© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    35/02 23. August 2002

 
Optimismus trotz neuer Rückschläge
Partei Rechtsstaatlicher Offensive: Auch die Gründung des Landesverbandes Niedersachsen ist durch Parteiquerelen gescheitert
Peter Freitag

Seit es Parteien gibt, ist innerparteilicher Zwist ihr ständiger Begleiter. Bei den Etablierten spielt sich dieses Phänomen hauptsächlich unterhalb der Oberfläche und in dem Außenstehenden unzugänglichen Zirkeln ab; je basisdemokratischer die Partei, desto öffentlicher auch die internen Zerwürfnisse.

Als sich die Schill-Partei am vergangenen Samstag in Hannover versammelte, um im zweiten Anlauf ihren niedersächsischen Landesverband zu gründen, empfingen den Besucher gleich am Eingang des Tagungslokals streitende Parteimitglieder, die über den einzuschlagenden Weg ihrer jungen Bewegung sichtlich uneins waren. Hintergrund des Konflikts: Mitglieder aus dem Raum Soltau-Fallingbostel hatten beim Parteigericht ein Verfahren gegen die Rechtmäßigkeit des Parteitags angestrengt, da ihrer Meinung nach die Einladung dazu weder frist- noch formgerecht ergangen sei. Darin sahen sie einen klaren Satzungsverstoß. Andere wiederum hielten die Verhinderung des Gründungsparteitags für parteischädigendes Verhalten. Letztendlich erledigte sich der Streit von selbst, da ohnehin das notwendige Anwesenheitsquorum von 25 Prozent der insgesamt 800 niedersächsischen Mitglieder knapp verfehlt worden war.

"Benehmen wir uns nicht wie eine Selbsterfahrungsgruppe"

In seiner Begrüßung der etwa 180 Mitglieder sprach Klaus Veuskens, der als Spitzenkandidat der Schill-Partei die niedersächsische Kandidatenliste anführt, die innerparteilichen Konflikte nur kurz an und war sichtlich bemüht, in versöhnlichem Tonfall ohne harsche Worte gegen die Initiatoren der Anfechtung die Wogen zu glätten. Der selbständige Kaufmann aus Hildesheim, der als ehemaliges CDU-Mitglied bereits über kommunalpolitische Erfahrung als Abgeordneter verfügt, rief die Seinen zur Geschlossenheit auf: "Wir dürfen den Feind nicht in den eigenen Reihen, sondern müssen die Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner suchen", mahnte Veuskens. Deutlicher formulierte dies Dirk Salzmann, Bezirksvorsitzender in Hannover und Landesbeauftragter der Schill-Partei in Niedersachsen. Mit Blick auf die anwesende Presse forderte er: "Benehmen wir uns nicht wie eine Selbsterfahrungsgruppe, und lassen Sie nicht zu, daß das Berichtenswerte aus der Schill-Partei nur die internen Auseinandersetzungen sind!" Daß ob dieser Worte ein Teil der Anwesenden in lauten Jubel ausbrach, andere dies aber mit Buhrufen quittierten, zeigte, wie weit die Partei von einem solchen Wunsch entfernt ist. Salzmann resümierte weiter, daß der Aufbau von Ortsverbänden gelungen und überwiegend von positivem Presseecho begleitet worden sei. "Auf dem Weg zur Gründung des Landesverbandes haben wir heute einen kleinen Stolperstein erfahren", so der Polizeibeamte, der sogleich den neuen Termin für einen Parteitag ankündigte (19. Oktober). Bodo-Theodor Adolphi, Hamburger Bürgerschaftsabgeordneter und Landeskoordinator für Niedersachsen, lobte denn auch die bisherigen Aufbauleistungen der Niedersachsen, kündigte gegen Ende seines Grußwortes aber zugleich Konsequenzen (bis hin zu Parteiausschlußverfahren) gegen die innerparteilichen Querschießer an.

Als Wahlziele nannte Spitzenkandidat Veuskens, man wolle Rot-Grün abwählen, eine Neuauflage dieser Koalition, womöglich ergänzt um die PDS, verhindern und das "Hamburger Modell" einer bürgerlichen Mitte-Rechts-Koalition im Bund etablieren. Grüne und PDS seien als reine Klientelparteien zunehmend überflüssig und am besten im nächsten Bundestag nicht mehr vertreten. Der derzeitige Stand von 3,5 Prozent Zustimmung für die Schill-Partei, den Emnid ermittelt habe, müsse nun ausgebaut werden; als realistisches Ziel steuert die Partei 12 Prozent an. Veuskens betonte die hohe Anzahl von noch unentschlossenen Wählern und die große Unzufriedenheit der Bürger mit den Etablierten. Die Chance für Schill sei das Profil einer Protestpartei auf dem Boden des Grundgesetzes: "Der Wahlzettel muß am 22. September zu einem Denkzettel werden", so Veuskens. Weil kein ordnungsgemäßer Parteitag zustande gekommen war, konnte in Hannover auch über Inhaltliches nicht befunden werden. Veuskens hatte für das Programmatische der Partei einen Antrag formuliert, der die komplette Neuordnung des Kindergeldes vorsieht: Das Kindergeld solle um mindestens 50 Prozent erhöht, allerdings nur an deutsche und aus EU-Staaten stammende Eltern ausgezahlt werden. Für Kinder von Bürgern aus Nicht-EU-Staaten solle statt dessen eine "Integrationsbeihilfe" eingeführt werden.

Da der Bundesvorsitzende Ronald Schill wegen der anstehenden Hochwasserschutzmaßnahmen in Hamburg unabkömmlich war, vertrat ihn Wolfgang Tiedt als Hauptredner. Der Listenzweite aus Schleswig-Holstein blickte zunächst auf die Anfänge Schills als "Richter Gnadenlos" zurück, um dann einen programmatischen Parforceritt durch die Bundespolitik zu vollführen. Alle derzeit im Bundestag vertretenen Parteien hätten in den wesentlichen Politikfeldern versagt, vor allem in den Fragen der Wirtschaft (steuerliche Benachteiligung des Mittelstands), der Bildung sowie der inneren und äußeren Sicherheit. In diesen Bereichen sei schon in der Ära Kohl verhängnisvoll gespart worden, die Auswirkungen seien nun zu spüren. Tiedt forderte eine Drosselung von Sozialleistungen, die Änderung des Asylrechts und die Herausnahme von Zuwanderern aus dem Sozial- und Krankenversicherungssystem. Nötig sei auch, daß Deutschland weniger Mittel an die EU abführen müsse. Unklar blieb allerdings, warum Tiedt vehement bestritt, ob dieser Forderungen als "rechts" gelten zu wollen, während sein Parteifreund Veuskens zuvor noch eindeutig von einer Mitte-Rechts-Koalition nach Hamburger Vorbild gesprochen hatte.

Der vom damaligen Bundespräsidenten Herzog geforderte "Ruck" , so Tiedt weiter, werde durch die Schill-Partei, die für die Interessen der rechtschaffenen Bürger dieses Landes eintrete, glaubhaft verkörpert. Zudem sprach sich Tiedt für die vermehrte Einführung von plebiszitären Elementen in der Verfassung aus, die den Bürgern eine größere Mitwirkung ermöglichten: "Ohne Volksabstimmung darf es keine Osterweiterung der EU geben", so Tiedt am Ende seiner begeistert aufgenommenen Rede. Zum Abschluß der Versammlung erläuterte Wahlkampfleiter Hohmann den Stand der Vorbereitungen der niedersächsischen Schill-Partei auf die heiße Phase des Wahlkampfs. Als Besonderheit hob er unter anderem ein spezielles Konzept für rußlanddeutsche Wähler hervor.

Gegenüber der JUNGEN FREIHEIT ließ Spitzenkandidat Veuskens nach Ende der Tagung allerdings doch die Enttäuschung über die mißlungene Gründung des Landesverbandes durchblicken. Sowohl organisatorisch als auch finanziell sei die Last des Wahlkampfes ohne einen gewählten Vorstand auf zu wenige Schultern verteilt, so Veuskens, der bisher einen Großteil der Aufwendungen von Faltblättern bis zu Plakaten selbst tragen mußte. Auch seien wiederum 3.000 Euro Saalmiete ohne nennenswerten Nutzen gewesen. Das Fristversäumnis läge in erster Linie darin begründet, daß immer noch die Fäden in der Hamburger Zentrale zusammenlaufen, und der Arbeitsaufwand dort zu hoch sei. Ohne den Landesverband fehlen allerdings wiederum die Möglichkeiten für eine notwendige Dezentralisierung.

Bodo-Theodor Adolphi, der als Koordinator auch für Schleswig-Holstein zuständig ist, machte auf Anfrage der JF klar, daß ein Unterwanderungsversuch der dortigen Schill-Partei durch Mitglieder der NPD rechtzeitig verhindert wurde. "Die haben sich unter falschen Angaben bei uns eingeschlichen, um durch späteres 'Aufdecken' unsere Partei zu schädigen und ein Antreten zu den Kommunalwahlen zu verhindern". Mittlerweile sind alle drei NPD-Funktionäre jedoch aus der Schill-Partei ausgeschlossen worden.

Entgegen anderslautenden Presseberichten strebt die Schill-Partei in Mecklenburg-Vorpommern weiterhin ein Ziel von 10 Prozent bei den Landtagswahlen am 22. September an. Zuvor war vermeldet worden, sie habe die Erwartungen auf 5 Prozent heruntergeschraubt. Michael Kuhfeld aus dem Rostocker Parteibüro sprach gegenüber der JF von einem Mißverständnis und erläuterte: "Fünf Prozent sind nur die Hürde, aber die nehmen wir auf jeden Fall". Statt eines Spitzenkandidaten (der frühere war zurückgetreten) tritt die Partei dort mit einem "Kompetenzteam" an, bestehend aus Walter Schuldt (Sicherheit), Thomas Schott (Bildung), Hansheinrich Liesberg (Wirtschaft) und Karl-Heinz Ehlert (Landwirtschaft). Der Landesvorsitzende, der Rostocker Arzt Helmut Schmidt, zeichnet für den Bereich Gesundheit verantwortlich.


 
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