© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    37/02 06. September 2002

 
Übung auf dem Schlachtfeld der Zukunft
Nahost I: US-Präventivkrieg gegen den Irak / Die Planungsphase ist bereits abgeschlossen / Kampf um Erdölreserven
Michael Wiesberg

In der Kontroverse um einen möglichen Präventivkrieg der USA gegen den Irak ist nun der UN-Sicher-heitsrat in den Blickpunkt gerückt. Dieser soll jetzt den Weg für einen Angriff der USA auf den Irak freimachen. Allgemein wird aber davon ausgegangen, daß ein solcher Beschlußantrag scheitern würde, stünde er in den nächsten Tagen zur Abstimmung.

Und die bisherigen Resolutionen reichten nach vorherrschender Meinung als völkerrechtliche Grundlage für die Entmachtung Präsident Saddam Husseins nicht aus, der nach Überzeugung der USA Massenvernichtungswaffen bauen läßt, mit denen er angeblich "die Welt" zu bedrohen beabsichtigt. Von den vier Mächten im Rat, die außer den USA mit ihrem Veto jeden Beschluß verhindern können, sind Rußland und China grundsätzlich gegen jedes militärische Eingreifen. Für Frankreich wäre ein Auftrag des Sicherheitsrates nötig, um die Kontrolle der Abrüstung im Irak mit Gewalt durchzusetzen. Großbritannien, der getreue Vasall der USA in Europa, hat unterdessen vorgeschlagen, Irak eine letzte Frist zu setzen, die Rüstungsinspektoren der Uno wieder ins Land zu lassen.

US-Vizepräsident Dick Cheney interessiert die Diskussion um die Rüstungsinspekteure nur noch marginal. Er hat in den letzten Tagen bei mehreren Gelegenheiten zu erkennen gegeben, daß er die Uno-Inspektionen für wirkungslos hält. Daraus folge die Notwendigkeit eines vorsorglichen Angriffes: "Die Risiken der Untätigkeit sind weitaus größer als die Risiken des Handelns." Es sei zu befürchten, daß der Irak nach wie vor in der Lage sei, Kernwaffen zu bauen. Der frühere US-Außenminister James Baker setzt auf das Mittel der moralischen Nötigung. Er plädierte für die Einschaltung des Uno-Sicherheitsrates, und sei es nur, um sich ins Recht zu setzen. Selbst wenn ein Antrag auf Intervention scheitere, bringe das moralische Vorteile für die USA. Die Kriegsverweigerer müßten dann mit der Schuld leben, "ein verbrecherisches Regime und die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen unterstützt" zu haben.

Während das Thema, wann und wie, und nicht mehr ob ein Krieg gegen den Irak geführt werden soll, die US-amerikanischen Medien beherrscht, schafft das US-Militär die technischen und logistischen Vorbereitungen für eine Invasion und Besetzung des Irak. Die tatsächlich getroffenen praktischen Vorbereitungen strafen die Behauptungen der Regierung Bush Lügen, es sei noch keine Entscheidung über einen Angriff gefallen. US-Medien zufolge sind inzwischen mehr als 100.000 amerikanische und britische Soldaten in der Region rund um das arabische Land stationiert. Am raschesten vollzieht sich der Aufmarsch der USA in der Türkei, wo die US-Truppen auf 25.000 Mann aufgestockt worden sind. Hält man sich die Position US-amerikanischer Streitkräfte im Mittleren Osten, Zentralasien und am Horn von Afrika vor Augen, wird die Schlinge erkennbar, die sich um Bagdad herum zusammenzieht.

Das ist bei weitem nicht alles: Am 19. August diesen Jahres berichtete die New York Times, daß die US-Air-Force in der ganzen Golfregion Waffen, Munition und Ersatzteile horte. Die Vorräte an präzisionsgelenkten Waffen, Bomben wie Raketen, die in Afghanistan zahlreich zum Einsatz gekommen wären, seien inzwischen wieder aufgefüllt worden.

Mitte August schloß das Pentagon sein bisher größtes militärisches Manöver ab, eine 250 Millionen Dollar teure Kriegssimulation, in der eine Invasion der USA in einem unbestimmten feindlichen Land am Persischen Golf geprobt wurde. Dieses Land soll laut US-Medien eine Kombination aus dem Irak und den Iran darstellen. An dem Manöver mit dem Namen "Millennium Challenge 2002", laut Spiegel-Online eine "Großübung auf dem Schlachtfeld der Zukunft", nahmen 13.500 Soldaten und Zivilisten teil. Sie operierten in neun Gebieten unter dem Einsatz von scharfer Munition in den USA und in mehr als einem Dutzend Computersimulationen.

Aber es sind nicht nur militärische Argumente, die darauf schließen lassen, daß die Amerikaner das Planungsstadium für einen Krieg gegen den Irak bereits hinter sich haben. US-Ölgesellschaften haben in den letzten fünf Monaten aufgrund der kriegerischen Rhetorik aus Washington ihren Import irakischen Öls stark gesenkt. Die US-Importe sind von einer Million Barrel pro Tag im letzten März auf 100.000 bis 200.000 Barrel pro Tag gesunken.

Im Jahr 2001 hatte der Irak noch einen Anteil von acht Prozent an den amerikanischen Ölimporten. US-Medienberichten zufolge soll ein Streit zwischen US-Ölgesellschaften und der irakischen Regierung über Preise die Ursache sein. Wahrscheinlich steht aber ein anderes Kalkül dahinter: Warum jetzt noch auf die irakischen Bedingungen eingehen, wenn man in der Zeit nach Saddam selbst die Bedingungen diktieren kann?

Parallel zu den Kriegsvorbereitungen gegen den Irak nimmt in US-Regierungskreisen die Zahl derer zu, die den bisherigen Erdöllieferanten Saudi-Arabien als neuen Feind der USA zu denunzieren trachten. Darüber sollten auch die derzeitigen Ergebenheitsadressen aus den USA in Richtung saudi-arabisches Königshaus nicht hinwegtäuschen. Beide Staaten erleben derzeit den größten Riß in ihren seit mehr als einem halben Jahrhundert währenden Beziehungen.

Ausgerechnet von einem renommierten Beratergremium des Pentagon, dem "Defence Policy Board", soll der einstige Freund Saudi-Arabien zum Feind erklärt worden sein. "Die Königsfamilie", so hatte ein Experte dieser Runde erklärt, "unterstützt unsere Feinde und greift unsere Verbündeten an."

Hintergrund sind die finanziellen Zuwendungen Riads für islamische Fundamentalisten. Das Ölreich sei deshalb der eigentliche "Kern des Bösen". Eine Sicht, die einiges für sich hat: schließlich stammten 15 der 19 Attentäter vom 11. September 2001 aus Saudi-Arabien. In Saudi-Arabien erleben die Fundamentalisten seit einiger Zeit Auftrieb. Der Golfkrieg um Kuwait, den Riad den USA mit fast 14 Milliarden Dollar mitfinanzieren mußte, sowie Mißwirtschaft haben selbst die einst so reichen Saudis ruiniert. Die Folge: die Untertanen müssen deutlich kürzer treten. Das Leben in Saudi-Arabien ist härter geworden. Ein idealer Nährboden für Islamisten - auch Osama bin Laden war ein Saudiaraber.

Damit bekommt das derzeitige Kettengerassel gegen den Irak einen ganz neuen Aspekt. Will man sich Saddam Husseins auch entledigen, damit in Zukunft der Irak - und das neue Erdöl-Eldorado rund um das Kaspische Meer - anstelle von Saudi-Arabien die Erdölversorgung der USA sicherstellt?


 
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