© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    33/02 09. August 2002

 
Ursula Popiolek
Hort der Erinnerung
von Detlef Kühn

Eine "Gedenkbibliothek zu Ehren der Opfer des Stalinismus" ist im vom Zeitgeist geschädigten Berlin ein durchweg ungewöhnliches Unternehmen. Entsprechend groß ist die Zahl ihrer Gegner, die schon bewiesen haben, daß sie auch vor kriminellen Anschlägen nicht zurückschrecken. Daß die Bibliothek, seit drei Jahren in zentraler Lage gleich neben der Nikolaikirche untergebracht, dennoch aufgebaut wurde und allen Anfeindungen zum Trotz überlebt hat, ist - neben vielen Gönnern - vor allem der Tatkraft und Beharrlichkeit einer Frau zu verdanken, die diese Einrichtung zu ihrem Lebenswerk gemacht hat.

Ursula Popiolek, geboren 1943, hat sich als Diplom-Slawistin ohne parteipolitische Bindung in der DDR freischaffend mit dem Übersetzen von Fachartikeln der Pädagogik, Psychologie und des Gesundheitswesens aus dem Polnischen und Russischen durchgeschlagen. Im Herbst 1989 beschloß die Mutter zweier inzwischen erwachsener Söhne, bis dato verbotene Literatur zu sammeln und diesen unbekannten Lesestoff der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Wolfgang Leonhard, Alexander Solschenizyn und
Jewgenija Ginsburg waren ihre ersten Autoren. Das "Neue Forum" bot anfangs ein organisatorisches Dach. Noch in der untergehenden DDR sammelte Ursula Popiolek so 150.000 Ostmark.

Heute umfaßt die Bibliothek in ihren gemütlichen, benutzerfreundlichen Räumen über 7000 Bände einschlägiger Literatur sowie viele Manuskripte mit Haft- und Lagererinnerungen. Ursula Popiolek veranstaltet regelmäßig Vorträge und Lesungen, die zwar nur selten in den hauptstädtischen Medien beachtet werden, aber den Opfern und Widerständlern der stalinistischen Repression in der Sowjetunion und DDR doch das Gefühl vermitteln, nicht ganz vergessen worden zu sein und nicht vergeblich Widerstand geleistet zu haben.

Der Berliner Landesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR sowie die "Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur" unterstützen die Aktivitäten der Bibliothek und ihrer Leiterin. Die "Hilfsaktion Märtyrerkirche zur Christenverfolgung im 20. Jahrhundert unter kommunistischen Diktaturen" unterhält in den Bibliotheksräumen eine Dauerausstellung und beteiligt sich an den Mietkosten. Für die in der DDR atheistisch erzogene Ursula Popiolek ein Anlaß, sich mit den Grundlagen der christlichen Religion und der Geschichte der Verfolgung der Christen zu beschäftigen.

Ursula Popiolek vertritt mit Hartnäckigkeit und Charme die Interessen ihrer oft über Jahrzehnte zum Schweigen verurteilt gewesenen Klientel. Ohne Kämpfernaturen wie sie hätte es der Zeitgeist noch leichter, einen Schlußstrich unter die Verbrechen des Kommunismus zu ziehen.

 

Kontakt: Nikolaikirchplatz 5-7, 10178 Berlin, Tel: 030 / 283 43 27, Weltnetz: www.gedenkbibliothek.de


 
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