© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    29/02 12. Juli 2002

 
Hollywood trifft Goethe
Wolfgang Scheidt

Weil ich nicht kommen kann, soll, was ich sende, mein ungeteiltes Herz hinüber- tragen. Mit Wonnen, Hoffnungen, Entzücken, Plagen: Das alles hat nicht Anfang, hat nicht Ende", haucht Marilyn Monroe lasziv aus dem Lautsprecher. Ob's Johann Wolfgang von Goethe freuen würde? Auch Demi Moore, Wionna Ryder, Julia Roberts und Isabella Rossellini lassen sich nicht lange bitten, sie flüstern, hauchen, flehen mit viel Pathos Liebesverse von Heinrich Heine, Rainer Maria Rilke und Theodor Storm. Vierzehn Synchronsprecherinnen, die sonst Hollywoods Sweet-
hearts intonieren, wagen sich an Goethes "Die Liebende abermals", Storms "Auf Wiedersehen" und Heines "Der Schmetterling" - und evozieren Schmetterlinge im Bauch des Zuhörers.

Eine hörenswerte Klang-Collage, eine mutige Liaison aus Hollywood und Lyrik bietet die neue CD"Liebesgrüße aus Hollywood 2". Zwei Jahre, nachdem ihre männlichen Kollegen romantische Liebesverse zum glamourösen Hörgenuß machten, darf nun auch das zarte Geschlecht der hohen Dichterkunst frönen. Von erotisch-devot über herrisch-fordernd bis arrogant-abweisend werden alle Facetten weiblicher Vibration geboten - nicht nur für männliche (Esels-)Ohren. Ein adäquater instrumentaler Klangteppich aus Chillout- und Café-del-Mar-Rhythmen verleiht den Versen Flügel. Doch die akustisch-visuelle Illusion wird erst perfekt, wenn klassisch konditionierte Filmsequenzen aus "Manche mögen's heiß", "Pretty Woman" und "American Sweethearts", Sternschnuppen gleich, in der geistigen Erinnerung des Hörers zu tanzen beginnen. Ein Lyrik-Film out of Hollywood.

Daniela Hoffmann, die Julia Roberts, Sharon Stone und Jamie Lee Curtis lachen, weinen und fluchen läßt, bittet zum akustischen Rendezvous mit Friedrich Hebbels "Sie sehn sich nicht wieder". Und wenn Drew Barrymore alias Nana Spier "Die Stille" von Joseph Freiherr von Eichendorff rezitiert, wünscht man sich in seine Schulzeit zurückversetzt. Ein Hauch Hollywood im Deutschunterricht, das wär's gewesen. Denn Heinrich Heine erzeugt noch heute mindestens eben soviel Gänsehaut wie Alfred Hitchcocks "Die Vögel", seine Poesie bietet, dank gehauchter Melancholie, bestes Kino im Kopf: "Um sechse des Morgens ward er gehenkt, um sieben ward er ins Grab gesenkt; sie aber schon um achte trank roten Wein und lachte." Heinrich, mir graut vor dir!


 
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