© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    33/02 09. August 2002


Aktenzeichen XY-Chromosom: Bei den Polit-Unterhaltern gelten Männer als kompetenter
Eine Frage des Geschlechts
Wolfgang Scheidt

Sie sind die Navigatoren, die uns durch die stürmische Nachrichtenflut lotsen. Polit-Talks und Info-Magazine sollen akzentuieren und die tägliche Berichterstattung vertiefen. 48 Millionen Fernsehzuschauer nutzten vergangenes Jahr politische Magazine, die Hälfte davon informierte sich per TV-Diskussion. Smalltalk statt politischer Konzepte heißt vor den Bundestagswahlen die Devise.

"Wir sind eine Art Test-Labor für politische Ideen", glaubt Volker Wilms, Redaktionsleiter von Berlin Mitte (ZDF). "Wir ringen in harter Kleinarbeit um politische Lösungen." Am besten gelingt dies offenbar Sabine Christiansen (ARD), die letztes Jahr durchschnittlich 4,7 Millionen Zuschauer erreichte. "Der Zuschauer kann sich Woche für Woche selbst ein Bild von den entscheidenden politischen Debatten mit den wichtigsten Protagonisten machen, wozu er sonst kaum Zeit haben wird", erklärt Wolfgang Klein, Redaktionsleiter von Sabine Christiansen. "Außerdem erlebt der Zuschauer die Gäste in der Konfrontation miteinander. Dadurch wird vieles klarer, als dies etwa in Interviews der Fall ist." Politiker unplugged als Quotengarant.

Der Kronprinz der Polit-Elite heißt "Report Mainz" (ARD) mit durchschnittlich 3,6 Millionen Zuschauern. "Das Kapital der öffentlich-rechtlichen Magazine ist ihre Glaubwürdigkeit", betont Fritz Frey, Chef vom Report Mainz. Die Angebote Stern TV und Spiegel TV von der RTL-Konkurrenz setzen für ihn andere Prioritäten: "Hier muß Geld verdient werden, hier muß unterhalten werden!"

Doch wie attraktiv sind politische Talks und Magazine überhaupt? In einer aktuellen Studie von "Media Perspektiven" wurden hierzu 4.000 Zuschauer befragt. Fritz Pleitgen, Moderator vom "Presseclub" (ARD), und Sabine Christiansen sind für jeweils 80 Prozent der Befragten am glaubwürdigsten. "Ein Moderator darf und soll durchaus Haltung erkennen lassen", findet Frey. "Die Zeit der Großinquisitoren ist glücklicherweise vorbei."

Heute mißtraut jeder zweite Zuschauer einem Michel Friedman, der seinen Gästen zu oft ins Wort fällt. "Daß er als Politiker selbst eine Talksendung und eine Interviewsendung moderiert, ist seine Sache", so Wilms. Klischeehaft beurteilen die Zuschauer die Sachkompetenz der Präsentatoren: Fritz Pleitgen und Ruprecht Eser gelten als politisch kompetenter als ihre weiblichen Pendants Sabine Christiansen und Maybrit Illner. "Es fällt auf, daß besonders den älteren Männern mehr politische Sachkenntnis zugeschrieben wird", erklärt Wilms. "Moderatoren-Männer hatten einfach ein paar Jahre mehr Zeit, ihre Kompetenz unter Beweis zu stellen." Je älter, desto gebildeter? Beim jüngeren Moderator Friedmann nivelliert sich jedenfalls der Kompetenzbonus des "starken" Geschlechts. "Politik war ja auch lange Zeit ein fast ausschließlich männliches Geschäft", weiß Klein. "Jetzt allerdings werden die politischen Gesprächssendungen überwiegend von Frauen moderiert." Sabine Christiansen, Maybrit Illner und Sandra Maischberger sind willkommene und kompetente Blickfänge zwischen dem überwiegend männlichen Politpersonal. Und überaus erfolgreich: Die Ex-Miss Tagesthemen moderiert für zwei Drittel aller Zuschauer den besten Polit-Talk, gefolgt von "Presseclub" und "Berlin Mitte". Die "Drei von der Infostelle" übertrumpfen in punkto Gästeauswahl und Aktualität locker jede Bundestagsdebatte.

Einen Spitzenwert erreicht Sabine Christiansen auch bei der Selbstinszenierung ihrer Gäste: Fast die Hälfte der Zuschauer erkennen bei Gerd, Edi, Guido & Co. mehr Schein als Sein. "Die Politiker werfen schon mal Nebelbomben oder geben Antworten auf Fragen, die die Moderatorin nicht gestellt hat", verrät Wilms. "Dagegen hilft nur ein Mittel, und das heißt Hartnäckigkeit." Entwarnung gibt sein Kollege Klein: "Die Wirksamkeit von Inszenierungen sollte nicht überschätzt werden. Das ist ähnlich einer Schraube, die durch einen Dreh zuviel das Gewinde zum Krachen bringt." Wer zu übertrieben agiert, den bestraft das Fernsehen: für Parteipropaganda und Wahlversprechen gibt es Punkteabzug beim Wähler.

Ähnlich kritisch beurteilen die Redakteure von "Report Mainz" eine interne Liste, die penibel jede Sendesekunde jedes Mitarbeiters registriert. Ist der Magazinbeitrag von zwei oder drei Mitarbeitern zusammen erstellt worden, wird die Sendelänge des Films durch die Anzahl der Autoren geteilt. Das Ganze wird dann, wie im Mathematik-Unterricht, schön addiert und schon ergibt sich der Gesamtsaldo an Sendeleistung für jeden Mitarbeiter - das ist fast so spannend wie die Tour de France. Weniger unterhaltsam empfinden die Betroffenen diese Prozedur, denn Beiträge über "Sommerloch" (111 Sekunden) oder "Vollrausch e.V." (498 Sekunden) erfordern wohl weniger Rechercheaufwand als ein Bericht über "verstrahlte Soldaten" (462 Sekunden). Report Mainz-Chef Frey leitet aus dieser quantitativen Liste jedoch keinerlei qualitative Bewertungen seines Personals ab - ihm geht es nur um einen Überblick, wer wann wie fleißig ist...

Die Boulevardmagazine sind dafür unterhaltsamer und nützlicher für den Alltag. Allerdings provozieren Ulrich Meyer und Günther Jauch eher Skandale, als ihre öffentlich-rechtlichen Kollegen. Rund 70 Prozent der Zuschauer geben sich als Vertreter der politischen Mitte zu erkennen, die auch eine konträre politische Position ihres Magazins tolerieren. Schließlich sollen die Sendungen helfen, politische Meinungen besser zu verstehen und einzuordnen sowie Diskussionsstoff liefern. Ein positiveres Politikbild erzeugen sie nicht: Zwei Drittel der Zuschauer glauben, daß Politiker ihre wirkliche Meinung verschweigen, die Hälfte hält Politik gar für ein schmutziges Geschäft.

Bei Affären und Skandalen helfen weder Auftritte bei Sabine Christiansen noch Günther Jauch. Vielleicht schafft das ZDF bald Abhilfe: Nach der Bundestagswahl soll die Polit-Soap "Das Kanzleramt" künftig einen Hauch Dallas, Denver, Traumschiff & Co. versprühen und nach dem US-Vorbild "The West Wing" für Traumquoten sorgen. Vielleicht wird Guido Westerwelle als Bobby Ewing wenigstens hier die 18 Prozent-Hürde überspringen - beim Votum der Fernsehzuschauer. Politik hin, Fernsehen her, spielen wir nicht alle Theater...?


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