© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    36/02 30. August 2002

 
Einfach wegdrücken!

Rudi Pawelka über das verdrängte Leid der deutschen Zwangsarbeiter und den jüngsten Streit um ihre moralische Anerkennung
Moritz Schwarz

Herr Pawelka, der Bundeskanzler hat in der vergangenen Woche die Entgegennahme einer Resolution des "Arbeitskreises Deutsche Zwangsarbeiter" (AKDZ), die die Forderungen nach gerechter Behandlung nicht nur für die sogenannten NS-, sondern auch für die deutschen Zwangsarbeiter in der Sowjetunion erhebt, abgelehnt. Es blieb Ihnen als Vorsitzender des AKDZ nichts anderes übrig, als das Papier einem Pförtner des Bundeskanzleramtes zu übergeben.

Pawelka: Das Thema ist den Politikern unangenehm und ganz offensichtlich lautet die Devise: einfach wegdrücken! Ich hatte mich zwecks Übergabe unserer Resolution bereits im März ans Bundeskanzleramt gewandt und bekam schließlich einen ablehnenden Bescheid: Wir hätten die Resolution an einen Referatsleiter des Innenministeriums in Bonn übergeben sollen. Das haben wir natürlich nicht gemacht.

Wie empfinden Sie diese Behandlung?

Pawelka: Schlicht als demütigend! Schließlich geht es hier um Menschen, die nach dem Krieg ein schlimmes Schicksal tragen mußten. Und die nun nichts weiter fordern, als Gleichberechtigung mit denen, die Opfer der nationalsozialistischen Diktatur wurden und deren berechtigte Anliegen im Deutschland von heute höchsten moralischen Rang genießen.

Im AKDZ sind die neun wichtigsten Landsmannschaften, etwa die Schlesier, Ostpreußen, Sudetendeutschen, etc. und der Bund der stalinistisch Verfolgten (BSV) vereinigt, um die Forderungen der nach dem Zweiten Weltkrieg in die Sowjetunion verschleppten Zivilisten aus den ostdeutschen Reichs- und Siedlungsgebieten zu vertreten. Insgesamt handelte es sich damals um Millionen von Opfern. Das heißt doch, die vom Bundeskanzler verweigerte Resolution repräsentiert nicht nur die Interessen einer Sondergruppe, sondern einer ganzen Volksgruppe.

Pawelka: So ist es, das Zwangsarbeiterlos traf damals willkürlich Millionen von Deutschen, unabhängig von einer eventuellen Verstrickung ins NS-System, einfach aufgrund der Tatsache, daß sie Deutsche waren und im deutschen Osten lebten, statt in Bayern oder am Rhein. Es ist beschämend, daß die Politiker diese Deutschen einfach vergessen, und es ist noch beschämender, daß in einer Frage, wie dem Zwangsarbeiterunrecht, wo es auf beiden Seiten um unschuldige Zivilisten geht, in Deutschland heute mit zweierlei Maß gemessen wird.

Wieso kam es erst über fünfzig Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges zu einer entsprechenden Initiative?

Pawelka: Im November 1999 klagte mir bei einem Besuch in Oberschlesien ein heimatverbliebener Deutscher sein Leid: Bereits aus der Kriegsgefangenschaft entlassen, wurde er dreieinhalb Jahre nach Sibirien verschleppt, erhält aber heute, anders als seine polnischen Nachbarn, die für die Nazis arbeiten mußten, keinen Ausgleich dafür, obwohl ihm diese Jahre bei seiner Rente fehlen. Im Dezember darauf schilderte ich das Problem Wolfgang Schäuble - damals noch Unionsfraktionschef - und dem CSU-Bundestagsabgeordneten Hartmut Koschyk. Die machten sofort eine Anfrage im Bundestag daraus. Daraufhin informierte das Auswärtige Amt über die bevorstehenden Konsultationen der Sozialministerien Deutschlands und Polens zu dieser Frage. Es ging damals allerdings zunächst um die heimatverbliebenen Deutschen. Erst nach weiterer Befassung mit der Problematik wurde klar, daß dieses Unrecht auch ehemalige deutsche Zwangsarbeiter in Mittel- und Westdeutschland betraf.

Welche Rolle spielte die Debatte um die Entschädigung der NS-Zwangsarbeiter?

Pawelka: Das machte unsere Bemühungen akut, denn es war für die Betroffenen natürlich jedesmal wie ein Stich, wenn jedermann die Entschädigung der NS-Zwangsarbeiter forderte, über ihr Leid aber mit keiner Silbe geredet wurde. Natürlich gerieten wir in Verdacht, aus Neid zu handeln, und so haben wir erst den Abschluß der Verhandlungen zur Entschädigung der NS-Zwangsarbeiter abgewartet, um nicht in den Ruf zu kommen, wir hätten eventuell deren Entschädigung gestört.

Bisher hat der AKDZ etwa 100.000 Fälle deutscher Zwangsarbeiter gesammelt. Wie hoch schätzen Sie die Gesamtzahl der heute noch lebenden Betroffenen?

Pawelka: Das ist schwer zu sagen, weil die Frage ist, wieviele Betroffene wir erreichen, denn außerhalb der Vertriebenenpresse ist das Presseecho lange nicht so groß wie etwa bei den NS-Zwangsarbeitern. Ich schätze, daß es heute noch etwa 500.000 Betroffene gibt.

Wieviele Deutsche haben nach dem Krieg überhaupt Zwangsarbeit leisten müssen?

Pawelka: Etwa 1,5 Millionen deutsche Zivilisten wurden nach dem Krieg gegen jedes Menschen- und Völkerrecht in die Sowjetunion verschleppt. Die Todesrate lag bei über 50 Prozent - in manchen Lagern nach unseren Erkenntnissen sogar bei 70, 80 oder 90 Prozent - und seit der Entlassung der Überlebenden sind zudem manche an Alter, Krankheit oder den Folgen der Verschleppung gestorben.

Eine nationale Tragödie, die im heutigen Deutschland weitgehend unbekannt ist.

Pawelka: Leider, und das ganze Ausmaß ist noch viel erschreckender, wenn man sich klarmacht, daß nicht nur Männer, sondern auch Frauen und Kinder verschleppt wurden, so manche Frau etliche Vergewaltigungen über sich ergehen lassen mußte und viele der überlebenden Deportierten mit schweren bleibenden Schäden aus der Verschleppung zurückkamen.

Welche Leistungen fordern Sie konkret?

Pawelka: Zum einen eine einmalige Entschädigungsleistung, zum anderen eine pauschale Opferrente, die den Leuten langwierige Rentenrechnereien erspart.

Wie hoch wäre das gewünschte Gesamtvolumen der Entschädigung?

Pawelka: Die gewünschte Gesamtsumme kann ich Ihnen nicht nennen, da wir noch nicht wissen, wieviele Fälle wir insgesamt sammeln werden. Aber pro Zwangsarbeiter stellen wir uns eine Entschädigungszahlung zwischen 5.000 und 14.000 Mark vor, je nach Schicksal. Das entspräche dem, was die NS-Zwangsarbeiter bekommen und wäre eine symbolische Anerkennung des erlittenen Unrechts und vor allem der "Gleichwertigkeit" der Opfer.

Hoffnung auf Entschädigung können sich derzeit allerdings nur von den Sowjets verschleppte Deutsche machen. Es wurden aber auch von Polen, Tschechen, Jugoslawen, etc. Deutsche verschleppt und zur Arbeit gezwungen.

Pawelka: Und zwar in großer Zahl: Allein in Polen gab es über 1.200 Lager für deutsche Zwangsarbeiter - eines davon war übrigens das ehemalige Konzentrationslager Auschwitz -, darunter auch ganz berüchtigte mit hohen Todesraten und bestialischen Greueltaten durch die Lagerbesatzungen. Hier endgültige Zahlen zu nennen, ist schwierig. Die zuvor genannten 1,5 Millionen Opfer - das gilt es zu bedenken - sind nur jene, die in die UdSSR verschleppt wurden.

Nicht enthalten in dieser Zahl sind außerdem die Millionen deutscher Zwangsarbeiter, die als Kriegsgefangene in die Sowjetunion verschleppt worden sind?

Pawelka: So ist es. Die Genfer Konvention besagt, daß mit der Rückführung von Kriegsgefangenen sogleich nach Beendigung der Kampfhandlungen zu beginnen ist. Die Millionen deutscher Soldaten, die teilweise erst nach zehn Jahren heimkehrten - vorausgesetzt sie gehörten nicht zu den 1,3 Millionen, die in den Lagern umkamen -, waren also die meiste Zeit ihrer Gefangenschaft keine Kriegsgefangenen im völkerrechtlichen Sinn. Deshalb lautet der Titel unserer Resolution auch: "Deutsche Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene gerecht behandeln!"

Anders wurde das bei den NS-Zwangsarbeitern geregelt.

Pawelka: Ja, denn da heißt es im Stiftungsgesetz, daß auch solche Zwangsarbeiter entschädigt werden, die als Kriegsgefangene von den Nazis zur Zwangsarbeit gepreßt wurden.

Wie empfinden Sie es, im eigenen Staat Bürger zweiter Klasse zu sein?

Pawelka: Dies ist für die betroffenen Zwangsarbeiter unerträglich, hat aber seine Ursache, wie die Behandlung der Vertriebenenfrage generell, in der allgemeinen psychologischen Situation, die bei uns tonangebend ist. Der bekennenden Reue wegen sei, so beschrieb unlängst der Bonner Generalanzeiger die Hintergründe für dieses Tabuthema, das Leid der Vertriebenen ignoriert worden. Die Einsicht in die eigene Schuld habe alle anderen Perspektiven überlagert.

In Polen etwa stoßen Sie allerdings auf erheblich mehr Gesprächsbereitschaft.

Pawelka: Ja, in Deutschland erscheinen die Politiker diesbezüglich noch etwas zurückgeblieben und in der Vergangenheit gefangen. Zu Hause werten die meisten Politiker und viele Presseleute unser Anliegen als einen Konfrontationskurs gegen Polen und haben überhaupt nicht gemerkt, daß man in Polen zum Teil schon viel weiter ist.

Nämlich?

Pawelka: Vertreter ostdeutscher Landsmannschaften waren bereits viermal in Warschau und haben inzwischen mit Vertretern aller Sejm-Fraktionen - mit Ausnahme von zwei kleineren Parteien - von ganz links bis ganz rechts gesprochen, außerdem mit der Kirche, verschiedenen Stiftungen und Regierungsstellen, etc. Wir machen uns keine Illusionen, aber die Gesprächsbereitschaft in Polen ist viel besser, so daß uns nach solchen Treffen manchmal klar wird, der Gegner unserer Anliegen sitzt in erster Linie in Deutschland. Das ist schon bedrückend.

In Deutschland werden sie nur allzugerne unterschwellig als revanchistisch verunglimpft. - Wenn man das Pochen auf das Recht auf Heimat überhaupt als Revanchismus betrachten kann.

Pawelka: Immerhin, die FAZ schrieb über den damaligen Kulturstaatsminister Naumann, seit dessen Amtszeit versucht wird, die Vertriebenenkultur komplett auszutrocknen, er sei der "letzte kalte Krieger". Gemeint war das in Deutschland noch vorherrschende Kalte-Krieg-Denken: die Vertriebenen stünden automatisch im Gegensatz zu Polen, und mit unseren Forderungen seien wir angeblich nur auf Konfrontation aus. - Allerdings muß man der Fairneß wegen sagen, daß wir, was unsere Auslandskontakte angeht, inzwischen auch Unterstützung, etwa vom Bundesinnenministerium oder von der deutschen Botschaft in Warschau, erhalten.

Wie sind Ihre Kontakte zu den Fraktionen des Bundestags im Vergleich zu denen des polnischen Parlaments?

Pawelka: Wir führen auch mit unseren eigenen Parlamentariern von Zeit zu Zeit Gespräche, ebenso wie mit verschiedenen Spitzenpolitikern. Aber die Resultate, etwa mit den Regierungsfraktionen, gehen "gegen Null".

Wie begründet man dort die von Ihnen monierte Ungleichbehandlung gegenüber den NS-Zwangsarbeitern, deren Entschädigung von Bundesregierung und Bundestag erheblich unterstützt wurde?

Pawelka: Darüber hat die CDU/CSU-Opposition von der Bundesregierung immer wieder Auskunft verlangt. Und die Bundesregierung flüchtet sich tatsächlich in Ausreden wie, die Wurzeln für die damaligen Geschehnisse lägen schließlich im NS-Unrecht. Oder: Schließlich würde der NS-Stiftungsfonds von Deutschland in versöhnlicher Geste bereitgestellt, was durch unsere Ansprüche relativiert werden würde. Man geht sogar noch weiter und spricht nicht nur in Zusammenhang mit unseren Forderungen von Relativierung, sondern warnte, ein solcher Effekt sei schon gegeben, wenn wir das Thema an sich überhaupt aufbringen würden.

Das heißt, die Bundesregierung rechnet auf.

Pawelka: Das tut sie, und zwar genau mit der absurden Behauptung, dies vermeiden zu wollen. Aber das Schlimmste ist, daß man nicht nur mit Ausreden manövriert, sondern sich schließlich unverblümt dazu bekennt - nachzulesen in der Bundestagsdrucksache 14/6688 -, das von deutschen Zwangsarbeitern erlittene Unrecht ungleich zu behandeln. Wörtlich heißt es da, selbst das große Leid der deutschen Zwangsarbeiter "schließt unterschiedliche Bewertung hinsichtlich der Frage staatlicher Reaktion indessen nicht aus, etwa unter dem Gesichtspunkt historischer Verantwortung". Im Klartext: Unrecht? Bist Du Deutscher, Pech gehabt!

An wen richten sich die Forderungen des AKDZ, an die Bundesregierung oder an die Staaten, die dieses Unrecht nach dem Krieg verübt haben?

Pawelka: Eigentlich an die betreffenden Staaten, aber nachdem die Bundesregierung sich als deutsche Regierung weigert, diese Probleme zu verhandeln, muß - unserer Meinung nach - sie dafür eintreten. Aber selbst dann noch müßte die Bundesregierung verhandeln, denn selbst wenn unsere Regierung das Problem der deutschen Zwangsarbeiter intern regeln würde, bleiben immer noch die Deutschen in der Heimat, für die die Gesetze der Bundesrepublik schließlich nicht gelten.

Halten Sie es für realistisch, daß Ihre Forderungen eines Tages erfüllt werden?

Pawelka: Ich hoffe, daß sich die CDU/CSU, die den AKDZ bislang unterstützt hat, im Falle eines Regierungswechsels nach der kommenden Bundestagswahl an ihre Versprechungen aus der Oppositionszeit erinnern wird.

Sind sie diesbezüglich, wenn Sie sich daran erinnern, wie auch unionsgeführte Bundesregierungen vor dem Wechsel zu Rot-Grün die Vertriebenen im Stich gelassen haben, tatsächlich zuversichtlich?

Pawelka: In der Tat erinnern wir uns alle daran, wie wenig die Union sich in ihrer Regierungszeit für die politischen Anliegen der Vertriebenen eingesetzt hat - zugegeben, mit Ausnahme der Pflege der Kultur der Vertreibungsgebiete und der Förderung der Deutschen in der Heimat. Andererseits aber sind CDU/CSU die einzigen deutschen Parteien, die überhaupt ein gewisses Verständnis für das Leid der Vertriebenen erkennen lassen. Die übrigen Parteien haben sowieso einen Schlußstrich gezogen und verdrängen das Unrecht. Uns bleibt also nichts, als auf das Beste zu hoffen.

 

Rudi Pawelka ist Vorsitzender des "Arbeitskreises Deutsche Zwangsarbeiter" (AKDZ), der sich für eine Entschädigung der nach dem Zweiten Weltkrieg zu Zwangsarbeit gepreßten Deutschen einsetzt. Pawelka, 1940 in Breslau geboren, ist zudem Bundesvorsitzender der Landsmannschaft Schlesien, im April 2000 trat er die Nachfolge Herbert Hupkas an. Der ehemalige Polizeibeamte lebt heute in Leverkusen.

Kontakt: AKDZ-Erfassungsstelle, Postfach 47 41 19, 22105 Hamburg

 

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