© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    30/02 19. Juli 2002


Neue Technologien: Diätmethoden
Lieber tot gehungert als fett gefressen
Angelika Willig

Mit Silikon läßt sich allerhand anstellen. Daten speichern, Busen vergrößern und Gewicht reduzieren. Hierzu wird eine Silikonschlinge im oberen Bereich des Magens angebracht; man verspricht sich davon eine Dämpfung des Hungergefühls und Reduzierung der aufgenommenen Nahrung. Diese Technik ist keineswegs exotisch: in Deutschland sind es 500 Patienten im Jahr, in Frankreich sogar 7000, und dort wird der Eingriff auch von der Kasse bezahlt. Allerdings ist gerade wieder eine Frau an den Folgen der kleinen Operation verstorben; in den letzten zwei Jahren ist es das vierte Opfer. Der Ring hatte den Magen völlig verschlossen, Übelkeit und Erbrechen wurden nicht richtig diagnostiziert.

Es ist leicht, solche Fälle als "arme Irre" abzutun. Doch der Irrsinn mit den Diäten nimmt immer noch zu, neuerdings sind Männer fast ebenso betroffen. Und gleichzeitig mit den Abmagerungstechniken nimmt das Übergewicht zu, schon bei Kindern. Es ist also nicht bloß ein leerer Wahn, wenn junge Menschen Angst vor dem Fettwerden haben. Diese Angst ist durchaus berechtigt. Speziell die Kandidaten für die Silikonschlinge leiden an extremem Übergewicht. Nur jeder Zehnte schafft es, mit herkömmlichen Methoden davon runterzukommen.

Die meisten glauben, daß der Körper schon von allein wisse, wann sein Bedürfnis nach Nahrung gestillt sei. Das ist ein Irrtum, wie die vielen verfetteten Hunde und Katzen beweisen. Es gibt keine genetische Eßbremse. Auf die Evolution haben sich die Wohlstandskrankheiten nie ausgewirkt, weil seitdem gar keine natürliche Auslese mehr stattfindet. Brutal ausgedrückt: Nur wenn wir die Herz-Kreislauf-Krankheiten nicht mehr behandeln würden, könnten wir irgendwann mit einem eingebauten Kalorienzähler rechnen. Bis dahin bleibt das Maßhalten im Überfluß eine hochentwickelte Disziplin, die mühsam beigebracht und sorgfältig gepflegt werden muß. Daß das bei der allgemeinen Verwahrlosung nicht funktioniert, ist keine Überraschung.

Grund für die vielen Eßstörungen ist nicht das überschlanke Schönheitsideal, wie es oft behauptet wird. Die Zeitschriften würden genauso gern mit Miss Piggy als Titelstar Auflage machen. Das Publikum will abgehungerte Models sehen, weil sie die verlorene Disziplin verkörpern. In den USA ist es am deutlichsten: Je fetter der Zuschauer, desto dürrer die vorgeführten Idole. Es steckt in diesem Verhältnis ein gehöriger Masochismus: Durch den Anblick der Schlanken bestrafen sich die Gierigen selber, um nach erfolgter "Buße" wieder ungehemmt zugreifen zu können. Starten sie ab und zu einen eigenen Diätversuch, so ist der Rückfall von vornherein einkalkuliert. Nur darum läßt sich die Diät überhaupt ertragen, weil das Unterbewußtsein weiß, daß es danach wieder Choco Crossis und French Dressing gibt. Der Wille ist dabei, wie meistens, machtlos.


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