© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    36/02 30. August 2002

 
Mehr Belastung und weniger Perspektiven
Berlin: Nach dem Überfall auf die irakische Botschaft enthüllt sich der desaströse Zustand der Hauptstadt-Polizei - zu Lasten der Inneren Sicherheit
Oliver Morenow

Seit dem Umzug der Bundesregierung nach Berlin herrscht zwischen Bund und Land Berlin ein Tauziehen um die zusätzlichen Kosten zur Bewachung der Bundesbehörden und Botschaften. Nun forderte dieser Streit seine ersten Opfer.

Während sich die Politiker seit Jahren streiten, spazierten am frühen Nachmittag des 20. August fünf bewaffnete Männer der "Demokratischen irakischen Opposition Deutschlands" in die Botschaft des Iraks in Berlin-Zehlendorf. Dort nahmen sie die Anwesenden als Geiseln, unter anderem auch den Geschäftsträger der Botschaft selbst- der Irak hat keinen offiziellen Botschafter in Deutschland. Trotz der abgegebenen Schüsse sah sich die Berliner Polizei erst nach fünf Stunden dazu in der Lage, die Geiselnehmer zu überwältigen. Das Sondereinsatzkommando (SEK) hatte dem Spuk ein Ende bereitet. Der Schock blieb. Die außenpolitischen Folgen wären unabsehbar gewesen, wenn die Geiselnehmer, irakische Asylbewerber, die mittlerweile samt ihrer Drahtzieher in Untersuchungshaft sitzen, den Botschafter ermordet hätten. So kamen die Geiseln mit leichten Verletzungen davon.

Gleiches wollte wohl auch der Berliner Innensenator Ehrhart Körting (SPD) für sich in Anspruch nehmen und war sichtlich bemüht den "Zwischenfall" schnellstmöglich von der öffentlichen Debatte fernzuhalten. Schon seit Wochen warnt die Gewerkschaft der Polizei (GdP), daß die 1.483 Objektschützer der Berliner Polizei für die Sicherung der gefährdeten Objekte nicht mehr genügen. Warum vor der irakischen Botschaft nicht ein einziger Polizeivollzugsangestellter patrouillierte, erklärte der Landesjugendvorsitzende der Berliner GdP, Torsten Wegner, im Gespräch mit der JUNGEN FREIHEIT: "Wenn das Personal nicht ausreicht, ist eben niemand da, der die Objekte schützen könnte. Sie können auch versuchen, einem nackten Mann die Taschen zu leeren - Sie werden nichts finden." Und dann wird der Polizeigewerkschafter noch deutlicher: "Von einer ausreichenden Sicherung der gefährdeten Objekte in Berlin kann derzeit keine Rede sein." Mindestens 300 weitere Polizeivollzugsangestellte würde man benötigen. Selbst ein Mitglied der Berliner Polizeiführung, der Landesschutzpolizeidirektor Gernot Piestert soll die Gefahr erkannt und zumindest 50 zusätzliche Objektschützer gefordert haben. Die Ohren seiner Führungskollegen blieben taub.

Im weiteren Gespräch offenbarte der Gewerkschaftsnachwuchsmann auch den Zusammenhang mit der Lage der Berliner Polizei-Azubis. Nach dem jetzigen Plan des Innensenators Körting sollen rund 25 Prozent der Azubis nicht übernommen werden, 420 junge Menschen stünden dann auf der Straße. Denn mit der Ausbildung läßt sich außerhalb der Behörde kaum etwas anfangen. Kündigen darf ein Auszubildender nur, wenn er seine bisherigen Gehälter teilweise zurückzahlt. Der Berliner Polizei-Anwärter schlüpft in die Rolle eines modernen Sklaven, der dem Willen seines (Dienst-)Herrn bedingungslos ausgeliefert ist. "Die Azubis stecken in einem Dilemma. In ihrer Not und Angst um ihren Arbeitsplatz folgten sie dem Lockruf von Bundesgrenzschutz (BGS) und Bundeskriminalamt (BKA). Die Vermittlung an den BGS und an das BKA hatte Innensenator Körting eingefädelt", sagt Wegner. Inzwischen meldete Hamburgs Innensenator Ronald Schill (Partei Rechtsstaatlicher Offensive) ebenfalls Interesse an, sich aus Berlins Konkursmasse zu bedienen. Schill unterbreitete den Azubis ein Angebot. Demnach erhält jeder, der nach Hamburg wechseln möchte, innerhalb von zwei Wochen die schriftliche Zusage, daß er in der Hansestadt einen Arbeitsplatz bekommt. "Die Azubis können dabei selbst wählen, ob sie sofort nach Hamburg übersiedeln wollen, oder ob sie ihre Ausbildung in Berlin beenden möchten", so Wegner. Innensenator Körting schäumte vor Wut und griff den Hamburger Amtskollegen scharf an. Dessen Abwerbung würde gegen einen Beschluß der Innenministerkonferenz verstoßen. "Dieser Beschluß ist jedoch nur eine mündliche Absprache der Innenminister. Es liegt kein schriftlicher Beschluß darüber vor", interveniert Wegner.

Doch könnte es Körting nicht egal sein, an wen er seine Azubis verschenkt? Wegner lacht bitter auf die Frage: "Die Lücke der fehlenden Objektschützer wurde mittlerweile größtenteils durch BGS-Personal geschlossen." Körting stand in Otto Schilys Schuld, der Dienstherr über den Bundesgrenzschutz ist. Der ewige Streit um die Kosten für den erhöhten Sicherungsbedarf wird zwischen Schily und Körting mit einem Kuhhandel beigelegt. Körting hatte scheinbar Schily die Azubis als dankbares Geschenk angeboten, wenn er ihn bei der Objektsicherung mit BGS-Beamten unterstützt. Doch Schill macht diesen Plan mit seiner erfolgreichen Abwerbung nun zunichte und durchkreuzt die Körting-Schily-Vereinbarung. Mittlerweile rennen die Azubis dem Hamburger Innensenator die Türen ein. "Wenn es ganz schlimm kommt, hat Berlin in drei Monaten keinen einzigen Azubi mehr", so der Nachwuchs-GdPler. Die vergeudeten Ausbildungskosten beziffert die GdP auf 180 Millionen Euro. Ab 2003 fehlen dem Land Berlin dann circa 2.000 Beamte. "Das entspricht der Personaldecke der zwei Bereitschaftsabteilungen Berlins, die für die Absicherung der täglichen Demonstrationen in der Stadt verantwortlich sind", beklagt sich Wegner.

Berlins GdP-Vorsitzender, Eberhard Schönberg, prophezeite der Stadt unlängst eine düstere Zukunft: "Die es sich leisten können, werden die Stadt verlassen." Berlin entwickele "New Yorker Verhältnisse der siebziger Jahre", so Schönberg weiter. Die Sparwut des Senats macht auch vor den Sachmitteln nicht halt, die im Rahmen des "Berliner Modells" eigentlich angeschafft werden sollten. Polizisten beklagen, daß ohne das Mitbringen privater Schutzwesten, Taschenlampen, Handys und Computer, die Arbeit kaum noch zu bewältigen sei, Diensträume werden in der Freizeit renoviert und mit privatem Mobiliar bestückt. Selbst das Privatauto mutiert schon mal zum zivilen Dienstfahrzeug, wenn auch ohne Blaulicht und Sirene. Wegner kommentiert diese Zustände: "Die GdP hat die Zusammenarbeit mit der Polizeiführung in Hinblick auf das Berliner Modell aufgekündigt. Die zugesagten technischen Mittel wurden nicht angeschafft oder funktionieren nicht. Das Berliner Modell hat keine Zukunft mehr."

Die Azubis fliehen. Die Motivation der restlichen Truppe ist im Keller. Die Kriminalitätsbekämpfung verkommt zur Kriminalitätsverwaltung, Die Polizisten mutieren zu Papiertigern - von der Politik forciert, von der Polizeiführung geduldet. Am 26. August verkündete Berlins Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD), im öffentlichen Beschäftigungssektor nun weitere drei Milliarden Euro einsparen zu wollen. Auch die Polizei steht auf seiner Liste. Oder besser gesagt: Daß, was davon noch übrig ist.


 
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