© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    31-32/02 26. Juli / 02. August 2002

 
Vorbild Dänemark
Niederlande: Neues Kabinett von Königin vereidigt / Liste Pim Fortuyn erhält Ausländer- und Finanzressort
Jerker Spits

Die neue niederländische Mitte-Rechts-Regierung aus Christdemokraten (CDA), Rechtslibera-len (VVD) und der Liste Pim Fortuyn (LPF) ist letzten Montag in Den Haag von Königin Beatrix vereidigt worden. In der Vorwoche hatten sich die drei Parteien nach 68 Tagen Verhandlung auf die Verteilung der Ministerposten geeinigt.

Bereits nach der Wahl vom 15. Mai war klar, daß der 46jährige CDA-Chef Jan Peter Balkenende das Amt des Ministerpräsidenten übernehmen würde. Balkenendes CDA war mit 28 Prozent stärkste Fraktion geworden. Neben dem Premier stellen die Christdemokraten fünf weitere von insgesamt 14 Ministerposten, darunter die einflußreichen Ressorts Außenpolitik und Justiz. Das Außenamt übernimmt der frühere CDA-Chef Jaap de Hoop Scheffer, der bereits zwölf Jahre lang als Generalsekretär im Außenministerium gearbeitet hat.

Der 54jährige Luftwaffenreserveoffizier war zeitweilig auch für die Beziehungen der Niederlande zur Nato zuständig. Der 53jährige Piet Donner, der nach den Wahlen als "informateur" die drei Parteien zusammengebracht hatte, wird das Justizministerium übernehmen. Balkenendes Stellvertreter werden der 57jährige Gesundheitsminister Eduard J. Bomhoff (LPF) und der 51jährige Innenminister Johannes Wijnandus Remkes (VVD).

Die erst vor fünf Monaten gegründete LPF, die aus dem Stand 17 Prozent der Stimmen errungen und damit überraschend den zweiten Platz erzielt hatte, bekommt insgesamt vier Ministerien und fünf von 14 Staatssekretären, darunter die Schlüsselministerien für Ausländer- und Einwanderungspolitik und das Wirtschaftsressort. Beim ersten Posten, der vom Juristen Hilbrand Nawijn besetzt wird, handelt es sich um eine Neuschaffung. Die LPF hatte in den Koalitionsverhandlungen wiederholt für ein Ausländerressort plädiert, das in enger Zusammenarbeit mit dem Justizministerium die Probleme bei der Zuwanderung und Integration lösen soll. Der 53jährige Nawijn, von 1994 bis 1996 Chef des niederländischen "Immigrations- und Naturalisationsdienstes", gilt als ausgesprochener Befürworter des neuen restriktiven "dänischen Modells". In den letzten Jahren hatte der Jurist die liberale Asylpolitik der "violetten Koalition" aus VVD, der sozialdemokratischen PvdA und der linksliberalen D'66 wiederholt scharf angegriffen. Die Tageszeitung Trouw kritisierte allerdings die Kandidatur Nawijns als "unglaubwürdig", weil dieser erst vor zwei Wochen vom CDA zur LPF übergewechselt war. Der Fall Nawijn beweise, daß die LPF nicht imstande sei, einen Kandidaten aus den eigenen Reihen zu präsentieren, so die Amsterdamer Zeitung. Tatsächlich gestaltete sich die Suche nach Ministern für die LPF als mühsam.

Die erst vor fünf Monaten gegründete Partei kann, anders als CDA und VVD, nicht auf etablierte Strukturen zurückgreifen. Sie hat denn auch vor allem Vertreter der Wirtschaft ins Kabinett geschickt. So der Unternehmer Herman Heinsbroek, der für die LPF das Amt des Wirtschaftsministers übernimmt. Der 52jährige Gründer der Medienfirma "Arcade" gehört mit einem geschätzten Vermögen von 150 Millionen Euro zu den reichsten Männern der Niederlande.

Die VVD, mit 15,4 Prozent drittstärkste Kraft im Parlament, stellt mit Hans Hoogervorst den neuen Finanzminister. Der 46jährige gilt als "Liberaler ohne soziale Zusätze". Benk Korthals, unter dem Sozialdemokraten Wim Kok ein glückloser und schwacher Justizminister, wird das Verteidigungsministerium erhalten. Dieses Amt ist in Den Haag allerdings nicht sehr begehrt, weil neben den geplanten Sparmaßnahmen bald neue Fakten zum Fall Srebrenica auftauchen könnten. Das Drama in der bosnisch-muslimischen Enklave Srebrenica, wo Tausende von unschuldigen Bosniaken unter den Augen niederländischer Blauhelm-Soldaten umkamen, hatte auch das zweite Kabinett Kok im April zum Rücktritt bewogen.

Einzige Ministerin ist Maria van der Hoeven. Die 53jährige ist für Bildung, Kultur und Wissenschaft zuständig. Auch von den 14 Staatssekretärsposten gehen nur fünf an Frauen. Die LPF wollte daher mit Philomena Bijlhout gleich zwei Quoten erfüllen: Frau und Einwanderin. Doch die für den Bereich "Emanzipation und Familienpolitik" zuständige Staatssekretärin schied auf eigenen Wunsch bereits am Montagabend wieder aus ihrem Amt.

Die aus der seit 1975 unabhängigen Kolonie Surinam stammende 44jährige gehörte vor zwanzig Jahren einer "Volksmiliz" in ihrer südamerikanischen Heimat an. Dadurch wurde sie mit den "Dezembermorden" in Verbindung gebracht, denen 1982 Regierungsgegner zum Opfer gefallen waren.

Jüngstes Kabinettsmitglied ist die äußerst attraktive Melanie Schultz van Haegen. Die 32jährige VVD-Politikerin wird Staatssekretärin für Verkehr und Wasserstraßen. Die geringe Frauenquote im Kabinett wurde bislang eher zurückhaltend kritisiert, hat doch die größte Oppositionspartei PvdA seit ihrer Wahlniederlage (15 statt 29 Prozent) kaum noch weibliche Abgeordnete - die meisten hatten "hintere" Listenplätze.

Während die neue Kabinettsliste diskutiert wurde, haben sich die Niederlande vergangenen Freitag auch zum letzten Mal von Pim Fortuyn verabschiedet. Der Leichnam des ermordeten Politikers wurde aus der niederländischen Grabstätte Driehuis ins norditalienische Dorf Provesano di San Giorgio, wo der ehemalige Soziologieprofessor eine Villa hatte, umgebettet. Das Flugzeug, das die Leiche Fortuyns transportierte, machte eine Ehrenrunde über die Hafenstadt Rotterdam, in der Fortuyns Aufstieg in die nationale Politik anfing, nachdem er dort am 6. März überraschend die Kommunalwahlen gewonnen hatte. Der Friedhof in Driehuis war in den letzten Monaten zu einer Art Pilgerstätte geworden. Mehr als 150.000 Niederländer hatten bislang das Grab besucht. Bis zuletzt kamen täglich mehr als 2.500 Menschen nach Driehuis, um dem "Mann der klaren Worte" (JF 20/02) die letzte Ehre zu erweisen.

"Jetzt wollen viele Politiker dabei sein, aber als Pim noch lebte, haben sie ihn gekränkt und beleidigt, und ihn einen Faschisten genannt", sagte Bruno Ambrosio, ein italienischer Bildhauer aus Provesano, in einem Gespräch niederländischen Journalisten: "Die Wahrheit ist, daß Fortuyn, ohne sich dafür zu schämen, sagte, was Millionen von Wählern in Europa denken. Er wollte die Grenzen zumachen, weil er meinte, daß die Niederlande voll seien. Warum gilt es als rassistisch zu sagen, daß der Zustrom von Asylanten gestoppt werden soll, wenn auch die Niederländer selbst meinen, daß ihr Land übervölkert ist? Kurz vor seinem Tod hat er mir gesagt: Weißt du, Bruno, es wird mir gelingen: ich werde der neue Ministerpräsident." Fortuyn habe aber auch seine Besorgnis gezeigt. "Er wußte, daß sein Erfolg viele überraschte und manchen unangenehm war. Er erhielt Drohungen und fürchtete, daß etwas passieren würde. "Diese linken Fanatiker bringen mich um", sagte er mir.

Mat Herben, als LPF-Chef Nachfolger Fortuyns und inzwischen selbst bedroht wird, sprach zu Recht vom "doppelten Gesicht" der letzten Monate. Einerseits steht seine Partei nach den Wahlen als Gewinner dar, andererseits wurde sie ihrer charismatischen Führungspersönlichkeit gewaltsam beraubt.


 
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