© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    33/02 09. August 2002


LOCKERUNGSÜBUNGEN
Lernerfolg
Karl Heinzen

Der Vorhang nach Gerhard Schröders Auftritt als Bundeskanzler im rot-grünen Einakter ist noch nicht gefallen, da bereitet er sich auch schon auf seine nächste Rolle vor. Es ist jene des elder statesman, der die Verantwortungslosigkeit genießt und die Zeitläufte, die nun nicht mehr darauf harren, seinen Stempel aufgedrückt zu bekommen, süffig zu betrachten weiß. Mit gutem Grund kann er daher seine Zweifel anmelden, ob der von den USA gegen den Irak geplante Krieg wirklich erstrebenswert ist. Er wird ihn nicht mehr als Regierungschef gegenüber einer besorgten, aber zahlungskräftigen Bevölkerung moderieren müssen.

Gerhard Schröder mimt aber nicht allein den Nachdenklichen, sondern auch den Enttäuschten. Gemeinsam mit Joschka Fischer, der immerhin schon auf militante Erfahrungen im kommunalen Maßstab zurückblicken konnte, hat er den Beweis geführt, daß es sehr wohl möglich ist, ein demokratisches Gemeinwesen selbstbewußter Steuerzahler für militärische Interventionen weltweit zu gewinnen, wenn nicht sogar zu begeistern - im 20.Jahrhundert mußte man zu diesem Zweck noch eigens totalitäre Regime errichten. Wie kein Kanzler vor ihm hat er die USA von der Verpflichtung entbunden, das ihnen entgegengebrachte Vorschußvertrauen nachträglich rechtfertigen zu müssen. Nun jedoch steht er plötzlich vor einer Erfolgsbilanz seiner Politik, die sich für ihn nicht auszahlt. Beerben wird ihn eine Koalition aus Parteien, die selbst nur wenig zur Militarisierung der deutschen Außenpolitik beigetragen haben, den eingeschlagenen Kurs dafür aber um so unbefangener fortsetzen dürften.

Die rot-grünen Verlierer sollten darüber nicht wehleidig werden. Sie haben nicht nur für sich selbst viel erreicht. Die Unionsparteien hätten aus eigener Kraft nie das Trauma Helmut Kohl bewältigt. Das Vertrauen der Menschen in die Politik wäre wegen der zahllosen Versprechen, die unter dem Skandalkanzler gebrochen wurden, immer noch gestört.

Die allermeisten Prominenten des rot-grünen Lagers haben in den vergangenen vier Jahren gezeigt, daß sie auch anders konnten, als sie zuvor immer geredet hatten. Damit verstanden sie es, sehr viele Menschen zu überraschen - nicht zuletzt ihre Anhänger. Ohne den tagtäglichen Tatsachendruck werden manche von ihnen womöglich zu einer Sprache zurückfinden, die sie schon verlernt zu haben schienen. Da sie den Glauben an sich selbst kaum verloren haben dürften, wird es ihnen nicht schwer fallen, die Richtung, die die historische Entwicklung nimmt, aus ihrer eigenen Biographie herauszulesen. Es spricht gegen die politischen Institutionen dieses Landes, daß sie selbst durch die Besten nicht grundsätzlich zu reformieren waren. Das rot-grüne Experiment mag gescheitert sein, es hat doch einen Erkenntnisgewinn gebracht. Seine Protagonisten sind noch vital und mitteilungsbedürftig genug, um die systemkritische Lehre der vergangenen vier Jahre selbst vorzutragen.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen