© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    37/02 06. September 2002

 
BLICK NACH OSTEN
Nationaler Stolz und ökonomisches Kalkül
Carl Gustaf Ströhm

Der kleine Ort Mlini liegt in Istrien hart an der sloweni-schen Grenze. Das will einer ihrer Bewohner nicht wahrhaben. Der Slowene Jozka Joras hat auf seinem in Kroatien liegenden Haus eine slowenische Fahne gehißt - und dazu die Inschrift angebracht: "Auch hier ist Slowenien."

Joras weigert sich, die Souveränität des kroatischen Staates über Haus und Dorf anzuerkennen. Er zahlt schon seit geraumer Zeit keinerlei Steuern oder Strafmandate an die kroatischen Behörden. Als sich die nichtgezahlten Beträge summierten, verhafteten ihn die Kroaten und brachten ihn ins Gefängnis nach Pula - eine Art Beugehaft. Der slowenische Außenminister Dmitri Rupel erklärte, der slowenische Staat werde für die Schulden aufkommen, aber Joras verbat sich das. Er trat in den Hungerstreik, was den kroatischen Behörden alles andere als angenehm ist. Joras ist nämlich Mitglied der Ratsversammlung der malerischen Küstenstadt Piran in Slowenien. Streng genommen ist er ein außerhalb Sloweniens lebender slowenischer Volksvertreter - aber das akzeptiert Joras nicht.

Der Fall Joras ist ein Mosaikstein im verworrenen Bild der slowenisch-kroatischen Beziehungen. Beide Nachbarnationen sagten sich von Jugoslawien los und errangen 1991 die Unabhängigkeit. Beide Völker sind nicht unähnlich - aber beide können einander im Grunde des Herzens nicht gut leiden.

Zur Zeit flammt zwischen beiden Staaten der Konflikt um den Golf von Piran an der nördlichen Adria auf. Slowenien besitzt südlich von Triest einen nur 35 Kilometer langen Zugang zum Meer. Das Unglück will es, daß Slowenien zwar ein Adria- und damit Mittelmeer-Anrainer ist, aber die bisherigen Seegrenzen sind so gezogen, daß die Republik nicht an internationale Gewässer, sondern auf See an italienische und kroatische Gewässer grenzt. Daher fordert die Laibacher Regierung einen "Korridor", der ihren Schiffen aus dem Hafen Koper (Capodistria) den freien Zugang zur offenen See ermöglicht.

Nicht zuletzt unter dem Druck von Nato und EU zeigte sich die Zagreber Linksregierung des Ministerpräsidenten Ivica Racan bereit, den slowenischen Wünschen weit entgegenzukommen. Racan verzichtete auf einen Teil der kroatischen Hoheitsrechte im Golf von Piran zugunsten Sloweniens. Aber der "Wendekommunist" hat die Rechnung ohne sein Parlament gemacht. Der kroatische Sabor weigerte sich, das von Racan und seinem slowenischen Amtskollegen Janez Drnovsek paraphierte Abkommen zu ratifizieren.

In Kroatien wird den Slowenen vorgeworfen, sie hätten beim Zerfall Jugoslawiens 1991, als sich Kroatien nicht wehren konnte, mehrere Gebietsstreifen, die eindeutig zu Kroatien gehörten, einfach besetzt und sich einverleibt - etwa den Berg Sveta Gera westlich von Zagreb. Die slowenische Zeitung Delo behauptet wiederum, die Kroaten würden sich "hinterlistig" Vorteile auf Kosten Sloweniens verschaffen. Im Golf von Piran ist inzwischen ein regelrechter Fischereikrieg zwischen slowenischen und kroatischen Fischern im Gange, die jeweils von bewaffneten Polizeibooten ihres jeweiligen Landes begleitet werden.

Der Vorsitzende des Fischereiverbandes für das nördliche (kroatische) Istrien, Danjele Kolec, erklärte dieser Tage nach einem Gespräch mit Premier Racan, es gebe nur zwei Möglichkeiten: entweder einen internationalen Schiedsspruch - oder Krieg. Das ist leider nicht so komisch, wie es zunächst erscheint - denn hier sind nationaler Stolz, aber zugleich auch Lebensinteressen im Spiel.


 
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