© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    36/02 30. August 2002


Deutsche Zwangsarbeiter
Das kalte Herz des Kanzlers
Dieter Stein

Mittwoch vergangener Woche: 40 Personen versammeln sich vor dem Bundeskanzleramt in Berlin. Es sind Zwangsarbeiter. Deutsche Zwangsarbeiter. Frauen und Männer, die im Zweiten Weltkrieg und danach versklavt wurden, allein weil sie Deutsche waren. In der Sowjetunion, in Polen, der Tschechei und anderswo. Grausame Schicksale.

Mit dabei: Jutta J. (Name der Redaktion bekannt). Die kleine Frau trägt ein Pappschild um den Hals. Darauf steht: "Wir leben noch! Wir bitten um Gleichbehandlung". Jutta J. war blutjung, 15 Jahre alt, als sie am 14. März 1945 in Ostbrandenburg zusammen mit anderen Deutschen von der Roten Armee interniert wurde. Sie sollte mit einem letzten Transport nach Sibirien. Der Zug wird von Partisanen beschossen, kommt nur bis hinter Warschau. Eine schreckliche Odyssee durch mehrere Lager schließt sich an. Frau J. wird schließlich mit anderen Inhaftierten im Dezember 1945 in einem Viehwaggon ins KZ Potulice deportiert. Dort verbringt sie eine grauenhafte Zeit bis zum 22. Februar 1949. Fronarbeit in polnisch verwalteten Gütern. Sie wird immer wieder von Männern drangsaliert und geschlagen. Seit März '49 lebt die heute 72jährige im brandenburgischen Kuschkow und ist in der Landwirtschaft tätig. Nie hat man sich bei ihr entschuldigt. Keinen Pfennig hat sie für ihre Sklavenarbeit erhalten. Ein Schicksal von Hunderttausenden, an die kein Denkmal erinnert.

Im Sommer 2000 hat sich ein informeller "Arbeitskreis Deutsche Zwangsarbeiter" (AKDZ) gebildet, der inzwischen durch Fragebögen 100.000 von geschätzten 500.000 noch lebenden deutschen Zwangsarbeitern ermittelt hat. Der Vorsitzende des AKDZ, Rudi Pawelka, kämpft seit Monaten mühsam gegen das Desinteresse der Medien und der Politik am Schicksal der deutschen Opfer an. Zumeist reagieren Politiker und Journalisten achselzuckend und abweisend.

In der vergangenen Woche nun wollte der AKDZ unter Beteiligung von Vertretern des "Bundes der Stalinistisch Verfolgten" und aller Landsmannschaften der Vertriebenen mit einer Pressekonferenz und einer Demonstration im Regierungsviertel von Berlin auf sein Anliegen aufmerksam machen.

40 Zwangsarbeiter, Frauen und Männer, zogen schließlich zum Kanzleramt. Sie hatten dem Bundeskanzler angekündigt, daß sie eine Resolution übergeben wollten. Eine Resolution, in der sie die Bundesregierung eindringlich auffordern, sich des Schicksals dieser gebeutelten Menschen anzunehmen.

Obwohl sie angekündigt waren, weigerte sich das Bundeskanzleramt, die Resolution durch einen offiziellen Vertreter entgegennehmen zu lassen. Sie sollten sich ans Innenministerium wenden, ließ man ihnen über den Pförtner bestellen. Schließlich nahm sich ein rührender Polizeibeamter der Resolution an und sicherte zu, sie an das Büro des Kanzlers weiterzuleiten. Jutta J. standen die Tränen in den Augen: "Ich bin so traurig. Alle werden angehört. Keine Achtung, keine Ehre hat man für uns übrig." Ein beschämendes Bild für den deutschen Bundeskanzler.


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