© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    31-32/02 26. Juli / 02. August 2002

 
Journalisten in der Krise
von Wolfgang Scheidt

Seit Sparkommissar Georg Kofler bei Premiere regiert, herrscht Galgenhumor und Endzeitstimmung bei der Belegschaft. Eine Milliarde Euro Schulden drücken den Sender, jeden Monat kommen weitere zwei Millionen Euro Verlust hinzu. Der Umsatz blieb im Geschäftsjahr mit 813,1 Millionen Euro zwar konstant, aber die Kosten kletterten um 16 Prozent auf 1.678 Millionen Euro. Das Haus Premiere brennt lichterloh, Feuerwehrmann Kofler will den Abo-Fernsehbetrieb mit allen Mitteln aufrecht erhalten - koste es, was es wolle. Die öffentlich verkündete Insolvenz von Premiere widerrief Kofler höchst persönlich. Statt dessen präsentierte er mit heißer Nadel gestrickte Planzahlen bis 2005, jährlich 500 Millionen Euro will der Südtiroler ab 2003 sparen - das Jahr 2002 ließ Kofler wohlweislich unerwähnt. Die Verluste sollen minimiert, jeder Dritte der 2.500 Premiere-Mitarbeiter, in Redaktion wie Verwaltung, entlassen werden. Kostenlose Süßigkeiten und Getränke gibt es schon lange nicht mehr.

Ähnlich trübe sieht es bei den einst hyper-profitablen Renditebringern, den Tageszeitungen, aus. Beim Axel Springer Verlag ist die Redaktion längst ein betriebswirtschaftlicher Sparposten. Angesichts sinkender Auflagen und eingebrochener Anzeigenmärkte wurden Berliner Morgenpost und Welt redaktionell "zwangsvereint". Gerade hat es die einst ambitionierte Berliner Zeitung erwischt - sie hängt an der Angel der Stuttgarter Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck, die laut Spiegel ebenfalls Liquiditätsprobleme drücken. Verrückte Medienwelt.

Nach Berlin auslagern wollte die Frankfurter Allgemeine Zeitung ihre Feuilleton-Redaktion. Die hohen Kosten verhinderten, daß Frank Schirrmacher in der Hauptstadt residiert. Weil der Jahresumsatz 2001 um fast 23 Prozent auf 416 Millionen Euro sank, mahnt FAZ-Geschäftsführer Jochen Becker zur neuen Sparsamkeit: Die "Berliner Seiten" und die Wochenendbeilage wurden gestrichen, der tägliche Seitenumfang reduziert, zusätzlich sollen einige der 1.422 Mitarbeiter gehen. Gibt es statt kluger bald arme Köpfe bei der FAZ?

Immer schneller dreht sich das Personalkarussell im Journalismus, das Arbeitsklima in den Redaktionen wird zunehmend frostiger. Kommerz und Effizienz statt Mitarbeiterautonomie und Redaktionsstatute. Das Institut für Demoskopie in Allensbach hat gerade das Betriebsklima in Unternehmen bei 1.073 Arbeitern, Angestellten und Beamten ab 16 Jahren untersucht. Das Ergebnis der vom 1. bis zum 11. März 2002 durchgeführten repräsentativen Befragung: Trotz der wirtschaftlich schwierigen Situation bewerten sieben von zehn Mitarbeitern das Klima in ihrer Abteilung als gut oder sehr gut. Das Arbeitsklima im Gesamtunternehmen wird allerdings kritischer gesehen: Ein Drittel der Befragten findet es mittelmäßig, die Hälfte gut oder sehr gut, acht Prozent bezeichnen es als miserabel. Interessant dabei: Je höher die Position der befragten Berufstätigen, desto besser fällt die Bilanz des Betriebsklimas aus. Schließlich läßt sich der alltägliche Leistungsdruck gut von den Chefsesseln auf die unteren Etagen delegieren...

Rund 60.000 hauptberuflich tätige Journalisten gibt es in Deutschland. Noch. "Die Berufszufriedenheit im Journalismus ist prinzipiell sehr hoch", weiß Siegfried Weischenberg, Publizistikprofessor an der Universität Hamburg. Wer Journalist ist, ist es gerne. "Ein mieses Arbeitsklima führt zu einem schlechten journalistischen Output." Der Trend: Exzessives Zeitmanagement, kompakte Inhalte und Mainstream - nur nicht anecken. Die Medien haben von der Politik gelernt. Verschleißeffekte der Mitarbeiter sollte ein Medienunternehmen schon aus eigenem Interesse vermeiden. "Wer 'burned out' ist, hat auch nichts mehr zu sagen", erklärt ARD-Programmdirektor Günter Struve. Man braucht Zeit, um über gewisse Dinge nachdenken und Luft holen zu können. "Unzufriedenheit ist ein wesentlicher Motor zur Veränderung", sagt dagegen Axel Beyer, Geschäftsführer der Kölner Medienproduktionsfirma "Prima Idee". "Ich habe daher auch noch nirgendwo wirklich zufriedene Redaktionen erlebt."

"Das private Fernsehen ist in täglichen Arbeitsprozessen sicher schneller, auf jeden Fall unbürokratischer und entscheidungsfreudiger, sicher auch emotionaler", glaubt Kristina Faßler, Leiterin der Sat.1-Unternehmenskommunikation. "Das zieht besonders junge Leute an." Dennoch geht zuviel Energie im täglichen Redaktionsalltag flöten: Strenge Hierarchien mit undurchsichtigen Entscheidungswegen, mangelnde Mitspracherechte, Identifikationsprobleme mit dem Medienbetrieb, Angst vor dem Arbeitsplatzverlust und Streßfaktoren wie Eintönigkeit, kein Feedback und fehlende Perspektiven wirken nicht gerade motivierend. Wer ist schon gerne mit seinem Arbeitgeber verheiratet? "Natürlich gehört zum Redaktionsalltag des Stern der Wettbewerb um Themen und Nachrichten ebenso wie die konsequente Einhaltung von Produktionsterminen", betont Stern-Chefredakteur Andreas Petzold. "Daß es dadurch zu schwierigen Situationen kommen kann, ist nicht zu vermeiden und Teil des Journalistenberufs." Generell liegt die Lebenserwartung von Journalisten bei unter sechzig Jahren - nur Gastwirte leben im Durchschnitt noch kürzer.

"Arbeitsunzufriedenheit kann eine Vorstufe von Burnout sein", glaubt Michael Bodin. "Wenn ein Journalist sehr unzufrieden mit seiner Arbeit ist und elementare Enttäuschungen hinzukommen, fühlt er sich leer und ist desillusioniert." Bodin, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Journalistik in Dortmund, befragte 66 Zeitungs-, Hörfunk- und Agenturjournalisten zu ihrer beruflichen Belastung. Ein Fünftel der Befragten leidet unter dem Gefühl, "ausgebrannt" zu sein. Bei den befragten Frauen liegt der Anteil mit etwa einem Drittel höher als bei ihren männlichen Kollegen (18 Prozent). Möglicherweise geht die Doppelbelastung von Hausarbeit und Beruf noch immer zu Lasten der berufstätigen Frauen. Höhere Burnout-Werte ergeben sich auch für Agenturjournalisten und jüngere Journalisten bis 39 Jahre. Das Burnout-Gefühl verstärkt sich durch unregelmäßige Arbeitszeiten, fehlende private Sozialkontakte und gegensätzliche Anforderungen von Partnerschaft und Journalistenberuf, der so gar nicht in den geregelten Acht-Stunden-Tag passen mag. "Als Journalist ist man immer im Dienst", weiß Moritz Müller-Wirth, Ressortleiter "Leben" bei der Hamburger Zeit. "Auf viele spannende Geschichten stößt man auch in der Freizeit. Wer hier Stunden zählt oder zählen wollte, ist falsch in diesem Job."

Der Verdienst spielt im Journalismus heute eine größere Rolle als früher, als es noch häufiger innere Beweggründe zur Berufswahl gab - Journalist qua Berufung. Natürlich gibt es in Redaktionen auch "schwarze Schafe". "Manche stehen immer zur Verfügung und rackern", verrät Hans Leyendecker von der Süddeutschen Zeitung. "Andere suchen sich nur die Rosinen aus und schauen, welche Geschichten ihnen nutzen." Auch ein schlechter Führungsstil des Vorgesetzten, Sparmaßnahmen, Honorarkürzungen und Überstunden am Wochenende können auf die Stimmung von Journalisten drücken und zu Spannungen mit Kollegen führen. "Die intensivere Arbeit geht auf Kosten von Sockelreserven der Redakteure, weil der Druck zunimmt", warnt Weischenberg. Regelmäßiges Mittagessen, berufliche Reflexion und der Plausch am Arbeitsplatz bleiben oft auf der Strecke.

"Wenn Sie einen Chef haben, von dem Sie wissen, daß er eine bestimmte Partei nicht schätzt, dann können Sie natürlich alles vermeiden, was mit dieser Partei zu tun hat", erklärt Jürgen Leinemann vom Spiegel. "Sie können ihm aber auch erklären, daß und warum manche Themen trotzdem sein müssen." Leinemann kritisiert nicht nur die berüchtigte "Schere im Kopf", sondern auch das "Sofa im Kopf" von Journalisten. Dagegen ankämpfen wollte Hubert Denk, geschaßter Chefredakteur beim Passauer Gratisblatt Am Sonntag. Unverblümt bemängelte Denk die Ermittlungsmethoden des Landeskriminalamtes und der Passauer Behörden. Die Antwort folgte prompt: Axel Diekmann von der Passauer Verlagsgruppe distanzierte sich per Zeitungsmeldung von Denks Denkanstößen. Berechtigte Kritik sei zwar immer Aufgabe eines Chefredakteurs, nicht aber "radikale Formulierungen und Frontalattacken gegen Staatsorgane, die grundsätzlich gut funktionieren." Denk mußte gehen und zur "effektiveren Kontrolle" wurde Michael Backhaus, Chefredakteur der verlagseigenen Passauer Neuen Presse, als Herausgeber von Am Sonntag installiert. "Weil sich die Personalsituation aber nicht entspannte, versprochene Planstellen ausblieben und ich mit den Anforderungen an eine Gesprächsthemen liefernde Boulevardzeitung nicht zurückstecken wollte, gab es im Team zunehmend Ermüdungserscheinungen", beschreibt Denk seine Chefredakteurszeit bei Am Sonntag.

"Honorarkürzungen und Sparmaßnahmen der Geschäftsführung führten zu unüberwindbaren Spannungen, die sich auch auf das Arbeitsklima auswirkten." Er befürchtet, daß nach seiner Kündigung "die meisten Redakteure noch mehr eingeschüchtert sind als zuvor, wenn es um brisante oder verlagspolitisch relevante Themen geht. Die Schere im Kopf ist noch mehr geschärft worden." Dabei wird die innere Pressefreiheit oft von denen eingeschränkt, die glauben, im Sinne des Chefredakteurs oder Verlegers handeln zu müssen. "Der Journalist wird auf Blattlinie gebracht: durch die Lektüre des eigenen Mediums, Konferenzen, Sanktionen bei abweichendem Schreibstil, Gegenlesen und Redigieren", beobachtet der Publizistikprofessor Weischenberg. Schleichende Anpassungsprozesse und vorauseilender Gehorsam statt Kritik und Kooperation. "Viele probieren gar nicht erst wider den Stachel zu löcken, wenn sie meinen, das wäre zu mühsam", kritisiert Kurt Kister von der Süddeutschen Zeitung. "Wenn ein Mitglied des Ressorts aber seine Kreativität dauerhaft in eine Richtung entfaltet, die nicht zu der Philosophie des Produktes paßt, funktioniert die Redaktion nicht", erklärt Müller-Wirth von der Zeit. "Die Richtung muß stimmen!" Weil Hans Leyendecker inhaltlich nicht mehr mit Spiegel-Chefredakteur Stefan Aust harmonierte, kündigte er 1997 fristlos beim Nachrichtenmagazin und wechselte zur Süddeutschen Zeitung. "Ich sehe den Spiegel als Galeere, auf der härter gearbeitet wird als in vielen anderen Bereichen des Journalismus", resümiert er. "Gleichzeitig als Biotop, weil die Redakteure stolz sind, beim Spiegel zu sein." Wer in seinem Schaffen Sinn sieht und auch einmal vom Vorgesetzten für einen Beitrag gelobt wird, arbeitet gerne mehr und länger. Dabei kommt es auf die richtige Mischung innerhalb der Redaktion an. "Ich glaube, daß Redaktionen am besten funktionieren, die nicht zu üppig besetzt sind", so Leyendecker. Denn zuviele Trittbrettfahrer können das Redaktionsklima verderben.

Herrscht erst einmal Arbeitsfrust und ein rüder Umgangston auf den Redaktionsfluren, ist es meist zu spät: Schneller Schnupfen, hohe Fluktuation und mobbende Kollegen sind die Folge. Bundesweit bleiben laut "Gesundheitsreport 2001" der Deutschen Angestellten Krankenkasse (DAK) täglich 3,5 Prozent der Angestellten krank zu Hause. Leere Bürosessel gibt es besonders in Berlin - jeder zwanzigste Angestellte fällt hier krankheitsbedingt aus. Wer mit Gehalt, Vorgesetzten oder Arbeitsbedingungen hadert, läßt seinen Frust eher am Kollegen aus. Auch im Journalismus wird gestichelt, beschimpft, verleumdet und sexuell belästigt - Mobbing-Opfer fühlen sich oft systematisch angefeindet und schikaniert. Der Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) schätzt, daß bis zu fünf Prozent aller Beschäftigten betroffen sind. Das Zuteilen nutzloser oder unlösbarer Aufgaben, unbegründete Arbeitskontrollen und das Abkoppeln eines Kollegen von betrieblichen Informationen gehören zu den justitiablen Alltagspraktiken. Eine starke Position des Betriebsrates, ein ehrlicher Umgangston und offene Türen beim Vorgesetzten können hier Wunder wirken. "Mobbing ist immer der falsche Weg, da er das gesamte Redaktionsklima vergiftet", weiß Bild-Chefredakteur Diekmann. "Dann lieber gütlich trennen oder gemeinsam neue Aufgaben finden."

Für Unruhe in den Redaktionen sorgen regelmäßig Controller und Unternehmensberater - Personalabbau, Etatkürzungen und Synergieeffekte zwischen Ressorts und Medienobjekten sind meist die Folge. Siegfried Weischenberg warnt davor, mit Hilfe von Effizienzanalysen externer Berater das Letzte aus Journalisten herausholen zu wollen. "Die journalistischen Kriterien dürfen jedoch nicht betriebswirtschaftlichem Denken geopfert werden."

Der selbständige Radioberater Rüdiger Kreklau, langjähriger Programmdirektor des Berliner Rundfunks, fordert dennoch eine Reduktion des Personals. "Zu viele Mitarbeiter behindern sich oft genug gegenseitig und machen sich dadurch mehr Arbeit, als eigentlich vorhanden ist." Wenn Kreklau mit seinem Partner Sebastian Fitzek bei Radiosendern auftaucht, zittern die (Noch-) Mitarbeiter: "Werden 'faule Äpfel' aussortiert, dann kann es sehr wohl sein, daß die Mannschaft aufatmet", berichtet Kreklau. "Wird die Mannschaft aus Kostengründen verkleinert, wird das zwar oft von der Mannschaft im Grundsatz akzeptiert, doch die Betroffenen fragen sich: 'Warum gerade ich?'" Die Fluktuation im Journalismus ist größer geworden, Leistungsschwache und Querdenker werden systematisch ausgesiebt. "Aus der Sicht des Produktes Radio ist diese Fluktuation gut", erklärt Kreklau. "Neue Mitarbeiter bringen auch neue Ansätze und Ideen in ein Programm ein." Dennoch muß es auch Mitschwimmer geben, "weil jeder irgendwann Probleme oder Krisen zu bewältigen hat", warnt Leyendecker. "Wenn einer hintereinander beispielsweise drei Titelstorys beim Spiegel geschrieben hat, dann braucht er eine Verschnaufpause." Diese Regenerationsphasen werden jedoch durch den immensen Kommerzialisierungs- und Konkurrenzdruck immer kürzer. Frustrierte Mitarbeiter und ein schlechtes atmosphärisches Arbeitsklima sind erste Warnsignale.

"Journalisten müssen können, was sie sollen, sie brauchen also eine gewisse Kompetenz, und Journalisten müssen dürfen, was sie wollen, sie müssen also ein bestimmtes Maß an Autonomie haben", wünscht sich Weischenberg. "Beides zusammen macht guten Journalismus aus."

Wolfgang Scheidt studierte Psychologie und Kommunikationswissenschaft. Seit 1998 ist er als freier Journalist für verschiedene Printme-dien und das Fernsehen tätig.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen