© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    35/02 23. August 2002

 
"Schönheit um jeden Preis"

Der Filmtheoretiker Hilmar Hoffmann, ehemaliger Präsident des Goethe-Instituts, zum 100. Geburtstag Leni Riefenstahls
Moritz Schwarz

Herr Professor Hoffmannn, in Ihrem Buch über NS-Propaganda im Film, "Und die Fahne führt uns in die Ewigkeit", beschrieben Sie 1986, als damaliger sozialdemokratischer Kulturdezernent in Frankfurt am Main, Leni Riefenstahl als "Bannerträgerin des Führers im faschistischen Film". Seitdem hat sich allerdings Ihr Verhältnis zu ihr, die am 22. August ihren 100. Geburtstag feierte, zum Positiven verändert.

Hoffmann: Ich war kein Gegner Leni Riefenstahls, sondern habe mich mit ihren Reichsparteitag-Filmen und ihren Olympia-Filmen kritisch auseinandergesetzt. Und meine Bewertung der Folgen war nicht falsch, ich habe sie nie zurückgenommen.

Geboren 1925, sahen Sie als Pimpf die Filme Leni Riefenstahls im Kino.

Hoffmann: Nicht nur die Filme Riefenstahls, wir sahen auch die Filme der anderen, damals berühmten deutschen Regisseure. Natürlich waren wir als Kinder ganz und gar der emotionellen Ebene dieser Filme ausgeliefert, und die war in Riefenstahls Filmen stärker als bei den sonstigen Durchschnitts-Regisseuren.

Was war das Geheimnis Riefenstahls?

Hoffmann: Sie hat ja, zum Beispiel im Parteitagsfilm "Triumph des Willens" von 1934, nicht den nationalsozialistischen Alltag gezeigt, sondern sich auf das nationalsozialistische Hochamt in Nürnberg konzentriert, das dort sechs Tage lang zelebriert wurde; langweilige Elemente, wie etwa die Parteitagsreden wurden verkürzt, und durch ihre Montagekunst hat sie emotionale Wirkungen erzielt. Diese Montagetechnik, Riefenstahls besonderes Markenzeichen, lieferte quasi den Kommentar - einen Sprecher zu den gezeigten Bildern gab es ja nicht. Riefenstahl hat sicherlich keine eigenen politischen Absichten verfolgt, aber die Parteitage der NS-Elite waren natürlich an sich schon Propaganda-Manifestationen.

Natürlich hat "Triumph des Willens" eine propagandistische Wirkung. Der Film täuscht, aber immerhin fälscht er nicht. Ist es zulässig, Leni Riefenstahl mit "echten" Propaganda-Filmern, wie etwa Sergej Eisenstein oder Veit Harlan, die dafür gesorgt haben, daß historische Lügen unters Volk gebracht wurden, die den Haß auf den Klassen- bzw. Rassenfeind schürten und die Verbrechen der Machthaber bemäntelten, in einem Atemzug zu nennen?

Hoffmann: Einerseits waren die Filme der Sowjet-Avantgarde, also etwa "Streik", "Oktober" oder "Panzerkreuzer Potemkin" von Sergej Eisenstein, ganz ohne Zweifel filmische Kunstwerke sui generis, andererseits dienten sie natürlich dazu, das stalinistische System zu stabilisieren. Wenn Sie heute in den Standardwerken der Filmgeschichte blättern, finden Sie in der Tat nirgendwo eine Einschränkung des künstlerischen Genies Eisensteins, nur weil er die Filme in Auftrag und Sold der Sowjets und mit dem Ziel gemacht hat, dem Kommunismus mit künstlerisch brillanten Mitteln zu huldigen.

Gibt es vielleicht eine natürliche Schnittmenge zwischen Kunst und Propaganda, insofern Politik immer und Kunst zumeist eine Idee vertreten - dann wäre der politische Mißbrauch der Kunst letztlich unausweichlich, der Fall Riefenstahl leichter erklärbar. Oder gibt es die, vielleicht zu leichtfertig propagierte, olympische Autonomie der Kunst tatsächlich?

Hoffmann: Ich glaube, man muß die Frage nach dem cineastischen Genie Riefenstahls und wie es gebraucht bzw. mißbraucht wurde, auseinanderhalten. Walter Benjamin hat in diesem Zusammenhang von der "Ästhetisierung des Faschismus" gesprochen. Die Frage, die wir heute stellen, ist die: Hat die Riefenstahl diese Ästhetisierung bewußt betrieben, oder ist sie nur ihrer Obsession gefolgt, das Schöne darzustellen - wofür einiges spricht. Natürlich waren zum Zeitpunkt des Entstehens ihres Olympiafilms die Reichsrassengesetze schon in Kraft, aber im Volk war ein Zusammenhang mit jener Entwicklung, wie sie dann in Auschwitz mündete, damals nicht vorstellbar. Die meisten Deutschen hatten vom Ausmaß der Judenverfolgung und -vernichtung bis 1945 keine konkrete Vorstellung, und so muß man Riefenstahls Arbeit zwar vor dem Hintergrund der damals in Deutschland wütenden Diktatur problematisieren, nicht aber in bezug auf deren spätere letale Exzesse an den Juden.

Sie haben Leni Riefenstahl 1998 persönlich kennengelernt. Wie schätzen Sie die Frage nach ihrer Verstrickung, ausgehend von ihrer Persönlichkeit ein?

Hoffmann: Auch nach vielen Gesprächen mit Leni Riefenstahl kann man nur schwerlich differenzieren, ob sie nur ehrgeizig ihr Genie beweisen wollte, oder ob sie sich bewußt war, daß - falls ihr Film so gut werde, wie "Triumph des Willens" dann geworden ist - ihre Hommage auf die Partei auch als ein hervorragendes Instrument der politischen Propaganda dienen würde.

Ihre politische Naivität sei eine Schutzbehauptung, um ihre Schuld zu verdrängen, urteilen ihrer Kritiker.

Hoffmann: Wenn man mit ihr spricht, argumentiert sie auch heute noch nicht politisch, sondern politisch naiv. Die Politik ist nicht ihr Metier.

Aus diesem Grunde hat sie sich angeblich auch immer gegen Auftragsarbeiten von Hitler gesträubt und der Herstellung der Reichsparteitagsfilme erst zugestimmt, als sie sich in die Enge getrieben fühlte. Wahrheit oder Legende?

Hoffmann: Sie hoffte, mit der Erledigung des ersten Parteitagsfilmes "Sieg des Glaubens" von 1933 von künftigen Verpflichtungen gegenüber Hitler freizukommen. Sie wäre sonst zwar wohl nicht in Ungnade gefallen, fürchtete aber die Unterstützung zu verlieren, die sie für ihren Ehrgeiz brauchte, Spielfilme zu machen.

Haben Sie Verständnis für ihre Verbitterung angesichts der Behandlung nach dem Krieg?

Hoffmann: Aber sicher, denn nach dem Krieg konnten die anderen Star-Regisseure des Dritten Reiches, Veit Harlan, Wolfgang Liebeneiner, Carl Fröhlich oder Luis Trenker in ihrer Ufa-Ästhetik munter weiterfilmen. Ihre Indienstnahme durch die Propaganda hat nicht verhindert, daß sie nach 1945 wieder Angebote bekamen. Nicht so Leni Riefenstahl, die vielleicht den Fehler gemacht hat, nicht öffentlich abzuschwören, weshalb die Produzenten es offenbar als ein Risiko betrachteten, ihr Aufträge zu geben.

Es ist ihr also Unrecht geschehen?

Hoffmann: Das läßt sich nicht moralisch einwandfrei beantworten. Denn ihre Filme hat sie schließlich gemacht und diese hatten auch eine Wirkung, zum Beispiel auf mich als Pimpf.

Prinzip des Nationalsozialismus war die totale Vereinnahmung von jedem und allen. Hat Riefenstahl aus ihrer eigenen Sicht nicht das gleiche gemacht wie der kleine Arbeiter auch, nämlich ihre Profession auszuüben, in einem System, das jeden als Rädchen im Getriebe verstanden hat, und in dem persönlicher Erfolg und Erfolg des Systems in gewisser Weise deckungsgleich waren?

Hoffmann: Allerdings hatte der Durchschnittsdeutsche ja wohl nicht die Mittel, um den Nationalsozialismus mit Hilfe eines aufwendigen Films vor einem Millionenpublikum zu feiern.

Betrachtet unter dem Gesichtspunkt des Effektes, ist das freilich ein Unterschied. Aus der Sicht der Moral spielt es aber keine Rolle, ob man einen großen oder kleinen Beitrag leistet, sondern ob man überhaupt einen Beitrag leistet. Kann Riefenstahl denn schuldiger sein als die "übrigen Deutschen", oder kommt dieser Sündenbock uns Deutschen nicht einfach nur zupaß?

Hoffmann: Der kleine Arbeiter, der vielleicht sogar in der Waffenproduktion tätig war, war dennoch ein Anonymus. Während wir, die wir jeden Sonntagmorgen in die Jugendfilmstunde "marschiert wurden", der von Leni Riefenstahl geschaffenen Faszination erlagen. Sie können die Affekte der Effekte nicht einfach außer acht lassen.

Wann tritt das, was Riefenstahl gemacht hat, erstmals als Gedanke in der europäischen Geistesgeschichte auf? Tatsächlich erst mit der Sowjet-Avantgarde?

Hoffmann: Man kann Leni Riefenstahl nur in die Filmgeschichte einbetten, und hier beginnt die Geschichte des Propagandafilms, wie gesagt, mit Eisenstein, Pudowkin, Dowschenko oder Wertow.

Sie waren bis 2002 Direktor des Goethe-Instituts. Im Ausland genießt Riefenstahl enormes Ansehen. Haben Sie im Rahmen der deutschen Kultur auch ihre Arbeiten präsentiert?

Hoffmann: Tatsächlich gilt Leni Riefenstahl zum Beispiel in Frankreich als Legende, in den USA nennt sie Susan Sontag ein Genie. In St. Petersburg wurde ihr unlängst ein roter Teppich ausgerollt und man empfing sie mit stehenden Ovationen. Dennoch haben wir darauf verzichtet, sie dort von seiten des Goethe-Instituts zu präsentieren, und das war wohl auch die richtige Entscheidung.

Allerdings haben Sie während Ihrer Zeit als Professor an der Universität Tel Aviv, zwischen 1975 und 1985, Ihren Studenten Riefenstahls Propagandafilme vorgeführt.

Hoffmann: Ja, und meine Studenten haben sie dialektisch beurteilt: Zum einen wurde die brillante Ästhetik der Filme gelobt, zum anderen aber ihre Zwecke problematisiert. Fazit: Hätte Riefenstahls Werk einem humanen Zweck gedient, hätten die Studenten ihre Werke als geniales Kunstwerk betrachtet.

Sie haben den neuen Film Riefenstahls. "Impressionen unter Wasser", gesehen. Wie ist Ihr Urteil?

Hoffmann: Phantastische Bilder, wie die Fotos der Nuba. Sie weicht auch hier in den Exotismus aus. Die submarine Welt liefert ihr dabei faszinierende Motive. Aber natürlich ist auch dieser Film ein Beitrag zu Ihrem Generalthema "Schönheit" - um jeden Preis.

Die Unterwasserwelt, die Nuba - eine Flucht ins Unpolitische bzw. politisch Korrekte, um zu beweisen, daß ihr Thema eigentlich immer schon unpolitisch war?

Hoffmann: So, wie ihr nach dem Krieg mitgespielt worden ist, vermute ich, daß es sich für Leni Riefenstahl in der Tat um eine Art Asyl handelt. moritz Schwarz

 

Prof. Dr. Hilmar Hoffmann war von 1993 bis 2002 Präsident des Goethe-Instituts und gilt als einer der profiliertesten Kulturpolitiker Deutschlands. 1925 in Bremen geboren, wurde er nach der Rückkehr aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft 1947 Theaterdirektor in Oberhausen und war Gründer und Leiter der Oberhausener Kurzfilmtage. An der Universität Bochum lehrte er Filmtheorie, und von 1970 bis 1990 war der Sozialdemokrat Kulturdezernent der Stadt Frankfurt am Main. Außerdem lehrte er an der Universität Tel Aviv und konzipierte das Kulturprogramm der Expo 2000. Er verfaßte zahlreiche Bücher zur Filmtheorie und beschäftigte sich auch mit Leni Riefenstahl. 1998 lernte er sie persönlich kennen und interviewte sie zuletzt im Januar 2002 für die Tageszeitung Die Welt.

 

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