© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    37/02 06. September 2002

 
Mehr als Wiederaufbau erforderlich
Flutkatastrophe: Der neue Bundestag muß wichtige Grundsatzentscheidungen gegen die Regulierungswut treffen
Fritz Schenk

Die Bundestagsdebatte letzte Woche über die verheerende Flutkatastro-phe dieses Sommers hat dem entsprochen, was wir zur Zeit haben: Wahlkampf. Sowohl Bundeskanzler Gerhard Schröder in seiner Regierungserklärung als auch sein Herausforderer, der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef Edmund Stoiber, haben das jetzt Unumgängliche angesprochen und über die Sofortmaßnahmen keinen Disput ausbrechen lassen.

Auch ist an den Beschlüssen, die für die Linderung der unmittelbaren Not, für die Mindestanforderungen an eine auch nur einigermaßen geordnete Versorgung und für die Verhinderung noch größerer Schäden an betroffenen Einrichtungen aller Art sofort zu fassen waren, nichts zu kritisieren. Die Millionen, die jetzt zum größten Teil ohne Verzug bar ausgezahlt werden, müssen fließen. Sie sind, auf die Masse des Schadens bezogen, zunächst ohnehin nur der berühmte Tropfen auf den heißen Stein.

Selbst diese schnellen "Flickarbeiten" werden über den Wahltag am 22. September hinausgehen. Und wenn die Abwesenheit der Spitzenpolitiker von ihren Amtsstuben wegen des Wahlkampfes einen Vorteil haben könnte dann den, daß in diesen Wochen unabhängige Experten (hoffentlich ungestört und von ideologischen Vorgaben unbeeinflußt) zunächst eine umfassende Schadensbilanz und darauf aufbauend Konzepte für den Neubeginn erarbeiten.

Dabei wird gewiß die Reparatur der Infrastruktur im Vordergrund stehen müssen. 750 Kilometer Straßen und 180 Brücken sind zerstört, Wasserversorgung und Abwasserentsorgung sind teilweise irreparabel, allein 10.800 sächsische Betriebe sind von der Katastrophe betroffen, 40.000 Arbeitsplätze gefährdet. In Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern sind es zahlenmäßig weniger, aber wegen des dort geringeren industriellen Volumens ist das Problem auch dort nicht weniger ernst als in Sachsen.

Der Streit im Wahlkampf (wozu eben auch die Debatte im Bundestag gehörte) um die Finanzierung der zur Zeit auf sieben bis zehn Milliarden Euro geschätzten Sonderkosten dieser Katastrophe ist größtenteils Schattenboxen. Nimmt man die gewaltigen Reparaturen der Infrastruktur, so werden sie nach genauerer Prüfung sicherlich aus zwei Teilbereichen bestehen.

Der eine umfaßt tatsächlich nur Reparatur, der andere aber gewiß Neuauf- und -ausbau. Vieles kann nicht einfach nur wieder in den alten Zustand versetzt werden, weil sowohl Vorsorge für künftige Hochwasser getroffen werden muß, zumal auch ohnehin zweckmäßige Erweiterungen, Verstärkungen oder örtliche Verlegungen und Verbesserungen gegenüber dem bisherigen Stand ganz andere Baulichkeiten erfordern. Man denke nur an die total veralteten und verrotteten Deiche.

Die Oderflut von 1997 (verglichen mit dem jetzigen Hochwasser ein Minimalfall) kann da als Beispiel dienen, das heutige Oderbruch ist kaum mehr mit dem vor der Flut zu vergleichen. Diese über reine Reparaturen hinausgehenden Arbeiten und Kosten werden sich über Jahre erstrecken und müßten durch Verlagerungen und Umschichtungen über die ordentlichen öffentlichen Haushalte zu finanzieren sein. Das hat Westdeutschland seit Kriegsende gekonnt, und so werden andere marktwirtschaftliche Demokratien mit solchen außergewöhnlichen Ereignissen fertig.

Ein anderes Problem stellen die vielen schwer geschädigten Kleinbetriebe, Gewerbetreibenden, Dienstleister, privaten Hausbesitzer und Mieter dar. Sie sind zum großen Teil überschuldet und stehen vor dem Ruin. Das hat seine Ursache nicht zuletzt darin, daß sich die meisten nach der Wende (aus Unkenntnis und vielfach von den Banken leichtfertig überredet) auf zu kurzfristige und daher viel zu teure "normale" Bankkredite eingelassen haben. Ihnen muß durch Ent- und Umschuldungen auf langfristige Kredite und Hypotheken mit günstigen Zinsen und Tilgungsbefreiung in den ersten Jahren geholfen werden.

Hier sind viele Möglichkeiten über die Kreditanstalt für Wiederaufbau und die Landesentwicklungsbanken möglich. Diese Wege sind bisher durch die "Subventionskrankheit" der beiden ersten Aufbauprogramme Ost nur unzureichend genutzt worden.

Daher ist der Wahlkampfstreit darüber, wie viel der Staat - und ob er das nun über Sondersteuern, Aufschub oder Vorziehen der Steuerreform, Bundesbankgewinne oder über welche Wege auch immer - finanzieren soll, zu diesem Zeitpunkt Schattenboxen. Die Katastrophe wird wahrscheinlich den Prozeß der ohnehin unumgänglichen Reform unseres total überbordeten Regelungsstaates befördern. Insofern könnte die Katastrophe (so sarkastisch das zunächst klingen mag) erst jetzt den "Aufbau Ost" zu einem selbsttragenden Wirtschaftsaufschwung werden lassen.

Aber auch die andere Alternative darf nicht unterschlagen werden: Würde die Überwindung dieser furchtbaren Schäden wieder zuerst oder gar allein der staatlichen Administration übertragen werden, rissen die Fluten von Elbe und Mulde auch die gesamte deutsche Volkswirtschaft mit ins Verderben.

 

Fritz Schenk war von 1971 bis 1988 Co-Moderator, zuletzt Redaktionsleiter des ZDF-Magazins, danach bis zu seiner Pensionierung 1993 Chef vom Dienst der Chefredaktion des ZDF.


 
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