© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    29/02 12. Juli 2002


Neue Technologien: Aids-Bericht der UNO
Jede Minute fünf Menschen infiziert
Angelika Willig

Der aktuelle Aids-Bericht der UNO meldet eine erneute weltweite Zunahme von Infizierten. Wenn sich nichts Durchgreifendes ändert, werden bis 2020 weitere 68 Millionen Menschen an der Immunschwäche-Krankheit sterben, die meisten davon in Afrika, aber neuerdings auch in Rußland und China. Für manche wird diese Nachricht gar nicht so schlecht klingen. Immerhin ist die Reduzierung der Weltbevölkerung unser wichtigstes Ziel. Es scheint, daß die Natur hier einen eigenen Ausweg gefunden hat.

Doch so einfach ist es nicht. Bernhard Schwartländer, Chefepidemologe von UN-AIDS, betont ausdrücklich: "Die Behandlung von Infizierten ist eine ganz wichtige Voraussetzung, daß die Präventionsstrategien greifen können." Indirekt weist er damit die Vorstellung zurück, das Problem werde sich naturgesetzlich von selbst erledigen. Die betroffenen Afrikaner leben nicht im Dschungel. Ihre schwachen Volkswirtschaften werden durch die Versorgung der Kranken massiv belastet. Kinder gehen nicht mehr zur Schule, weil sie die Eltern pflegen oder für den Lebensunterhalt sorgen müssen. Mädchen geraten noch früher in die Prostitution. Immer ferner rückt die Hoffnung, mit steigendem Wohlstand und besserer Aufklärung zu vernünftiger Geburtenplanung und kontrolliertem Sexualverhalten zu kommen. Statt auf die Natur muß der Mensch auf die Ethik setzen - nach dem Verlassen der Höhle bleibt ihm gar nichts anderes übrig.

Auch in den westlichen Ländern haben alle Kampagnen für "Safer Sex" per Kondom nicht den erhofften Durchbruch gebracht. Mit der Sorglosigkeit nimmt hier nach Anfangserfolgen die Zahl der Neuinfektionen wieder zu: um 20 Prozent zwischen 1995 und 2000. Daher wirbt Präsident Bush in einer aktuellen Kampagne für voreheliche Enthaltsamkeit: "Wahre Liebe wartet." Auch da sind die Erwartungen bereits gedämpft. In der Fachzeitschrift British Medical Journal sagt eine Studie, daß nach staatlich gesteuerten Kampagnen gegen ungewollte Schwangerschaft sogar mehr Mädchen schwanger geworden seien. Wenn die Maßnahmen auch die Abschaffung des Sexualkunde-Unterrichts einschließen, wie Bush es vorsieht, kann man sich das erklären.

Unterdessen bringt die Forschung einen neuen Ansatz für die medikamentöse Behandlung. Eingeschleuste Genfragmente sollen den Vermehrungszyklus von Zellen hemmen, die durch Aids-Viren befallen sind. Viren haben die teuflische Eigenschaft, in Zellkerne einzudringen und dort die Kommandozentrale zu besetzen. Um die Zellmembran nicht zu verletzen, müssen die "U-Boote" zuvor in Proteine aus Fischen verpackt werden. Höchste menschliche Intelligenz mißt sich mit den Folgen eines primitiven Bedürfnisses. Diese Woche beginnt in Barcelona die 14. Internationale Aids-Konferenz mit Hunderten von Spezialisten. An Sex wird dabei kaum einer denken.


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen