© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    30/02 19. Juli 2002

 
Kein Verständnis für die Marktwirtschaft
Kroatien: Anläßlich der Regierungskrise erfährt die Politik von Premier Racan erstmals massive Kritik aus den USA
Carl Gustaf Ströhm

Die Regierungskrise in Kroatien, die ihrerseits wiederum Ausdruck einer Staatskrise ist, wurde nach dem Auszug des größten Teils der Sozialliberalen (HSLS) aus der Fünfer-Koalition mit den Sozialdemokraten (SDP) von Ivica Racan formal beigelegt. Präsident Stipe Mesic beauftragte den demissionierten Premier mit der Neubildung der Regierung. Der 58jährige Ex-Kommunist Racan erklärte, er wünsche sich in Zukunft eine Regierung, die "europäischer" sei, besonders wegen der Annäherung Kroatiens an die EU. Im wesentlichen wird sich seine Linkskoalition auf die SDP, die Bauernpartei (HSS), die Kroatische Volkspartei (HNS) - aus der Präsident Mesic hervorging - und die Liberalen sowie einige abtrünnige HSLS-Minister stützen. Ob diese geschwächte Koalition bis zu den Wahlen 2004 halten wird, erscheint zweifelhaft.

Bezeichnend ist jedenfalls, daß von zwei einflußreichen Kräften zunehmende Kritik an der gegenwärtig in Kroatien herrschenden Richtung laut wird: einmal aus den USA, wo die bisherige "Verherrlichung" des Mitte-Links-Kabinetts plötzlich durch neue, sogar scharf negative Urteile übertönt wird. Zum anderen aus der katholischen Kirche, die in der Zagreber Kirchenzeitung Glas Koncila vor einem weiteren "Linksruck" in Kroatien warnt.

Racan habe in seiner Koalition jene Ex-Kommunisten um sich geschart, die "nach der Niederschlagung des kroatischen Frühlings" auf grobe Weise das gesellschaftliche Leben und die Politik des Landes von allen Kräften "gesäubert" hätten, welche kroatisch - sprich: national - fühlten. Die Kommunisten, so Glas Koncila, hätten in den kroatischen Nationalkörper eine tiefe Kluft geschlagen - und die KP-Nachfolgepartei SDP habe den Ruf geerbt, "anational" zu sein. Das offizielle Kirchenblatt lobt den verstorbenen ersten Staatspräsidenten Franjo Tudjman, weil dieser versucht habe, eine Versöhnung zwischen "den Partisanen und Ustascha", zwischen der historischen kroatischen Linken und Rechten, zustandezubringen. Dieses Projekt aber habe mit einem Mißerfolg geendet. Die Gegensätze, besonders, wenn sie auf nicht verheilten historischen Wunden beruhen, seien besorgniserregend. Glas Koncila stellt die Frage, ob sich jetzt der "anationale Trend" in Kroatien womöglich noch verschärfen wird. "Bedeutet diese Spaltung auch eine weitere Verschiebung der Lösung schicksalhafter Fragen, die für das Wohl des kroatischen Volkes bzw. für die nationalen Interessen Kroatiens wichtig sind?"

Fast gleichzeitig befaßt sich die als regierungsnah geltende Washington Times ungewöhnlich kritisch mit den vergangenen zweieinhalb Jahren: "Ex-Präsident Franjo Tudjman muß sich im Grabe umdrehen". Sein Erbe sei seit dem Machtantritt der Linkskoalition diskreditiert. Tudjman sei, bei all seinen Fehlern, doch ein prinzipienfester Nationalist gewesen. Er habe 1991 die Unabhängigkeit Kroatiens ermöglicht. Der Schlüssel zu seinem Erfolg - hier argumentiert das zweitgrößte Washingtoner Blatt ähnlich wie Glas Koncila - sei die Politik der Versöhnung zwischen den kroatischen Antikommunisten und den ehemaligen Marxisten gewesen, welche dem roten jugoslawischen System gedient hätten. Heute, fast drei Jahre nach Tudjmans Tod, stecke Kroatien in einer politischen und wirtschaftlichen Krise.

Racans Regierung sei, obwohl sie Reformen versprach, für die meisten Kroaten zur tiefen Enttäuschung geworden. Die Probleme des Landes haben sich weiter verschärft, Kroatien sei zu einem wirtschaftlichen "Faß ohne Boden" geworden. Die Washington Times spricht von zehn Milliarden Dollar Auslandsschulden und von einer Verdoppelung der Arbeitslosenzahlen.

Während die EU und die USA Racan bislang als "ihren Mann in Zagreb" betrachten, stelle sich nun heraus, daß dies ein Irrtum sei: "So wie die meisten Ex-Kommunisten in Osteuropa, hat Racan kein Verständnis für eine offene Marktwirtschaft". Kroatiens wirtschaftliche Flugbahn sei nicht jene eines aufstrebenen europäischen Staates, der schließlich den Lebensstandard Italiens, Österreichs oder wenigstens Polens erreiche. Viel eher gehe sie in Richtung Argentinien. Statt durchgreifender Steuersenkungen und marktwirtschaftlicher Reformen habe die Racan-Regierung nur zögernde Schritte zur Privatisierung unternommen. Sie habe nichts getan, um die "massive" Bürokratie zurückzudrängen, welche die ökonomische Dynamik erstickt.

Die in Zagreb herrschende Koalition, heißt es in der Washington Times, sei "voll von ex-kommunistischen Apparatschiks, die der Demokratie und dem Rechtsstaat feindselig gegenüberstünden". Racan und der 67jährige Präsident Mesic seien als Mitglieder der KP des alten Jugoslawien geformt worden, als das Land noch durch den "brutalen Diktator" Josip Broz Tito regiert wurde. Während Titos Regime der eisernen Faust seien Hunderttausende kroatischer Bauern, Dissidenten, Intellektueller und Priester ermordet oder inhaftiert worden. Racans Regierung setze die Praxis Titos fort, alle Opponenten und Gegner als "Faschisten" anzuschwärzen. Heute gebe es in Kroatien weniger Meinungsfreiheit als unter Tudjman.

Der größe Trumpf Racans aber sei die Zerstrittenheit der Opposition. Die größte Oppositionspartei, die von Tudjman gegründete HDZ (Kroatische Demokratische Union) werde von innerparteilichen Konflikten geschüttelt und HDZ-Chef Ivo Sanader führe sich wie ein "neokommunistischer Rowdy" auf, der alle Kritiker aus ihren Positionen innerhalb der HDZ entferne. Er und seine Umgebung sollen, so die Washington Times, jene wenigen westlichen Journalisten eingeschüchtert haben, welche diesen undemokratischen Griff nach der Macht beim Namen nennen wollten. Die Washington Times stellt eine düstere Prognose: Die herrschende Linkskoalition werde schon mangels glaubwürdiger Alternative an der Macht bleiben. Deshalb werde Kroatiens Fall in den "wirtschaftlichen Abgrund" unvermindert weitergehen. "Man fragt sich, was Mr. Tudjman jetzt wohl denken würde", endet der Artikel.

Glas Koncila und Washington Times bestätigen beide die Richtigkeit der Analysen einer kleinen Minderheit von westlichen Südost-Fachleuten, die von Anfang an den neokommunistischen Charakter des Zagreber Regimes durchschauten. Die meisten westlichen Politiker dies- und jenseits des Atlantik wollten das bisher nicht wahrhaben.


 
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