© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    30/02 19. Juli 2002

 
Westernhelden in der Großstadt
Literatur: Bodo Kirchhoffs "Schundroman" segelt im Windschatten Walsers auf Erfolgskurs und schreit nach einer Verfilmung
Wilhelm Setzer

Der Medienterror gegen Martin Walser und der Pressewirbel um Bodo Kirchhoffs "Schundroman" enthüllen ein und dasselbe Desaster: die Literaturkritik hierzulande ist auf den Hund gekommen.

Die Marketingstrategen der Frankfurter Verlagsanstalt und ihre Amigos in den Zeitungsredaktionen des Spiegel, der FAZ und sonstiger Gazetten wollten der Öffentlichkeit doch weismachen, Kirchhoff habe sich genau wie Walser polemisch den korrupt-verlotterten Literaturbetrieb vorgenommen. Bei ihm werde der Großkritiker alias Marcel Reich-Ranicki sogar wirklich umgebracht.

Nichts als dreiste Desinformation und viel heiße Luft.

Auch dem Autor Kirchhoff dürfte mit solchem Etikettenschwindel nicht gedient sein. Dessen "Schundroman" fände sein Publikum besser ohne diese charakterlosen Manipulationen. Denn der Autor hat das Zeug zu einem großen kommerziellen Publikumsliebling, der Massenauflagen erreichen kann, weil er weiß, wie man eine große, sentimentale Gangsterstory schreibt. Doch er gehört nicht in die Klasse von Peter Handke, Botho Strauß und Eckhard Henscheid.

Bodo Kirchhoff ist ein zeitgemäßer Unterhaltungsschriftsteller, der weiß, in welchen Illusionen seine Leser gerne schwelgen. Dabei bewegt er sich durchaus gekonnt an der Grenze zum Schwulst. Gelegentlich läßt er sogar sein satirisches Talent aufblitzen, das freilich, besänne er sich ganz darauf, nur kleinere, sehr bescheidene Auflagen mit sich brächte.

Heben wir also ab ins Reich der Hollywoodgefühle. Über den Wolken treffen wir den Westernhelden Willem Hold, einen melancholischen, vom Leben gegerbten Killer. Im Anflug auf Frankfurt am Main, von Manila her kommend, verfällt er sogleich dem Charme der Lou Schultz, einer luxuriösen Beauty, gleichsam der S-Klasse der Prostituierten. Hold soll in seiner Heimatstadt, wo er wegen Mordes auf der Fahndungsliste steht, für 50.000 Euro einen Leasing- Krösus namens Busche vom Erdboden wegpusten.

Lou Schultz begehrt, kaum ist man in Frankfurt gelandet, Schutz vor zudringlichen Schattenmännern. Sie lauerten ihr am Flughafen auf, da die Erben des reichen Mannes, der bei ihr jüngst auf perverser Hochtour seinen letzten Seufzer verhauchte, sie des Mordes verdächtigen. Die Erben bezichtigen Lou Schultz nicht nur des rücksichtslosen Lustmordes. Auch einen sündteuren Picasso soll sie gestohlen haben.

Die Duftmarken der neuen deutschen Weltläufigkeit sind also mit wenigen Strichen in Szene gesetzt. Kein deutscher Provinzroman, nicht Kleinmachnow. Nein, Frankfurt, Manila, die große weite Welt: Picassos, High-Tech- Kanonen, Edelhuren, Killer und Luxusuhren gehören zu den Accessoires dieses Romans.

Willem Hold erkennt sofort den blonden Privatdetektiv, der nach Lou Ausschau hält. Ihn gilt es also abzulenken. Zu diesem Behufe führt uns der heroische Faustrechtler sogleich seine horrende Technik vor: Einen beliebigen, zum Überfluß erklärten Kandidaten, räumt er blitzschnell "per Ellenbogencheck" von der Szene. Dabei leistet er versehentlich gründlichere Arbeit, als er beabsichtigte und tötet rein zufällig den berühmten Literaturkritiker Louis Freytag. Den kannte er gar nicht, registrierte dessen Konterfei aber in der aufgeschlagenen Zeitung Freytags und entschied blitzschnell, der Berühmte möge für das Ablenkungsmanöver geeignet genug sein.

Das war's schon. Deshalb mußte der Kirchhoff-Roman unbedingt zeitgleich mit dem Walsers herauskommen. So trickreich und wirkungsvoll verfolgt man im Hause des jungen Joachim Unseld mit getürkten Pressemeldungen ganz gewöhnliche Reklame- und Anzeigenzwecke. Und willige Journalisten sind jetzt beim großen Zeitungssterben gewiß "im Dutzend billiger" zu haben.

Denn weder dieser Kritiker noch Literatur überhaupt sind Hauptthemen des Romans, allenfalls Hintergrundsornament, Stimmungsstoff.

Es ist eben Buchmessenzeit im Frankfurt des Schundromans. Ja, es kommt einiges zusammen. Die Welt ballt sich sozusagen, bevor sie sich zu einem knisternden Knoten schürzt, wie einst bei John Wayne und den Pionieren einsamster, heroischer Prärie-Männlichkeit.

Als Kontrast zu dem heroischen Paar lädt uns der Autor in eine kleindeutsche, linksliberale Szene ein. In eine Wohngemeinschaft, mit all den nabelhaften Gebrechen der letzten Dezennien: Ehescheidung, Kindertrennung, Frauenstolz, Studium, Beamtenlaufbahn - alles hat nicht geklappt. Die spontihaften Diskursreste, noch überall in der Atmosphäre herummuffelnd, wirken etwas vergilbt und spießig.

Helene, die ehemalige Kriminalkommissarin, kommt mit der teuren Wohnung nicht mehr klar, da sie ihren Ex-Mann - zur Erzählzeit arbeitslos und vormals Art Direktor bei einer PR- Agentur - aushalten muß und ihren halbwüchsigen Sohn Kasimir dazu. Also scheidet sie aus dem Dienst, privatisiert ihren Job zum kommerziellen Detektivbüro und sieht sich einstweilen gezwungen, die teure Wohnung mit dem Kollegen Carl Feuerbach zu teilen, bis die Geschäfte so richtig anspringen würden. Diesen kennen wir schon als den blonden Bullen vom Flughafen. Mit ihm hat sie den Picassoauftrag an Land gezogen. Ein weiteres Zimmer vergibt sie an die junge Theologiestudentin Nola. Außer den dreien schleicht noch die Katze Naomi in der kleinen Nobelherberge herum. Naomi, Nola, Lou Schultz - zweifellos: Kirchhoff kennt seine Sponti- und Skyline-Provinz Frankfurt. Aber er träumt eben vom doch viel wilderen Westen.

Die kleine Komödie, die sogleich in diesem kleingeistigen Milieu aufkeimen will, da beide Frauen Feuerbach begehren, dieser weniger Nola, dafür Helene, seine Kollegin, alle drei aber sich nicht trauen, - diese lustige Szene führt der Autor leider nur am Rande aus, da er eben mit jenem weltläufigeren Heroenstoff beschäftigt ist. Kirchhoff hat die Rufe jener Lektoren noch gut im Ohr, die seit Jahren den berüchtigten Weltstoff in der deutschen Literatur einfordern. Am besten den Berlin-Roman. Denn nur ein solcher könne auch in großen Auflagen in alle Welt verkauft und übersetzt werden.

Wie es der dramaturgische Zufall will, plant der Killer Willem Hold seinen großen Coup, den Mord des Leasing- Krösus, genau in jenem feinen Restaurant am Opernplatz, in welchem sich auch das Schnüfflerpärchen einfindet, pünktlich zur Tatzeit. Carl und Helene haben noch nicht bestellt, da steht Willem bereits mit Kanone und Maske über dem Kopf im Lokal, Furcht und Zittern verbreitend. Er wittert plötzlich, daß sein ferner Auftraggeber ihn hier opfern will. Nervös knallt Willem statt Busche den falschen gedungenen Komplizen ab. Doch die Situation läuft ihm aus dem Ruder. Auch die Gattin Busches scheint eingeweiht in den Mord. Verwirrt entschließt er sich schnell zur Flucht.

Dann endlich kommt die Stunde der großen Leidenschaft. Willem bestellt Lou , - Lou Schultz - ein Name wie ein Netzstrumpf in der Skyline Frankfurts! - in seine Absteige, ein lumpiges, kleines Hotel im Frankfurter Ostend. Die große Killer-Romanze mit einer Frau, die künftig eine der großen Sex-Ikonen der Kirchhoff-Gemeinde sein könnte, hebt an. Es kommt erwartungsgemäß voll zum zart ausgestalteten Hardcore-Sex, aber es geht weit darüber hinaus. Mythische Gewalt und Furchtlosigkeit überspringen, ja paaren sich hier. Dieser Sex ist eine schwarze Messe der illusionslosen Liebe, voller Western-Metaphysik, in welcher das ganze Leiden des verkannten Paares breitwandhaft aufgehoben scheint.

Hier schreit der ganze "Schundroman" am grellsten nach Verfilmung. Der deutsche Film fände hier gewiß sein langersehntes Objekt der Begierde.

Aber schon geht es atemlos weiter. Zu weiteren Morden. Hold nötigt Busche zum Selbstmord, nachdem er seine getötete Geliebte, scheußlich gepfählt in ihrem Luxusliebesnest, auffindet. Aber nicht Busche, sondern ein alter Widersacher aus Jugendzeiten stellt sich als der Zuhälter Lous heraus, der das Verbrechen beging. Willem sinnt auf Rache. Er setzt die Witwe Busches unter Druck, preßt ihr jede Menge Kohle ab und braust mit ihr an den Gardasee, wo es schließlich zum donnernden Showdown kommt. Hier in der filmisch grandiosen, mit Mafiafarben ausgestatteten Kulisse trifft er seinen alten Peiniger. Dieser hatte ihn einst in der Jugend am männlichsten Glied mit Spannlack verletzt. Auch sein Auftraggeber Narciso aus Manila ist da, beide lauern sie ihm schon auf. Aber Willem ist schließlich der professionellere Killer und räumt sie brutal und gnadenlos aus dem Weg.

Der Roman tritt in seine blutrünstigste, grausamste Phase. Sollte das nicht zugleich eine Sternstunde der deutschen Literatur sein?

Nein, natürlich nicht. Auch von deutscher Literatur im emphatischen Sinne kann keine Rede sein. Kirchhoff bringt seiner Zielgruppe - vom schmökernden Friseur bis zur Ablenkung suchenden Zahnärztin - mit diesem grellen, von Klischees wimmelnden Sex & Crime-Plot einen schlicht zeitgemäßen, coolen Spaß. Und er will naturgemäß damit mächtig imponieren. Schließlich kennt er sich wie kein zweiter aus bei den Weibern, im Sex, mit den Waffen und den teuren Uhren. "Das geht schwer in Ordnung", werden jene Fans sagen, die der neue "Schundroman" blendend unterhalten wird.

Doch warum begeht Kirchhoff den bösen Fehler, seinen Helden Hold, nachdem dieser das Äußerste durchlitten hat, am Ende nicht sterben zu lassen? Warum läßt er ihn ausgerechnet mit der banalen Busche-Witwe als Ersatzgeliebte, die sich zudem als Trivialautorin betätigt, einfach weiter fretten?

Das scheint unverzeihlich, das verstößt gegen sämtliche Regeln aller Schundromane. Da ist dem weltkundigen Jetset-Autor am Ende doch noch ein schwerer Patzer unterlaufen.

Bodo Kirchhoff: Schundroman. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2002, 316 Seiten, geb., 19,80 Euro

 

Wilhelm Setzer, 53, ist promovierter Literaturwissenschaftler und arbeitet als freier Autor für den Rundfunk und verschiedene Zeitungen. In der JF 28/02 rezensierte er den neuen Roman von Martin Walser, "Tod eines Kritikers".


 
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