© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    31-32/02 26. Juli / 02. August 2002


LOCKERUNGSÜBUNGEN
Unpopulismus
Karl Heinzen

Gerhard Schröder und Edmund Stoiber werden, wenn es nach dem Verwaltungsgericht Köln geht, bei ihren TV-Duellen in den öffentlich-rechtlichen Programmen nun wohl doch unter sich bleiben müssen. Da alles, was sie einander und den Bürgern zu sagen haben, längst ausgiebig und wiederholt gesagt worden ist, sinken damit die Chancen auf einen vergnüglichen Fernsehabend. Die Kandidaten der ganz großen Parteien werden sich ihre fleißig eingeübten Bonmots an den Kopf werfen und durch dreiste Siegeszuversicht, nicht aber durch Argumente zu überzeugen versuchen. Guido Westerwelle, der hier eigene Akzente hätte setzen können, bleibt außen vor. Seine Absicht war es, den Verfall der demokratischen Streitkultur zu einem Geplänkel gestylter Politikschauspieler zu stoppen. Nun ist ihm die Justiz in den Arm gefallen. Sein Kampf aber geht weiter.

Die FDP hat sich vorgenommen, das Bedürfnis der Menschen nach populistischer Politik zu befriedigen, ohne sie zu der Unterstützung einer solchen zu mißbrauchen. So etwas ist in Deutschland möglich, weil hier aus der historischen Erfahrung heraus die Formulierung von Problemen, deren Tragweite unabsehbar ist, auf Ablehnung stößt. Die Bürger wollen in ihrer Unzufriedenheit ernst genommen, ja ob dieser sogar umworben werden - sie möchten aber keinen apokalyptischen Zungenschlag hören, der ihnen ihre Lebensfreude oder ihren Lebensabend vergällt. Der Rahmen mittelständischer Welterklärung ist unbedingt zu wahren: Im Kern geht es doch immer bloß darum, daß die Gutmütigkeit der Leistungswilligen durch die vielen Faulen ausgenutzt wird.

Die FDP läßt sich nicht auf die fatale Strategie ein, einer schweigenden Mehrheit von Profiteuren der Umverteilung, die allmählich ihre Felle davonschwimmen sehen, Gehör verschaffen zu wollen. Sie möchte vielmehr beweisen, daß man die Bevölkerungsmehrheit in Schach halten kann, auch wenn sie sich gar nicht als gutwillig und - das heißt vor allem willfährig - herausstellen sollte. Wenn die Unterschichten nicht davon zu überzeugen sind, daß ihr Wohlbefinden von jenem der Leistungsträger unserer Volkswirtschaft abhängt, müssen sie wenigstens begreifen, daß ihr zahlenmäßiges Übergewicht nicht so erdrückend ist, daß es die qualitative Überlegenheit der Eliten aufwöge. 18 Prozent für die FDP wären ein geeignetes Signal, um wenigstens diese Einsicht reifen zu lassen.

Guido Westerwelles Versuch, sich in den Kandidatenplausch vor der Kamera einzuklagen, zielte daher nicht auf Gleichbehandlung im politischen Wettbewerb. Seine Attacke galt vielmehr der herrschenden Rechtsauffassung, das Gewicht politischer Parteien sei an ihrem Stimmenanteil zu messen. Dies aber kann die FDP für sich selbst nicht gelten lassen, und dies muß nun, da die soziale Demokratie ihrem Ende entgegengeht, auch nicht länger unwidersprochen bleiben. Was der Liberalismus ursprünglich bedeutete, ist also keineswegs in Vergessenheit geraten. 


 
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