© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    36/02 30. August 2002

 
Schleichwerbung: Wie Werbekunden spielerisch ins TV-Programm gelangen
Warum Pelé Viagra nimmt
Wolfgang Scheidt

Auf zwei Reifen balancierend rasen Autos ins Bild, Stuntmen posieren für den Erlebnispark und Thomas Gottschalk greift grinsend in die Gummibärchen-Schüssel. Die Dramaturgie von "Wetten, dass...?" bestimmen längst Werbe- und Marketingstrategen, Deutschlands Premiumshow mutiert immer mehr zum Dauerwerbespot, findet Jan Isenbart vom privaten Werbezeitenvermarkter IP Deutschland. "Bei 'Big Brother' wurde schon kritisiert, daß man einen Blick auf die Wurstverpackung im Kühlschrank werfen konnte." Das ist lange her. Beim "Wetten, dass...?"-Open Air aus Paris wurden 10,3 Millionen TV-Zuschauer Zeugen einer raffinierten Verquickung von Werbung mit Programm: Location, Ticketing, Fahrdienst, Teamverpflegung, After Show Party und Gewinnspiel übernahmen fürs ZDF freundliche Kooperationspartner, die dafür ins Programm huschten. Nicht umsonst hat Gottschalk-Bruder Christoph laut Stern an einer Dissertation zum Thema "Verbotenes und erlaubtes Product-Placement im TV" gearbeitet. Überklebte Firmenlogos und programmliche Tabuzonen sind 'out', Förderung, Gemeinschaftsunternehmen und Product Placement à la James Bond dagegen 'in'. Eine Mammutproduktion wie "Wetten, dass...?", die pro Folge 1,4 Millionen Euro verschlingt, ist heute kaum zu finanzieren. "Die Fernsehsender versuchen, die Kosten zu minimieren und Gewinne zu maximieren", weiß Matthias Alefeld, Geschäftsführer der Agentur MA Media. "Dadurch rücken Werbetreibende immer näher oder sogar ins redaktionelle Programm."

Eine Viertel Milliarde Euro wurde vergangenes Jahr in Sonderwerbeformen investiert, von einer Werbeflaute spricht hier niemand. "Programmintegrierte Werbung gibt es im fiktionalen und redaktionellen Umfeld", so Alefeld. "Die Daily Soaps entstanden, weil Werbetreibende ein Programmumfeld bevorzugen, daß optimale Kaufanreize für ihre Produkte liefert." Beim "Programming" liefern Webekunden den Sendern gleich das fertige Programm frei Haus. Der Sender spart sich so die Produktionskosten, der Werbekunde bekommt im Gegenzug unentgeltlich Werbezeiten oder seine Produkte halten Einzug ins Programm. Der üppig gedeckte Frühstückstisch bei "Big Brother" und "Lindenstraße" sorgt dafür, daß Markenprodukte auch außerhalb des Werbeblocks präsent sind. Redaktionell gelangen Werbekunden über Ereignisse und Prominente in Nachrichten, Fernsehsendungen und Boulevardmagazine. Wenn Boris Becker eine bestimmte Automarke fährt, interessiert das seine Fans. "Die Sender berichten gerne über ein neues Automodell und attraktive Urlaubsziele, vor allem, wenn der Beitrag umsonst ist", verrät Alefeld. "Die Kunst ist, die Werbung spielerisch ins Programm zu integrieren."

Schleichwerbung ist laut Rundfunkstaatsvertrag tabu, Werbetreibende dürfen das Programm weder inhaltlich noch redaktionell beeinflussen. Theoretisch. "Zulässig ist jedoch die Erwähnung oder Darstellung von Produkten, wenn und soweit sie aus journalistischen oder künstlerischen Gründen zwingend erforderlich ist", verrät ZDF-Sprecher Walter Kehr. "Bei Filmproduktionen ist die Darstellung von Produkten häufig nicht zu vermeiden." Mit Split-Screen-Werbung, Titelpatronaten, Werbeuhren und Abspannspots verlassen die Unternehmen immer öfter die Werbeblock-Ghettos und plazieren sich im attraktiven Programmumfeld. Programmintegrierte Werbung ist emotionaler, glaubwürdiger und wird vom Zuschauer besser wahrgenommen, der Serienheld oder Moderator strahlt positiv auf das Produkt oder die Dienstleistung aus.

Die Landesmedienanstalten, die den privaten Rundfunk beaufsichtigen, sind meist machtlos: Zwar können sie Verstöße gegen das Schleichwerbeverbot mit einer Geldbuße von bis zu 500.000 Euro ahnden. Im Einzelfall ist jedoch kaum nachweisbar, daß die Werbung absichtlich gegen Entgelt oder ähnliche Gegenleistungen erfolgt und den TV-Zuschauer hinsichtlich ihres Werbecharakters irreführt. "Die Grauzone wird insbesondere im Bereich der Livesendungen und Reality-Formate oft erreicht, wenn nicht sogar überschritten", beobachtet Murad Erdemir, Justiziar der Hessischen Landesanstalt für privaten Rundfunk. "Insoweit werden die Landesmedienanstalten wohl auch in absehbarer Zeit im Bereich der Schleichwerbung nur an der Spitze des Eisbergs kratzen können." Scheinbar versehentlich erwähnte Waren- und Markenhinweise gehören zum Standardrepertoire vieler Talkshows, der Moderator entschuldigt sich obligatorisch mit der Bemerkung: "Ups, durfte ich das jetzt sagen, oder war das schon Schleichwerbung?" Selbst eklatante Beispiele für Schleichwerbung bleiben folgenlos, die Fernsehsender versuchen, die Programmverantwortung bei Werbeverstößen auf die Produktionsgesellschaften abzuschieben. Alexander Arnz, der in Paris zum letzten Mal bei "Wetten, dass....?" Regie führte, wünscht sich mehr Transparenz bei den Werbekooperationen. Der Grauzonenbereich wirkt nicht gerade vertrauensfördernd, die Sender riskieren ihre Glaubwürdigkeit - für eine Handvoll Euro. Die Werbezeitenvermarkter wünschen sich eine umfassende Deregulierung des Werberechts, auch der Bundesrat will den Privatsendern künftig mehr Flexibilität und Werbevolumen zubilligen. "Die gültigen Regeln bilden ein enges Korsett, das die zuschauerfreundliche Plazierung von Werbung oftmals eher verhindert, denn ermöglicht", konstatiert IP Deutschland-Sprecher Isenbart. "Wir haben mündige Zuschauer und Mediennutzer, die im Fernsehen, wie in jedem anderen Medium, sehr wohl selbst entscheiden können, welche Werbeformen sie ansprechen und welche nicht." Vom Programmangebot spricht er wohlweislich nicht.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen