© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    33/02 09. August 2002

 
Flintenweiber und Mauerblümchen
Ute Kätzel über die Protagonistinnen hinter einer politischen Fassade
Ellen Kositza

Der Anteil der Frauen an der ansonsten so vieldiskutierten 68er-Bewegung sei bislang verschwiegen worden, beklagt die Journalistin Ute Kätzel. Das klingt einmal mehr nach männlicher Tücke und hämischer Geschichtsklitterung, trifft aber in gewisser Weise zu, betrachtet man das Gros der einschlägigen Literatur über diese Zeit.

Sind die emanzipatorischen Umbrüche dieser Zeit wie sexuelle Befreiung inklusive Recht auf Abtreibung und die heutigen politisch-administrativen Auswirkungen via Frauenquote und Gleichstellungsbeauftragte zwar präsent, verblassen doch hinter den bekannten Köpfen der Studentenrevolution wie Rudi Dutschke, Joschka Fischer, Daniel Cohn-Bendit und Bernd Rabehl die Namen der weiblichen Aktivistinnen ihrer Zeit. Von Sarah Haffner, Tochter des Populärhistorikers Sebastian Haffner und politische Künstlerin im Apo-Umfeld, stammt der Ausspruch, die Frauen seien dabei "der revolutionärste Teil dieser nur etwas revolutionären Bewegung gewesen".

Kätzel, studierte Soziologin und Historikerin, stellt in ihrem Buch "Die 68erinnen" anhand "lebensgeschichtlicher Interviews" vierzehn Frauen und ihr Wirken in den späten Sechzigern vor, Gretchen Dutschke als wohl prominenteste, daneben Sigrid Fronius, ihrerzeit Asta-Vorsitzende der Berliner Universität, Christel Kalisch (geborene Bookhagen) aus der "Polit"-Kommune 2, die SDSlerinnen Frigga Haug und Susanne Schunter-Kleemann. Thematisch ordnet Kätzel, Jahrgang 1955, die von ihr porträtierten Frauen unter drei Zusammenhänge ein, die wohl als zentrale Betätigungsfelder der 68erinnen gelten können, Politik, "Weibliche Identität" und "Sexualität und neue Lebensformen". Eine Unterteilung, die bereits aufgrund des umfassenden Anspruchs gerade der in diesen Zusammenhängen bewegten Frauen, nämlich "Politik des Privaten" zu betreiben, unsinnig erscheint und zum anderen eine bisweilen aberwitzige Rubrizierung schafft, wenn etwa Hedda Kuschel, eine dauerhaft drogenabhängige Randfigur der Szene, ausgerechnet in die "Politik"-Sparte eingereiht wird.

Das, was als durchgängige Erzählungen der Protagonistinnen präsentiert wird, wurde anhand eines Gesprächs-leitfadens entwickelt, der die Berichte zu einem leicht sterilen, weil stereotypen Lesevergnügen macht. Zunächst haben sich die Porträtierten zur NS-Vergangenheit ihrer Eltern zu äußern, hernach zu ihren Stationen und Positionen innerhalb der Bewegung. Fühlte "frau" sich von der personellen Dominanz der Männer unterdrückt oder gefördert, wie war das mit der sexuellen Revolution, wie wird die Zeit im Rückblick beurteilt, wo steht "frau" heute, das ist die Kette, an der sich die gesprächsbasierten Aufsätze entlanghangeln. Seltsam leblos trotz der vitalen Thematik und all den hübschen oder erschütternden Anekdoten wirken sie deshalb, weil bei aller immanenten Selbstbespiegelung, die als "consciousness-raising" damals schick wurde, eine tiefere Reflexion außen vor bleibt. Zum einen bleibt dabei die Anfangsmotivation, die revolutionäre Grundstimmung der Frauen unklar - immerhin fand sich nicht jede Frau der Jahrgänge zwischen 1935 und 1943 unversehens in kommunistischen Debattierzirkeln wieder, wie es hier ohne schlüssige Vermittlung geschildert wird, zum anderen stört das weitgehend summarische der Schilderungen. Zu sehr erscheinen die Berichte - den im typischen AmerikanischDeutsch verfaßten Beitrag Gretchen Dutschkes ausgenommen - in der gleichen, seltsam unbewegt-hypotaktischen Sprache der Herausgeberin verfertigt. Das macht es schwer, Bilder von eigenständigen Typen, unterschiedlichen Temperamenten entstehen zu lassen. Freilich liest man schnell heraus, was die wesentlichen Betätigungsfelder der 68erinnen waren: ein neu zu gründendes geschlechtliches Rollenverständnis inklusive "Reproduktionsfrage" und Erziehungsauftrag, vergleichsweise Nebenschauplätze bildeten die theoretische Schulung in Marxismus und Gesellschaftstheorien und das Engagement gegen den Vietnamkrieg. Das war bereits bekannt. Lebendige Zuspitzungen geschehen hier allein durch das Anekdotische, etwa, wenn Anette Schwarzenau, die beim "Kinderkacke-Attentat" auf das Berliner Pressehaus des Stern federführend beteiligt war, vom Kampf um die als diskriminierend empfundene "Haubenpflicht" von Krankenschwestern erzählt, von ernsthaften Diskussionen über die Notwendigkeit, in Wohngemeinschaften (Stichwort "offene Gesellschaft") auch die Klotüren auszuhängen, oder wenn sie in harmlosem, intellektuell unbeflecktem Ton berichtet: "Mein Mann war Pazifist und hatte gerade den Wehrdienst verweigert. Beim Steineschmeißen hat er sich aber sehr stark beteiligt. Bis dahin hatte ich ihn immer für einen Opportunisten und Feigling gehalten, und deshalb war ich sehr stolz, daß er nun anständig loslegte. Ich selbst habe davon abgesehen, nicht aus moralischen Gründen, sondern weil ich einfach nicht werfen kann." Die symptomatische Reflexionsfreiheit - oder eben die Verwechslung von physischer mit psychischer Konstitution - tritt dann zutage, wenn es nur eine Seite weiter aus gleichem Munde heißt "...aber Steine auf Menschen zu werfen, das habe ich irgendwie nicht fertig gekriegt."

Interessant und recht einhellig lesen sich die Beurteilungen der sogenannten sexuellen Revolution, das, was Elsa Rassbach, wie die meisten der hier Porträtierten noch bis Mitte zwanzig unberührt, die "Überwindung des inneren Keuschheitsgürtels" nennt. Von "selbstbestimmter Sexualität" konnte keine Rede sein: Bezeichnend ist dabei die Erinnerung Rassbachs an den Plan, Berliner GIs mit Pornofilmen zu Anti-Vietnamkrieg-Veranstaltungen zu locken. Susanne Schunter-Kleemann, als Ex-DKPlerin, heute parteilos in Diensten der PDS unterwegs, beschreibt andererseits die SDSler als "wohlerzogene, oft verklemmte und zurückhaltende Bürgersöhne", von außen betrachtet habe alles "nach ganz viel Sex" ausgesehen, sei aber "oft eher unbefriedigend" gewesen. Heute bedauert sie ihre immer noch vorhandene Männerbezogenheit, mangelnde homosexuelle Erfahrungen (den "Käfig traditioneller Geschlechterbeziehung"). Ebenso einhellig wie die Beurteilung, daß die 68er-Männer "über 'freien' Sex mit wechselnden 'Partnern' im Grunde viel mehr redeten, als daß sie es tatsächlich praktizierten" ist dennoch die Einschätzung, daß die sexuelle Befreiung via Pillezwang und Polygamiegebot eine neue Form der Bevormundung bedeutete. Dagmar Przytulla (geborene Seehuber) aus der Kommune 1 ließ wie so viele Frauen der Szene auf Druck einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen, weil sich Dieter Kunzelmann lauthals von der Vaterschaft distanzierte und überhaupt ein Kind nicht mit der Kommune abgesprochen war. "Der Slogan: 'Wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment' galt zwar für Frauen und Männer, aber eben auf Geheiß der Männer." Einen vielfach unbedachten Aspekt äußert Gretchen Dutschke, die bei allem generellen Einverständnis "schon ein Problem" bei der Vorstellung hatte, mit allen Männern schlafen zu müssen. Noch schwieriger fand sie jedoch die Frage, "was man mit den Leuten machen sollte, mit denen niemand schlafen wollte". Der vielleicht lesenswerteste Beitrag stammt von der soeben emeritierten Kunsthochschul-Professorin Helke Sander, die 1968 den "Aktionsrat zur Befreiung der Frauen" mitgegründet hatte und später die berühmte Rede vor dem SDS gegen ignorante Genossen hielt, worauf wegen Diskussionsverweigerung - die Frauenfrage galt ja nur als "Nebenwiderspruch" - Tomaten gegen die Männer flogen.

Düster fiel die Antwort dieser Autorin bei der Präsentation des Buches in der Berliner Heinrich-Böll-Stiftung auf die Frage aus, was denn geblieben sei von der sexuellen Revolution - "lauter alleinstehende Frauen". Mit einigem Recht nennt Mariam Lau, Rezensentin bei der Welt, den weiteren Lebenslauf dieser Frauen nach 68 ein "Verharren in Adoleszenz": zahllose Therapien, abgebrochene Studien und Affären, Qigong-Kurse und Heilssuche in der Esoterik runden den Großteil der Biographien ab. Sicher ist, daß 1968 eine Schneise dafür darstellt, was sich als "Alltagswirklichkeit" der Frauen fassen läßt: Die Kluft zu den Müttern ist kaum größer als die zu den Töchtern von heute.

 

Ute Kätzel: Die 68erinnen. Portrait einer rebellischen Frauengeneration. Rowohlt Verlag, Berlin 2002, geb., 317 Seiten, 22,90 Euro


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen