© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    33/02 09. August 2002

 
Pankraz,
Theodor Fechner und die Seele der Pflanzen

Haben Pflanzen eine Seele? Spüren sie, daß ich sie liebe, indem ich sie pflege, begieße, von Ungeziefer frei halte, mich an ihrem Gedeihen und an ihrer Farbenpracht erfreue?" Solche Gedanken gehen in diesen sommerlichen Tagen wohl so manchem Gartenfreund durch den Kopf, bis er dann seufzend abbricht und sich beinahe ein bißchen schämt für seine "Naivität". Pflanzen und Seele? Was für ein Unsinn!

Aber es ist kein Unsinn, es ist ein seriöses Fragen, wie nicht zuletzt ein jüngst bei Kröner in Stuttgart erschienenes Buch beweist: die "Geschichte der Pflanzenseele" von Hans Werner Ingesiep, ein Riesenopus von siebenhundert Seiten, für nicht ganz dreißig Euro verhältnismäßig billig zu erwerben. Fast alle Geistesgrößen, von Empedokles angefangen, haben intensiv über die Pflanzenseele nachgesonnen, am intensivsten gerade diejenigen, die für einen unbestechlich scharfen, strikt empiristisch ausgerichteten Verstand bekannt waren.

So im neunzehnten Jahrhundert der gelernte Physiker Gustav Theodor Fechner, der viele Semester lang in Leipzig Philosophie gelehrt hat und auch ein erfolgreicher Schriftsteller war. In einem damals sehr berühmt gewordenen Büchlein, "Nanna oder über das Seelenleben der Pflanzen"(1848), erklärt er klipp und klar , daß am Seelenleben der Pflanzen nicht der geringste Zweifel bestehen könne. Denn Pflanzen seien Lebewesen wie Mensch und Tier, und Kennzeichen des Lebens sei eben die "Beseeltheit", das Empfinden und Fühlen, das Reagieren auf Eindrücke von außen und das nach außen sich wendende, sinnliche Kundgeben innerer Vorgänge.

Natürlich erreicht die Seelenstimmung der Pflanzen nicht die Feinheiten des menschlichen Innenlebens und nicht einmal die Tiefe einer Dackel- oder Papageienseele, darüber sind sich alle einig, von Platon bis Cleve Backster. Aber wie tief ist sie wirklich? Sie sei beschränkt auf "momentanes Fühlen", sagte noch Fechner, ihr fehle Erinnerung und prognostische Kraft. Der amerikanische Biologe Backster ist da ganz anderer Meinung. Pflanzen könnten sich sehr wohl erinnern, behauptet er, und sie könnten auch in die Zukunft hineinplanen.

Er verweist auf die von der Forschung seit Fechner freigelegte ungeheure Vielfalt und Elastizität der Abwehrstrategien, die die Pflanzenwelt gegen tierische Freßfeinde entwickelte, all die bitteren Säfte und heimtückisch pieksenden Stacheln, die oft in historisch kürzester Frist ausgebildet werden, wenn eine Freßattacke den Bestand der Gattung bedroht. Keine Erinnerung dies? Keine Zukunftsvorsorge?

Andererseits gibt es fast noch mehr "positive" Strategien, Symbiose, Osmose usw., kraft derer die Pflanzen mit Tier und Mensch "zusammenarbeiten", um Überleben und Gedeihen zu sichern und sich ungeniert auszubreiten. Die ganze Farbenpracht der Blumen gehört hierher, die Süßigkeit und Auffälligkeit der Früchte, des Nektars und der Verführungsdüfte. Ob es nun auf Zucker versessene Hummeln sind oder schlicht hungrige Kolibris, ob Spottdrosseln, Eichhörnchen oder nur der Wind, der über die Halme streicht - sie alle werden als Besamungstechniker oder Samenausstreuer eingespannt, und zwar mit einer Schlauheit und Raffinesse, die einem schier den Atem verschlägt und für die es den Darwinisten schwer fallen dürfte, eine "natürliche", d.h. rein physiko-chemische Erklärung auszuknobeln.

Manche Forscher sind neuerdings geneigt, den ganzen Übergang der Menschheit von der Jäger- zur Ackerbauerkultur in erster Linie als einen ingeniösen Schachzug der Pflanzenwelt zu interpretieren. Bestimmte Pflanzenarten hätten "gemerkt", daß ihre durch den Menschen eingeleitete Umzüchtung in Hinblick auf Ertragsreichtum und Bekömmlichkeit eine gewaltige Ausbreitung der Art ermöglichte, gewissermaßen die Weltherrschaft des Reises, des Weizens oder der Saatkartoffel. Und so hätten sie sich die Umzüchtung nur allzu gern gefallen lassen, hätten sich die größte Mühe gegeben, möglichst dicke Samenkörner bzw. Knollen auszubilden, um ja des Menschen Wohlwollen zu erlangen und dieserart groß ins Geschäft zu kommen.

Theodor Fechner hätte solchen Theorien wahrscheinlich begeistert zugestimmt. Die Einzelseele war für ihn stets Bestandteil, "Welle", einer übergeordneten Kollektivseele; das ganze Universum bestand für ihn, den Physiker, aus Wellenhierarchien (mit Gott als der höchsten, umfassendsten Welle, der Grundwelle), und die manifeste Schlauheit der kollektiven Pflanzenseele wäre für ihn ein schöner Beweis gewesen für die Beseeltheit auch noch des kleinsten, bescheidensten Einzelexemplars, des Stachelbeerstrauchs im Schrebergarten oder der unverwüstlichen Geranie im Balkontrog.

Die Hauptfrage des sommerlichen Gartenfreunds ist damit freilich noch nicht hinreichend beantwortet: Kennen mich "meine" Pflanzen, fühlen sie mit mir, der ich sie pflege und liebe, lieben sie mich vielleicht ihrerseits auch ein bißchen? Ihr prächtiges Gedeihen zeigt mir, daß sie mir dankbar sind, daß ich das Gesetz ihrer Gattung gut erfülle. Aber das ist mir eigentlich etwas zu wenig. Nicht hinter einer in Gottes Gunst strahlenden Kollektivseele bin ich her, sondern hinter einer speziell liebenden Einzelseele. Nicht die Gattung soll mir danken, sondern der einzelne soll mich lieben.

Nun, man darf niemals zu viel verlangen, findet Pankraz. Ein Gartenfreund, der seine Pflanzen ohne kaufmännische Hintergedanken und schnöde Verwertungsgelüste, einfach aus Liebe zu Gottes freier Natur und ihren Farben und Formen, hegt und pflegt und dem dies die Pflanzen mit prächtigem Gedeihen danken, ist gut dran, ist ein glücklicher Mensch. Er sollte es mit Schiller halten, mit seinem berühmten, hier höchst einschlägigen Distichon "Das Höchste" von 1796: "Suchst du das Höchste, das Größte? Die Pflanze kann es dich lehren. Was sie willenlos ist, sei du es wollend! Das ist's."


 
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