© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    31-32/02 26. Juli / 02. August 2002

 
Niederlage auf offenem Gelände
Landwirtschaftspolitik: Keine EU-Agrarreform zu Lasten von Frankreich möglich / Regierung und Bauern stehen Seite an Seite
Charles Brant

Die Anfang Juli von EU-Agrarkommissar Franz Fischler vorgeschlagene Reform der gemeinsa-men EU-Agrarpolitik (GAP) stößt in Frankreich auf Mißfallen und Besorgnis. Weltweit Nummer zwei im Agrarexport, ist Paris Hauptnutznießer der Direktbeihilfen aus Brüssel.

Frankreich ist aber auch ein Land, das die industrielle Revolution spät vollzogen hat und deshalb in seinem Selbstverständnis immer noch an der Scholle klebt. Kein Franzose ist mehr als vier Generationen von einer bäuerlichen Herkunft entfernt - soziologische Erhebungen bestätigen dies. 1955 waren noch über 6,14 Millionen Menschen in der Landwirtschaft beschäftigt - eine Zahl, die inzwischen auf unter 1,6 Millionen gefallen ist. Trotzdem ist und bleibt der Agrarsektor - sowohl in der Produktion wie im Export - für das Land von herausragender Bedeutung.

Die Zeiten, in denen Frankreich nur für seinen Wein und seine tausend Käsesorten berühmt war, sind vorbei. Als "grüner Riese" ist Frankreich weltweit der viertgrößte Getreideproduzent. Die französische Landwirtschaft ist weit weniger homogen als die amerikanische. Zwischen den einzelnen Regionen bestehen beträchtliche Unterschiede bezüglich des Ertrags, der Produktion und der Bodenbeschaffenheit. Während in getreideanbauenden Gegenden wie dem Pariser Becken großflächige Betriebe prosperieren, kämpfen in südlichen Regionen Kleinbetriebe ums Überleben.

Im Elsaß, wo vor allem Wein angebaut wird, gibt es wie in Deutschland mittelgroße und Kleinstbetriebe, deren Besitzer die Landwirtschaft oft als Nebenerwerb betreiben. In den letzten Jahren haben sie beachtliche Mengen an Mais hervorgebracht. Der Westen des Landes gilt als Hochburg der Viehzucht und leidet unter den Nachwehen von BSE sowie der Maul- und Klauenseuche. Insgesamt ist der Agrarsektor äußerst krisenanfällig: von Preisschwankungen, Epidemien und schlechtem Wetter gebeutelt - und auf EU-Subventionen angewiesen, die 30 Prozent der Einnahmen ausmachen. Eine Kappung der Beihilfen, wie der ÖVP-Politiker Fischler sie ins Auge gefaßt hat, hätte dramatische Folgen. Seine GAP-Reform könnte für bis zu 200.000 Höfe - fast die Hälfte aller landwirtschaftlichen Betriebe in Frankreich - das Aus bedeuten.

Aus französischer Sicht ist die Landwirtschaft nicht nur für die Selbstversorgung und - als wichtiger Exportlieferant - für das Handelsgleichgewicht verantwortlich, sondern auch für die Belebung des ländlichen Raums, die Herstellung des ökologischen Gleichgewichts und das Überleben einer Tradition der Verwurzelung. Deshalb genießt sie den besonderen Schutz der Fünften Republik in Form von Steuernachlässen und diversen Beihilfezahlungen, die laut Angaben des Informationsdienstes Risa (Réseau d'information comtable agricole) insgesamt etwa 71 Prozent ihrer Einnahmen ausmachen.

Auch in der Politik stellen die Landwirte eine nicht zu unterschätzende Kraft dar. Daß Jacques Chirac, der seine politische Karriere in den sechziger Jahren als Agrarminister begann, sie nicht unterschätzt, zeigte er 1999 in Berlin, als er mit Kanzler Gerhard Schröder den Agrarkompromiß aushandelte.

Geborener Demagoge, der Chirac ist, läßt er sich jedes Frühjahr auf der Pariser Messe Salon de l'Agriculture sehen, wo er Kühe tätschelt und die schwieligen Hände des "bodenständigen Frankreichs" schüttelt. Er weiß genau, daß die französischen Bauern eine Wählerschicht bilden, die sich Gehör zu verschaffen weiß - notfalls mit Protesten auf der Straße, die schon mal die Züge eines Volksaufstands annehmen können - so geschehen 1953, 1960 bis 1972, 1976 und zuletzt in den neunziger Jahren.

Der Konflikt zwischen dem mächtigen Großbauernverband FNSEA (Fédération nationales des syndicats d'exploitations agricoles) und der Genossenschaft des José Bové - deren Gründer derzeit im Gefängnis sitzt - hat gezeigt, wie breit die Kluft zwischen den "Großen" und den "Kleinen" ist. Letztere werfen den Großbetrieben vor, den Löwenanteil der EU-Subventionen einzuheimsen. Aus Angst, diese politische und soziale Kluft könnte eine neuerliche Welle des Aktivismus auslösen, tut die bürgerliche Regierung von Premier Jean-Pierre Raffarin alles, um die Bauern zu beschwichtigen, bevor sie mit ihren Traktoren wieder die Präfekturen umzingeln. Im Moment hat man schließlich genug damit zu tun, die sozialen Schwelbrände in den Vorstadtsiedlungen zu löschen.

Kein Wunder also, daß sich Paris gegen die geplante Reform wehrt. Der neue konservative Agrarminister Hervé Gaymard warnt, die EU-Erweiterung dürfe nicht als Vorwand benutzt werden, die Agrareform um zwei Jahre auf 2004 vorzuziehen. Grundsatzfragen werde dabei aus dem Weg gegangen: Ist die Erweiterung kostenneutral finanzierbar? Auf welcher Ebene soll Landwirtschaftspolitik gemacht werden? Zu Recht erinnert der Savoyer daran, daß die Deckung des Lebensmittelbedarfs eins der Hauptziele der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft war. Auch die in der Presse immer wieder aufgeworfene Frage, ob man die EU-Subventionen zu einem Zeitpunkt kürzen solle, da die USA ihre Förderungen erhöhen, kann er sich nicht verkneifen.

Selbstverständlich ist der französischen Regierung nicht entgangen, daß ihre unnachgiebige Haltung die nachbarschaftlichen Beziehungen zu Deutschland zu beeinträchtigen droht. In einer Studie, die der EU-Kommissar für Welthandelsfragen, Pascal Lamy, und der Ökonom Jean Pisani-Ferry im Januar gemeinsam veröffentlichten, heißt es: "Die Verhandlungen aus der Defensive heraus zu führen käme uns nicht nur politisch teuer zu stehen, wie es 1999 in Berlin der Fall war. Wir würden damit eine Niederlage auf offenem Gelände riskieren" ("L'Europe de nos volontés". Plon, Paris 2002).

Entsprechend gerne hörte man die Zusicherungen, die CSU-Kanzlerkandidat Edmund Stoiber letzte Woche bei seinem Besuch in Paris machte: Die Agrarreform will auch er erst 2006, die Direktbeihilfen sollen beibehalten werden. Im Falle eines Wahlsieges der Union braucht sich Paris keine Gedanken um das deutsch-französische Verhältnis zu machen.

Die Auseinandersetzung um die GAP-Reform aber hat gerade erst begonnen. Wird sie ein Umdenken in der französischen Agrarpolitik bewirken können? Nicht zuletzt die Verbraucher hoffen darauf. Sie würden sich eine Landwirtschaft wünschen, die weniger intensiv arbeitet und größeren Respekt für die Gesundheit der Menschen wie der Umwelt an den Tag legt.

Ob sie aber bereit sind, einen höheren Preis dafür zu zahlen, ist ungewiß. Gleichzeitig zeigt diese Debatte, wie widersprüchlich die EU ist. Sie predigt das Prinzip der Subsidiarität, ohne es zu praktizieren. Sie bleibt einer hinkenden Logik verhaftet und traut sich nicht, die Schwelle zu einem echten Föderalismus zu überschreiten. Sie möchte eine kohärente politische Struktur sein, ohne sich selber die Werkzeuge dazu in die Hand zu geben.


 
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