© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    33/02 09. August 2002

 
CD: Rock
Endzeitgestimmt
Silke Lührmann

"Und Bruce Springsteen klampft beim Heimabend!" lautete die Pointe vieler trunkener Nächte in den 1980ern. Um das heute noch witzig zu finden, muß man wohl dabeigewesen sein. Da wurden Bravo-Jahrgänge gewälzt wie Enzyklopädien, die Feinheiten der deutschen Übersetzung diskutiert, die dem "Nebraska"-Album beilag. Die Nadel tanzte über alle Kratzer auf "Born To Run" und mühte sich weltschmerzbeladen durch "Darkness on the Edge of Town".

Springsteens Terrain sind die "Badlands" der amerikanischen Psyche: seine Heimat New Jersey oder das noch trostlosere Nebraska. In seinen Liedern kommt der kleine Mann zu Wort - vom eigenen Vater unverstanden, verlassen und verraten von treulosen Marys, Candys, Sherrys, Bobby Jeans. Die Fabrik, in der er arbeitet, steht kurz vor der Schließung. Doch träumt er in rockigen Gitarrenakkorden: von der Straße, von der Freiheit, von der Liebe.

Auf den Hitparadensturm der "Born in the U.S.A."-LP (1984) folgten zehn harte Jahre für Springsteen-Fans. Eine Platte nach der anderen gab sich mit dem Mittelmaß zufrieden. Der Freibeuter, der sich bei jedem Konzert die Seele aus dem Leib sang, wurde zum bekennenden Familienvater - schlimmer gar, zum Lieblingsrocker des Weißen Hauses. Ronald Reagan mißbrauchte "Born in the U.S.A." als patriotische Hymne, Bill Clinton seine Springsteen-Platten als Verdienstplaketten. Aufhorchen ließ 1995 "The Ghost of Tom Joad". Der Geist ist ein literarischer, John Steinbecks "Früchten des Zorns" entlehnt, die akustischen Echos stammen von Woody Guthrie und Bob Dylan. Nach der Tournee mit seiner legendären E-Street-Band, die den "Boß" 1999 auch wieder nach Deutschland führte, war endgültig alles vergeben.

"The Rising" ist Springsteens Beitrag zu den Anschlägen vom 11. September 2001 - geeignet, ihn nun noch der Bush-Regierung als Hofmusikant zu empfehlen. Die öffentliche Endzeitstimmung nimmt der 52jährige zum Anlaß, ganz persönliche Befindlichkeiten zu vertonen. Es regnet aus blauem Himmel, das Kopfkissen des Anderen bleibt leer, Menschen sind sich fremd, Kirchentüren stehen offen. Daraus hätte große Kunst werden können, ist es aber nicht.

Die tiefe Verunsicherung mag existentiell gemeint sein - musikalisch ärgert sie. Die Verlorenen, die durch "The Rising" spuken, haben sich irgendwo zwischen Detroit und Pakistan verirrt: "Let's Be Friends" klingt dank der Gospeleinlagen nach zweitklassiger Motown-Nummer, "Worlds Apart" mit der Asif Ali Khan Group wie ein world music-Projekt von Sting oder Paul Simon: politisch erfreulich, künstlerisch weniger, innovativ längst nicht mehr. Die meisten der fünfzehn Lieder fallen in die "Na ja"-Kategorie. Akkordeon, Glockenspiel, Trompeten und Mitgröl-Refrains gaukeln Atmosphäre vor, manchmal spielt Max Weinberg sein Schlagzeug so monoton, als säße er am Synthesizer. Obwohl Clarence Clemons' Saxophon-Solo in "Lonesome Day" Lust auf die Live-Auftritte macht: Von der ersten Studioproduktion mit der E-Street-Band seit 1984 hatte man mehr erwartet, zuviel wohl. Dennoch lohnt es sich, die CD zu Ende anzuhören, denn die letzten Stücke sind die stärksten: die Single-Auskopplung "The Rising", das leise, lyrische "Paradise", das an "Tom Joad" anknüpft. "Hunger is a powerful thing", stellte Springsteen dort fest: Hier wird der Hunger allmächtig, bis er sich nur im Jenseits stillen läßt, von dem ein gespenstischer Chor kündet. Das Pathos in "My City of Ruins" wäre kaum zu ertragen, käme es nicht so arg von Herzen.

Um den schalen Nachhall dieser CD zu vertreiben, lege man einen alten Favoriten auf, "The River" vielleicht oder "Born To Run", und tröste sich mit dem Heimabend, für den der Boß fast reif scheint.


 
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