtbar gemacht.

Auch ein interner Streit in der LPF um die Führung der Partei scheint inzwischen beigelegt. Die regionalen Führer der LPF hatten am 29. Juni dafür plädiert, daß der bisherige Parteivorstand unter seinem vorläufigen Vorsitzenden Peter Langendam und dessen Stellvertreter John Dost, bis zum Jahresende im Amt bleiben sollte. Auf der Allgemeinen Mitgliederversammlung der LPF am 3. Juli wurde aber doch nach dem Wunsch der LPF-Parlamentsfraktion eine neue Parteiführung gewählt. Langendam und Dost hatten schon vor dieser Versammlung ihren Rücktritt bekanntgegeben. LPF-Fraktionsvize Ferry Hoogendijk, ehemaliger Chefredakteur der politischen Wochenzeitschrift Elsevier (wo Fortuyn seine bissigen Kolumnen veröffentlichte), hatte in den letzten Wochen mehrere Male damit gedroht, daß die ganze Fraktion aus der Partei austreten könnte, wenn der Streit nicht im Sinne der Fraktion gelöst würde. LPF-Chef Mat Herben, der die Koalitionsgespräche zeitweilig zur Beschwichtigung der Krise verlassen mußte, bekam für seine Rolle in den Koalitionsverhandlungen von allen Anwesenden großen Beifall. Mit internen Machtkämpfen drohe die LPF ihren Ruf als unerfahrenes Sammelbecken der Unzufriedenen zu bestätigen, warnte Herben. Die Lösung des Konflikts hat zur Stärkung seiner Position beigetragen. Herben hatte zuvor wegen seiner "Durchnittlichkeit" in den Medien den Spitznamen "Mat Modaal" ("Mat Durchschnittlich") erhalten. Auch Martin Fortuyn, der Bruder des ermordeten charismatischen Parteigründers Pim Fortuyn, hat in den vergangenen Wochen mehrfach dazu aufgerufen, den Streit innerhalb der LPF zu beenden.

Die linken Parteien haben die Pläne der zukünftigen Regierung scharf kritisiert. Die neue Fraktionschefin der sozialdemokratischen "Partij van de Arbeid" (PvdA), Jeltje van Nieuwenhoven, kritisierte, daß die drei Parteien kein zusätzliches Geld für das Gesundheitswesen bereitstellten.

"Grün-links"-Fraktionschef Paul Rosenmöller konstatierte einen "Ruck nach Rechts". Der linksliberale Parteichef Thom de Graaf (D'66) meinte, die neue Regierung konzentriere sich zu sehr auf die Innenpolitik. Die neue Einwanderungspolitik nannte er "provinziell" und "konservativ". Auch das niederländische "Forum für interkulturelle Zusammenarbeit" nannte die Einwanderungs- und Integrationspolitik der neuen Regierung "besorgniserregend". Es sehe so aus, als ob die Niederlande die Grenzen dichtmachten, erklärte das Utrechter Institut. Die neue Regierung aus CDA, LPF und VVD verfügt mit 93 Mandaten aber über eine bequeme Mehrheit in der entscheidenden 150köpfigen Zweiten Kammer.

Die parlamentarische Linke hatte bei den Wahlen vom Mai das schlechteste Ergebnis seit Ende des Zweiten Weltkriegs erzielt. Die nationale Empörung nach dem Mord an Pim Fortuyn, der im Wahlkampf mit dem Slogan "Die Niederlande sind voll" auftrat, hatte sich vor allem auf die linken Parteien - PvdA, Grüne, D'66 - entladen, lediglich die oppositionellen Sozialisten legten zu. Die "anti-linke" Stimmung und der Rechtsrutsch bei den Wahlen haben aber die gesamte Linke in den Niederlanden verunsichert. "Wer links stimmt, ist ein Mörder" skandierten LPF-Anhänger noch am Abend des Fortuyn-Mordes vor dem Haager Parlamentsgebäude.

Zwar wurde am 11. Mai auf einem Treffen verschiedener linker Gruppen davor gewarnt, sich durch die "Anti-Links-Welle" einschüchtern zu lassen, nach wie vor finden jedoch keine Aktionen oder Demonstrationen statt. Es ist ganz anders als etwa in Österreich, wo nach der Bildung des ÖVP/FPÖ-Kabinetts von Kanzler Wolfgang Schüssel jeden Donnerstag Tausende Linke auf der Wiener Ringstraße gegen "Schwarz-Blau" mobil machten.

Weder auf den Straßen von Amsterdam noch vor den Haager Ministerien regt sich Protest gegen die neue Politik. Große Teile der niederländischen Bevölkerung halten die Linke nach wie vor für mitschuldig am Mord an Fortuyn - nicht ganz zu Unrecht.

 

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