© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    29/02 12. Juli 2002

 
BLICK NACH OSTEN
Lord Robertson und die kroatische Verfassung
Carl Gustaf Ströhm

Anläßlich seines jüngsten Be-
suchs in Zagreb soll sich Nato-Generalsekretär Lord Robertson besonders für die Verfassung Kroatiens interessiert und in schroffer Form eine Änderung des kroatischen Grundgesetzes verlangt haben. Nach den Vorstellungen des früheren britischen Außenministers sollten die Kroaten schleunigst jenen Verfassungsartikel streichen, in dem es sinngemäß heißt, daß jede Bestrebung zu einer Wiederherstellung Jugoslawiens oder Schaffung einer Balkan-Konföderation oder Zollunion verboten ist.

Übrigens beziehen sich diese Verbote keinesfalls auf die EU-Integration oder auf Zusammenschlüsse mit "nicht-jugoslawischen" Staaten. Die Väter der Verfassung von 1991 - nicht zuletzt der 1999 verstorbene erste Präsident Franjo Tudjman - wollten aber verhindern, daß Kroatien auf kaltem Wege wieder vom "Balkan" (und damit von Serbien) vereinnahmt wird - wie das ja schon nach 1918 und 1945 der Fall war.

Die am 3. Januar 2000, kurz nach Tudjmans Tod, bei den Parlamentswahlen ans Ruder gekommene Linkskoalition mit dem früheren KP-Funktionär Ivica Racan als nunmehr sozialdemokratisch gemauserten Premier hat diese "antibalkanische" mitteleuropäische Orientierung weitgehend ausgehöhlt, wobei hier westliche Wünsche (Kroatien als Teil eines sogenannten West-Balkan) mit kommunistischen Revanche- und Machtgelüsten eine seltsame Symbiose bildeten.

Jetzt wird der westlichen Politik zunehmend klar, daß sie seit Tudjmans Tod in Zagreb auf das falsche Pferd gesetzt hat. Die Linksregierung ist nach zweieinhalb Jahren am Ende. Ministerpräsident Racan ist zurückgetreten, nachdem Sozialliberalen-Chef Drazan Budisa die Koalition mit der Begründung verließ, die Regierung verteidige nicht energisch genug nationale Interessen, etwa im Falle des gemeinsam mit Slowenien betriebenen Atomkraftwerks Krsko oder in der Frage der slowenisch-kroatischen Grenzziehung.

Kroatien steckt nach der "neukommunistischen" Ära in erheblichen sozialen Schwierigkeiten und wird von einer grassierenden Massenarbeitslosigkeit, allgemeiner sozialer Unzufriedenheit - und Perspektivlosigkeit geplagt. In dieser Situation wäre es fast selbstverständlich, daß die seit Tudjmans Tod in die Opposition gedrängten national-kroatischen Kräfte mit der Tudjman-Partei HDZ (Kroatische Demokratische Union) an der Spitze das Ruder in die Hand nehmen. Jetzt aber zeigt sich, daß die kroatische "Rechte" in sich gespalten ist. In der HDZ tobte bis vor kurzem noch der Machtkampf zwischen dem "Pragmatiker" und Parteichef Ivo Sanader und dem Tudjman-Adepten Ivic Pasalic, der einen härteren, prinzipielleren Kurs steuern wollte.

Gleichzeitig ist ein Konflikt zwischen Sanader und der Familie des verstorbenen Präsidenten entbrannt. Sein ältester Sohn, Miroslav Tudjman, beschuldigt Sanader, das Erbe seines Vater verraten und eine große Koalition mit den Wende-Kommunisten schließen zu wollen. Sanader wiederum attackiert den jüngeren Tudjman als "ungetreuen Sohn" seines Vaters, der - anstatt sich der HDZ anzuschließen - eine eigene Partei, die "Kroatische Identität und Prosperität" (HIP) gegründet habe.

Es kann leicht sein, daß die kroatische "rechte Mitte" sich im Vorhof der Macht selber paralysiert. Das würde auf kurze Sicht das herrschende Chaos verstärken - auf längere Sicht aber möglicherweise zu ganz neuen Parteistrukturen und Willensbildungen führen. Vielleicht ist das der Grund, weshalb sich die Nato für die Verfassung Kroatiens interessiert.


 
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