© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    31-32/02 26. Juli / 02. August 2002

 
Dem Schrecken ein Gesicht geben
"Haus des Terrors" in Budapest: Der politische Extremismus von Rechts und Links ist vergleichbar
Carl Gustaf Ströhm

Das Budapester "Haus des Terrors" (Terror Háza) ist eines der ungewöhnlichsten Museen Europas und vielleicht sogar der Welt. Zum ersten Mal wurde hier das ehemalige Hauptquartier einer gefürchteten kommunistischen Geheimpolizei in ein Museum umgewandelt, in welchem die Schreckensherrschaft der Sowjets dokumentiert wird. Das Haus liegt in einem der besten Viertel von Budapest, an der Adrássy út 60, benannt nach dem ungarischen Ministerpräsidenten und Zeigenossen Bismarcks im 19. Jahrhundert. Zunächst diente die mehrstöckige Villa als "Haus der Treue" (Hüség háza) den ungarischen "Pfeilkreuzlern" als Hauptquartier (der Keller auch als Folterkammer und Gefängnis). Nach der sowjetischen Eroberung okkupierte die neu installierte politische Polizei der Kommunisten das Gebäude und nahm auch die Kellerräume in ihren Dienst. Die ungarische kommunistische "Stasi" unter den Kürzeln ÁVÓ und später ÁVH wurde zu einem Symbol der Schreckensherrschaft. Es gibt kaum eine ungarische Familie, die unter dieser Schreckensherrschaft nicht gelitten und Angehörige verloren hätte.

Im Lichthof des Gebäudes wurde ein sowjetischer Panzer aufgestellt - Symbol dafür, daß die kommunistische Herrschaft nicht nur in Ungarn auf der Anwesenheit und Einsatzbereitschaft der Roten Armee beruhte. Hinter dem Panzer finden sich auf einer Wand unzählige Fotos von ungarischen Opfern der kommunistischen Diktatur.

Die Schau beginnt mit einer Darstellung der ungarischen Nationalsozialisten, die nach ihrem Parteisymbol "Pfeilkreuzler" (Nyilasok) genannt werden; sie blieben zwischen März 1944 und Januar/Februar 1945 eine sehr kurze, wenn auch blutige Episode in der ungarischen Geschichte. Der Besucher wird dann mit dem kommunistischen Gulag - dem System der Konzentrationslager und den fünfziger Jahren bekannt gemacht, als die "Sowjetisierung" Ungarns ihrem Höhepunkt entgegenging. Heute ist kaum noch vorstellbar, daß in einem mitteleuropäischen Land der Generalsekretär der größten politischen Partei - der Partei der Kleinlandwirte (FKgP), Béla Kovács - von der sowjetischen Besatzungsmacht nach Sibirien entführt wird, ohne das die westliche Welt sich darüber besonders aufgeregt hätte. Kovács kehrte erst später als gebrochener Mann aus den sowjetischen Lagern zurück.

Heute kann man sich auch kaum vorstellen, daß die ungarischen Kommunisten bei den Parlamentswahlen 1947 rund 200.000 Stimmen fälschten und 700.000 gültige Stimmen für ungültig erklären konnten, nur um den Kommunisten zur Macht zu verhelfen - nach den vergangenen Wahlen 2002, bei denen die Linke völlig unerwartet gewonnen hat, munkelt man über einen ähnlichen Schachzug. Es dauerte von 1947 bis 1990, bevor es in Ungarn wieder freie Wahlen gab, allerdings zogen die sowjetischen Besatzer erst 1991 vollständig ab, so daß die Wahlen im Wendejahr 1990 völkerrechtlich gesehen noch nicht wirklich "frei" waren.

Zehntausende ungarischer Bürger wurden während der Stalin-Jahre (bis 1953) in mehreren Lagern interniert, weil man sie als "Klassenfeinde" betrachtete und dementsprechend behandelte. Erst nach Stalins Tod konnte der später wegen seiner Rolle beim ungarischen Freiheitskampf 1956 hingerichtete Ministerpräsident und Kommunist, Imre Nagy, diese Internierung wieder aufheben. Ein besonderer Raum der Ausstellung ist den sowjetischen "Beratern" gewidmet, die das politische Leben und die Wirtschaft Ungarns kontrollierten. Insbesondere die Polizei befand sich unter weitgehender sowjetischer Kontrolle. Der sowjetische KGB-General Bjelkin kontrollierte bis 1955 aus seinem Hauptquartier in Baden bei Wien, das damals zur sowjetischen Besatzungszone gehörte, die kommunistischen Sicherheitsapparate im östlichen Europa. Überdies entsandten die Sowjets "Fachleute" - Lehrer, Ingenieure, Ärzte, Agrarwissenschaftler und Bergbauexperten -, deren Aufgabe es war, nicht nur das ungarische Leben möglichst an das Sowjetmodell anzugleichen, sondern auch die Mentalität der Menschen im sowjetischen Sinne zu ändern. Beim Volksaufstand von 1956 haben diese sowjetischen "Berater" den Panzern den Weg geebnet. Nach der Niederschlagung des Aufstandes hatte der neue KP-Chef János Kádár jahrelang zwei sowjetische Berater - Bajkow und Kuptschenko - an seiner Seite, die sogar nachts in seiner Nähe waren.

Unter den besonders interessanten Exponaten wird ein kommunistischer Propagandafilm über den Prozeß gegen den Ministerpräsidenten Imre Nagy gezeigt: Nagy, der bürgerliche Staatspräsident Zoltán Tildy und der legendäre Verteidigungsminister Oberst Pál Maléter treten auf. Letzterer führte die ungarische Armee und die Freiheitskämpfer im Oktober 1956 in den Kampf gegen die weit überlegene sowjetische Armee. Dafür wurden er und Nagy mit der Hinrichtung bestraft. Erst 1989 überführte man ihre sterblichen Überreste, die von den Kommunisten unter einer Müllhalde verscharrt worden waren, in ein Ehrengrab.

Aber dies waren bei weitem nicht die einzigen Opfer. Im Keller der Andrássy Straße sieht man die Zellen für die politischen Häftlinge, die hier zu Tausenden durchgeschleust wurden und von denen viele nie wieder das Licht der Freiheit sehen sollten. Da werden nicht nur die "normalen" Zellen (ohne Tageslicht) gezeigt, sondern auch die Folterkammern, die Wasserzelle (der Häftling saß tagelang in kaltem Wasser) oder der Karzer, der kleiner war als ein Sarg und dem Gefangenen jede Bewegunsgmöglichkeit nahm. Im sogenannten "Fuchsbau" gab es kein Licht und keine Möglichkeit sich aufzurichten. Eine weitere Bilanz der kommunistischen Herrschaft: Von 1945 bis 1956 wurden in einem Land mit rund 10 Millionen Einwohnern 400 Personen aus politischen Gründen hingerichtet. Nach der ungarischen Revolution von 1956 wurden allein in einem Jahr 152 Todesurteile vollstreckt; über 200.000 Menschen flohen aus Angst vor Vergeltung in den Westen. Von dieser gewaltigen Abwanderung des "Humankapitals" hat sich Ungarn bis heute nicht erholt.

Der wohl schrecklichste Fall, der im "Haus des Terrors" gezeigt wird, handelt von dem Schicksal des Péter Mansfeld, der als 15jähriger - wie viele andere Jugendliche - begeistert am Freiheitskampf teilnahm. Das Regime verurteilte ihn zunächst zu lebenslänglicher Kerkerhaft. Als er aber die Volljährigkeit erreichte, wurde er nachträglich zum Tode verurteilt und kurz nach seinem 18. Geburtstag durch den Strang hingerichtet.

Wer das "Haus des Terrors" gesehen hat, bekommt einen Eindruck davon, wie tief das Trauma kommunistischer Unterdrückung in den Seelen der Ungarn steckt. Man erkennt auch, daß es für die unvorstellbaren kommunistischen Grausamkeiten keinerlei Strafen für die "Verbrecher gegen die Menschlichkeit" gab. Der langjährige Chef der Geheimpolizei ÁVÓ, der Massenmörder und ehemalige Schneidergeselle ungarisch-jüdischer Herkunft, Gábor Péter, starb in den neunziger Jahren völlig unbehelligt in Budapest. Niemand hat ihn je verhört, angeklagt oder ihm seine lukrative Rente streitig gemacht.

Daß das Terror-Museum durch die Stasi-Vorwürfe gegen den amtierenden neuen Ministerpräsidenten, Péter Medgyessy, brisante Aktualität gewonnen hat, mag ein Zufall sein. Hier zeigt sich aber auch, daß hinter einer glatten Fassade die alten Wunden der Unfreiheit noch Schmerzen verursachen.

 

Adresse: Terror Háza Múzeum, Andrássy út 60, 1062 Budapest, Tel.: 00 36 (1) 374 - 2600, Fax: 00 36 (1) 374 - 2607, E-Post: muzeum@terrorhaza.hu , Internet: www.terrorhaza.hu , geöffnet: 10 bis 18 Uhr, Montag Ruhetag, Eintritt für Ausländer: 3.000 Forint (ca. 12 Euro), Inländer: 1.000 Forint.


 
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