© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    34/02 16. August 2002

 
Pankraz,
Ludwig Börne und der Aufstieg des zweiten Rom

Viel ist jetzt die Rede von der Macht der USA, der "einzig verbliebenen Supermacht". Manche sprechen vom "neuen Rom", obwohl das alte Rom gar nicht so mächtig war. Seine Macht endete im Süden an der Wüste, im Westen am Ozean, im Norden versickerte sie in den germanischen Wäldern, im Osten fand sie ihr Widerlager im Reich der Perser, der Parther. Von den großen gleichzeitigen Mächten in Indien und China, in Mittel- und Südamerika hatten die alten Römer nur eine diffuse Ahnung.

Auch die innere, kulturelle Macht Roms war begrenzt, beschränkte sich im Wesentlichen auf die überzeugende, Frieden und Ordnung stiftende Gewalt des römischen Jus. Im übrigen fröhnten die Prokonsuln und Satrapen in den beherrschten Provinzen nicht der römischen, sondern der griechischen, "hellenistischen" Kultur, jeweils durchsetzt und erweitert durch autochthone Einfärbungen. Selbst im römischen Kernbereich, in der Urbs und den umliegenden Dörfern, regierte der Hellenismus. Die Sprache der wirklich Gebildeten war nicht Latein, sondern Griechisch.

Das "neue Rom", also die USA, ist teils mächtiger, teils weniger mächtig als das alte. Zwar verfügt es über die (hypothetische) Fähigkeit, jeden Ort der bewohnten Welt straflos von oben herunter mit Bomben zu belegen, Verheerung und Elend anzurichten, doch wirkliche "Macht", nämlich die Möglichkeit, den anderen in jeder Hinsicht den eigenen Willen aufzuzwingen, wird dadurch nicht etabliert, nicht einmal die Möglichkeit, sie zur Öffnung ihrer Märkte zu zwingen, sie bedingungslos dem ökonomischen Zugriff des amerikanischen Finanzkapitals auszuliefern.

Als Friedensstifter im Sinne einer neuen "Pax Romana" fallen die USA komplett aus, wie vor allem ihre diesbezüglichen "Bemühungen" im Nahen Osten beweisen. Sie sind allenfalls mächtig und reich genug, das zweite, zur "Pax Romana" in Konkurrenz stehende, altrömische Herrschaftsprinzip zu handhaben, das divide et impera, das Privilegieren und Finanzieren einmal der einen, ein andermal der anderen Seite. Sie müssen sich dauernd um Verbündete bemühen, und sie müssen dauernd Feindbilder aufrichten, um sich ihrer Macht inne zu werden und deren Früchte (beispielsweise Ölkonzessionen) ernten zu können.

Solche Machtspiele sind nur möglich, wenn man die Macht versteckt, sie mit Ideologie verkleistert, ein Geheimnis aus ihr macht. "Das Geheimnis jeder Macht", so das berühmte Urteil von Ludwig Börne in seiner Schrift "Der Narr im Weißen Schwan", "besteht darin zu wissen, daß andere noch feiger sind als wir". Man ergänze das "feige" durch Bestimmungen wie "eigennützig", "geldgierig", "faul" usw., und man erhält tatsächlich eine Art Blaupause des Schaltplans, nach dem sich jeder Machtspieler richten muß, auch wenn er noch so viele Raketen, Bomben oder Flammenwerfer in der Hinterhand hat. Er muß bestechen und auf die Faulheit und Feigheit der von ihm als Herrschaftsobjekt in Aussicht genommenen Anderen setzen.

Wenn gewisse "Eliten" in gewissen nahöstlichen Ländern nicht geldgierig, faul und feige wären, würde sich die Macht, die die USA dort ausübt, noch einmal um ein Beträchtliches verkleinern. Und was für die "Eliten" gilt, das gilt cum grano salis auch für ganze Länder und Völker. Mit einer "globalen" Kultur konfrontiert, die dauernd und beinahe exklusiv die Instinkte der Gier und gleichzeitig der Bequemlichkeit und der Faulheit kitzelt und erfolgreich an den inneren Schweinehund in uns appelliert, geben die Völker nur allzu oft allzu gern klein bei, schreiben die eigene Tradition in den Wind und passen sich der "moderneren", "überlegenen Kultur" an.

Wohl darin besteht die eigentliche Macht der heutigen USA: Sie ist zur Statthalterin und Beförderin einer Einheitskultur geworden, die den armseligsten Egoismus und Materialismus propagiert nebst exzessiven Gewaltspielen und totaler Preisgabe jeglicher Intimität. Obwohl die Wurzeln dieser Kultur in Westeuropa liegen, in der berühmten westeuropäischen Aufklärung und Säkularisierung, gehören heute die großen Studios, aus denen die entsprechenden kulturellen Produkte und die entscheidenden Parolen kommen, alle den USA, sind festester Bestandteil sowohl ihres Selbstverständnisses als auch ihres Durchdringungsarsenals. Und sie sind es, die derzeit die größte Macht in der Welt ausüben, größere Macht als alle Bombengeschwader und Finanzströme zusammengenommen.

Freilich, wie heißt es so schön bei Sebastian Brant im "Narrenschiff", just zu Beginn der Neuzeit (1494)? "Von solcher Macht man nie vernahm, /die nicht zuletzt ein Ende nahm, / sobald ihr Ziel, ihr Stündlein kam." Schon das alte Rom lieferte dazu das treffende Beispiel. Auch seine Macht beruhte zuletzt, bevor die Barbaren kamen, vorzüglich auf einer alle Provinzen und Satrapien umfassenden Gier- und Gewaltkultur, mit üppigsten Gastmählern und blutrünstigen Zirkusspielen, ideologisch überhöht durch den sogenannten "zweiten Stoizismus", einer teils banal materialistischen, teils durch allerlei Magie und Zauberzeug aufgedonnerten "Weltanschauung", die keinen anspruchsvollen Geist auf Dauer stillstellen konnte.

Überall im Reich begann ein bohrendes Suchen nach transzendenten Ausgängen, nach verlorenen Anschlüssen und geheimen Geistesschätzen. Unzählige Sekten auf der Suche nach dem verborgenen einen Gott tauchten auf, unzählige Kulte, Christen, Mithras-Anhänger, Manichäer, Gnostiker und Weisheitslehrer aus den fernsten Fernen des Orients. Das öffentliche Leben spiritualisierte sich rapide, zuerst in Alexandria und Antiochia, dann auch in Rom und den westlichen Provinzen.

Am Ende blieb nichts mehr übrig von den gewohnten Machtverhältnissen, ja, es breitete sich eine allgemeine Aversion und Allergie gegen jede Form von Macht aus. "Die Macht verdirbt die Seelen", hieß es, "kommt die Macht, so fällt das Recht in Acht".

So weit sollte man es nicht noch einmal kommen lassen.


 
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