© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    30/02 19. Juli 2002

 
Illusionen der Technik
Dritte Wege: Vor 25 Jahren starb der Schriftsteller Friedrich Georg Jünger
Jerker Spits

Zusammen mit seinem Bruder Ernst gehörte Friedrich Georg Jünger (1898-1977) zu den führenden Köpfen der Konservativen Revolution. In seiner politischen Publizistik der zwanziger Jahre verwarf er den "plutokratischen Novemberstaat", an dessen Handlungen und Maximen er keinen Anteil haben wollte. Fortschrittsskeptizismus und Technikkritik machen seine vom scharfen Intellekt getragenen philosophischen Essays bis heute lesenswert.

Der Bruder von Ernst Jünger wuchs in Hannover und am Steinhuder Meer auf. Gemeinsam mit Ernst wurde er 1911 Mitglied des Wandervogel. Nach dem Gymnasium zog er 1916 in den Ersten Weltkrieg. In der Schlacht bei Langemarck wurde er im Juli 1917 schwer verwundet. Bis 1920 blieb Friedrich Georg Leutnant der Reichswehr, nach seinem Jurastudium in Leipzig und Halle war er kurz als Rechtsanwalt tätig, bevor er sich 1928 als freier Schriftsteller und Publizist in Berlin niederließ.

Als konservativer Revolutionär beteiligte er sich 1927 an verschiedenen national-revolutionären Zirkeln und stand somit an der Speerspitze der jungen nationalistischen Bewegung. Als rechter Intellektueller suchte er eine Alternative jenseits des wilhelminischen Obrigkeitsstaates und des demokratischen Verfassungsstaates. 1926 veröffentlichte Friedrich Georg die Schrift "Aufmarsch des Nationalismus" , in der er sich gegen die Weimarer Reichsverfassung wandte und die Idee des allgemeinen Fortschritts als "flachen Optimismus der Aufklärung" ablehnte (JF 27/01). Die NSDAP lehnte Jünger ebenso strikt ab wie die anderen Parteien. 1934, also ein Jahr nach der nationalsozialistischen Machtergreifung, erschien sein Gedicht "Der Mohn", in dem es hieß: "Schmerzend hallt in den Ohren der Lärm mir, mich widert der Taumel, / Widert das laute Geschrei, das sich Begeisterung nennt."

Thomas Mann, der sich zu dieser Zeit bereits im Schweizer Exil befand und Friedrich Georg zuvor als "jungen Dynamitar und fascistischen Revolutionär" bezeichnet hatte, sprach von einer "fabelhaften Aggressivität gegen die Machthaber".

Nach dem Zweiten Weltkrieg trat Friedrich Georg zunehmend als Erzähler hervor. Seine Romane "Der erste Gang" (1954) und "Zwei Schwestern" (1956) bestehen weitgehend aus einzelnen Skizzen, Reflexionen und Erinnerungen. Wie Oberst Waldmüller, die Hauptfigur aus "Der erste Gang", verspürte auch Friedrich Georg das "Wehen einer rätselhaften, unenträtselten Zeit". Veränderungen deuteten sich an, die über die beiden miterlebten Kriege hinausgingen; die Technik dominierte zunehmend, die alte Ordnung war zertrümmert, der Mensch erschien zunehmend als Genotyp. "War dieser Krieg nur die Verrechnung alter Schuld und Schulden, oder lag in seinem Hervorbrechen ein neuer Ansatz, eine neue Ordnung?" In seinem dritten und letzten Roman "Heinrich March" (postum 1979) verfolgte Friedrich Georg die Lebenswege der Söhne einer niedersächsischen Pastorenfamilie, die sich in einer traditionslos gewordenen Welt nicht mehr zurechtfinden.

Großes Aufsehen erregte 1946 wegen seiner Technikkritik die Studie "Die Perfektion der Technik", in der Jünger die Entwicklung des modernen technischen Zeitalters scharfsinnig kommentierte. Die Schrift findet in Heideggers seinsgeschichtlichen Erörterungen des Wesens der Technik eine aufschlußreiche Entsprechung. Die Frage nach dem Stellenwert der Technik in der modernen Lebenswelt hatte Friedrich Georg Jünger seit seiner Jugend beschäftigt. Von seinem Vater, der Chemie studiert hatte, war er im Geist der modernen Naturwissenschaften erzogen worden. Der rationalistischeFortschrittsoptimismus genügte ihm aber nicht, die sinnlich-geistige Erfahrung war ihm wichtiger. Auch Ernst Jünger, der die neue technische Grundordnung in seinem Buch "Der Arbeiter" (1932) noch entschieden begrüßt hatte, sollte sich nach dem Zweiten Weltkrieg enttäuscht von dem rasanten, alle Lebensbereiche durchdringenden Einfluß des "Titans" Technik abwenden, wobei er sich wesentlich an den Schriften seines Bruders orientierte.

Doch heute scheint Friedrich Georg Jünger, anders als sein Bruder, ein fast vergessener Autor zu sein. Zu Unrecht. Stefan Breuer hat in seiner "Gesellschaft des Verschwindens" (1992) gezeigt, wie überzeugend sich auch in unserer Zeit mit Friedrich Georg Jüngers Technikkritik argumentieren läßt. Und als vor zwei Jahren an der Universität Heidelberg ein internationales Symposion sich dem Technikbegriff der beiden Brüder widmete, wurde scharfsinnig über die literarischen und publizistischen Schriften Friedrich Georgs diskutiert. Eine breitere Aufnahme von Friedrich Georg Jüngers Schriften steht aber noch aus.

Vor fünfundzwanzig Jahren, am 20. Juli 1977, starb Friedrich Georg Jünger in Überlingen. Er war, nach den Worten seines um drei Jahre älteren Bruders, "ein Geistesverwandter", mit dem ihn "manche unsichtbare Fäden verbanden".


 
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