© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    36/02 30. August 2002

 
Tiefe Abgründe
Kino: "Wahnsinnig verliebt" von Laetitia Colombani
Claus-M. Wolfschlag

Die junge Kunststudentin Angélique (Audrey Tautou) ist sehr verliebt in Loic (Samuel Le Bihan), einen aparten Herzchirurgen. Doch Loic ist mit einer anderen Frau verheiratet und wird zudem noch Vater, so daß Angélique sich schwerem Liebeskummer hingeben muß. Einige heimliche Treffen, einsame Nächte, Warten und Hoffen ist alles, was ihr zu bleiben scheint. Doch dann geschieht Unerwartetes. Nach einer Fehlgeburt verläßt Loics Frau den gemeinsamen Haushalt - die Verwirklichung von Angéliques Traum scheint zum Greifen nah. Loic hat währenddessen mit anonymen Anrufen und Briefen, mit diversen Geschenken ohne Absender zu kämpfen. Schließlich wird eine seiner Patientinnen erschlagen aufgefunden...

"Wahnsinnig verliebt" heißt die neue französische Produktion, und sie dürfte auch hierzulande kommerzielle Erfolge feiern können. Zwar reicht der Streifen nicht an den letztjährigen französischen Top-Act "Die fabelhafte Welt der Amelie" heran, versucht aber durch zahlreiche Stilelemente Wiedererkennungseffekte an das Meisterwerk Jean-Pierre Jeunets auszunutzen. Nicht nur in Ausstattung und Musik finden sich stilistische Übereinstimmungen, vor allem die bezaubernde Schauspielerin Audrey Tautou in der Rolle der Angélique bietet ein hohes Assoziationspotential. Wenn sie mit ihren dunklen Kulleraugen in die Kamera lächelt, sich hinter den Bartresen stellt und dann mit dem Fahrrad durch sonnendurchflutete Straßen klappert, glaubt man Amelie in einem Fortsetzungsfilm zu erkennen. Bloß, daß sich dieser Unschuld vom Uni-Campus mit zunehmender Dauer des Films eine düstere Kehrseite hinzugesellt, lauern hinter dem lächelnden Mädchengesicht doch tiefe Abgründe.

Regisseurin Laetitia Colombani bietet in ihrem Debütfilm "Wahnsinnig verliebt" unterschiedliche Perspektiven auf ein Geschehen, zeigt uns dadurch die Begrenztheit der eigenen Alltags-Wahrnehmung. Dabei bleibt sie allerdings unentschlossen zwischen den Genres Liebesdrama, Krimi und schwarze Komödie, entscheidet sich für kein Sujet ausreichend und hinterläßt dadurch letztlich ein unbefriedigtes Gefühl. Dieser Eindruck wird verstärkt durch die enorme Zeit, die für die Erklärung der anfangs bewußt verheimlichten, clever und weit ausholend angelegten Drehbuchkonstrukte verbraucht wird, bis schließlich nur noch 20 Minuten für ein zu schnell erzähltes Finale übrigbleiben. Dennoch bietet "Wahnsinnig verliebt" ästhetisch reizvolle Aufnahmen, eine unterhaltsam und originell inszenierte Handlung sowie zahlreiche rührende Momente.


 
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