© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    30/02 19. Juli 2002

 
Zwillinge im Geiste
Die Brüder Ernst und Friedrich Georg Jünger pflegten ein besonders enges Verhältnis zueinander
Tobias Wimbauer

Für Ernst Jünger war sein Bruder Friedrich Georg der vertrauteste seiner Geschwister und auch derjenige unter seinen Lesern und Freunden, der ihm am nächsten war.

Die gemeinsamen Gänge in den Zeiten ihrer Kindheit haben beide in ihrer anschauenden Liebe zur Natur geprägt. Beide waren als Kriegsfreiwillige in den "Stahlgewittern" des Ersten Weltkrieges. Bei Langemarck rettete Ernst Jünger seinem schwerverwundeten Bruder das Leben. "Meinem Bruder Fritz zur Erinnerung an unseren Tag in Langemarck", lautet die gedruckte Widmung in Ernst Jüngers Kriegsbuch "Der Kampf als inneres Erlebnis". Friedrich Georg Jünger setzte das Geschehen in der Elegie "An meinen Bruder Ernst" dichterisch um ("Schweigend, mit Tränen begrüßten wir uns. Wie ein Wunder ergriff mich / In der Verwesung Gefild dieser Begegnung Gewalt").

Zwischen den Kriegen waren beide im Dienste der geistigen "deutschen Mobilmachung" tätig. Ende der zwanziger Jahre folgte Friedrich Georg Jünger seinem Bruder nach Berlin: "Ich kam, weil Ernst dort war, weil unser Gespräch keine Unterbrechung duldete (...). Dieses Gespräch geht in meiner Erinnerung weit zurück, bis in die frühe Zeit, in der wir in der gleichen Kammer schliefen und er mir Märchen und selbsterfundene Geschichten erzählte (...). In einem Gespräch, das lange Zeiten hindurch geführt wird, weckt jeder Gedanke Erinnerungen, jede Erinnerung Gedanken. Ein solches Gespräch setzt vieles gemeinsam Bekannte und Vertraute voraus, und die leiseste Andeutung genügt, um Türen zu weiten Bereichen zu öffnen."

Die Brüder unternahmen gemeinsam etliche Reisen, die mitunter bei beiden literarische Früchte trugen. Oftmals waren sie auch die ersten Leser der Manuskripte des anderen.

"Die Nähe von F.G. ist seit den Kindertagen ein großer Trost für mich", notierte Jünger im Tagebuch "Gärten und Straßen". "Zuweilen, in heiteren Stunden fühle ich dem Schicksal gegenüber nicht nur die Dankbarkeit des Menschen, der ein gutes Los gezogen hat, sondern auch eine Art Erstaunen darüber, daß mir außerdem noch eine Prämie von der gleichen Höhe zugefallen ist, durch unsere Bruderschaft", schrieb Jünger in den "Strahlungen".

Befanden die Brüder sich nicht in räumlicher Nähe, führten sie eine stetige Korrespondenz. Die Publikation dieses Briefwechsels steht noch aus. Die Briefe dürften so manche Überraschung bergen, nicht nur, weil Ernst Jünger, wie er im Tagebuch notierte, auf die Bruderbriefe so große Sorgfalt verwandte, wie er sie nur wenigen Briefpartnern zuteil werden ließ, sondern auch, da er, wie die zitatweise publizierten Auszüge erahnen lassen, dem Bruder gegenüber in größter Offenheit schrieb.

Die Einladung zur neugegründeten "Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung" lehnte Friedrich Georg Jünger 1949 mit dem Hinweis ab, daß ein Gespräch beim Spaziergang mit Ernst Jünger ergiebiger sei als alle Sitzungen, von denen sein Bruder sich fernhalte.

Der Tod Friedrich Georg Jüngers wird in Ernst Jüngers Tagebüchern "Siebzig verweht" nur gleichnishaft wiedergegeben, in einem Traumbild: "Am Boden wuchsen Pilze mit kugelförmigem Fuß und winzigem Kopf. Ich fragte Friedrich Georg nach dem Namen; er kannte ihn und sagte, es sei eine köstliche Art. Solche Gespräche haben wir oft geführt. Ich sah, daß die Haare des Bruders sich verändert hatten - goldene Strähnen durchflochten die grüne Patina. Dabei fiel mir ein, daß er gestorben war."

Einmal, wie Armin Mohler berichtet, erwiderte Ernst Jünger den Vorwurf eines Kritikers, daß sein "Olymp" unvollständig sei: "Ja, aber zusammen mit dem meines Bruders ist er vollständig."

In einer Ansprache anläßlich des 65. Geburtstages seines Bruders bekannte Ernst Jünger: "Wenn Brüder von Kind an und während langer Jahre neben- und miteinander leben, wenn sie sich auf ihren täglichen Gängen und auf Reisen begleiten, wenn sie dieselben Bücher lesen und sich im gleichen Freundes- und Bekanntenkreis bewegen und wenn sie dabei einen ständig wachsenden Schatz von Erfahrungen sammeln, den sie, oft bis über die Mitternacht hinaus, in Gesprächen abgleichen, dann läßt sich im einzelnen kaum entscheiden, wer hier der Gebende und wer der Empfangende, wer der Anregende und wer der Angeregte war. Oft scheint vielmehr die individuelle Sonderung zugunsten einer Art von osmotischem Austausch aufgehoben zu sein."


 
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