© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    34/02 16. August 2002


LOCKERUNGSÜBUNGEN
Insolvenzen
Karl Heinzen

Noch vor kurzem wurde die stell-vertre­tende Direktorin des Internationalen Währungsfonds, Anne O. Krueger, belä­chelt, weil sie angeregt hatte, ein In­solvenzverfahren für in Zahlungsschwie­rigkeiten geratene souveräne Staaten zu schaffen. Nun steht ihr Vorschlag dank der diversen Krisen in Lateinamerika auch schon auf derTagesordnung. Aufs Neue ist es die Globalisierung, die den Anpassungsdruck generiert. Immer mehr Schwellen- und Entwicklungsländer bege­hen am internationalen Finanzmarkt An­leihen, die unterschiedlichste, mehr und mehr eben auch private Anleger in­teressieren. Die resultierende "Gläubi­gerheterogenität" ist erfreulich, er­schwert aber eine effiziente Lösung, wenn es zu Problemen im Schuldendienst kommt. Neue Kreditgeber ließen sich in solchen Situationen vielleicht gewin­nen, sofern man ihnen nur einen Vorrang einräumen würde. Genau dies aber kann eine pokernde Minderheit von Alt­gläubigern, die sich nicht zurückge­stuft sehen möchte, blockieren. Das Er­gebnis: Es wird wertvolle Zeit verlo­ren. Die betroffenen Populationen und auch die Kreditgeber zahlen drauf.

Anne O. Krueger regt nun an, daß eine qualifizierte Mehrheit von Gläubigern zu Abmachungen mit dem Schuldnerstaat berechtigt sein soll, die eine reni­tente Minderheit binden. Dies ist ohne Frage ein Schritt in die richtige Rich­tung, mehr aber nicht. Das Kernproblem bleibt unberührt. Der Schuldner selbst, der die Kredite im Prinzip ja nicht hätte aufnehmen müssen und von seiner Verantwortung, sie vertragsgemäß zu be­dienen, doch wohl kaum freigesprochen werden kann, wird nicht belangt. Wenn man sich also schon Gedanken über die Institutionalisierung eines Insolvenz­verfahrens für Staaten Gedanken macht, sollte man die Möglichkeit eines Insol­venzverwalters doch nicht außer Be­tracht lassen - zumal wir in einer Zeit leben, in der erstmals eine Weltmacht dazu in der Lage wäre, einen solchen überall, wo es die ökonomische Vernunft gebieten würde, einzusetzen.

Die Demokratie könnte auf diese Weise gerade in Staaten gestärkt werden, in denen die Populationen noch unrealisti­sche Vorstellungen von Zielen und Spielräumen der Politik hegen. Schon die Drohung mit einem Insolvenzverwal­ter dürfte sie davon abhalten, ihre Re­gierungen mit dem Auftrag auszustatten, die hausgemachten Probleme auf die in­ternationale Finanzwelt abzuwälzen.

Am Willen, notfalls auch die letzte Konse­quenz zu ziehen, darf es natürlich nicht fehlen: Sollten sich Staaten selbst unter dem Kuratel von Experten als nicht lebensfähig erweisen, darf ihnen das Schicksal, das Konzernen in vergleichbaren Situationen droht, nicht erspart bleiben. Sie sind zu zerschla­gen und die gegebenenfalls profitablen Einzelteile alleine oder unter dem Dach einzelner Staaten fortzuführen. Es böte sich die Chance, sich eines so anachro­nistischen wie sakrosankten Relikts aus dem Zeitalter der Nationalstaaten zu entledigen: der Unverletzlichkeit der Grenzen.


 
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