© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    37/02 06. September 2002

 
Vor dem Gesinnungstribunal
Meinungsfreiheit: In Frankreich soll das wütende Pamphlet von Oriana Fallaci verboten werden / Ein Pariser Gericht will im Oktober über sein endgültiges Schicksal entscheiden
Maurice Duplomb

La Rage et l'Orgeuil" ("Die Wut und der Stolz") - unter diesem Titel veröffentlichte der angesehene Pariser Verlag Plon am 22. Mai die französische Übersetzung von Oriana Fallacis Buch. Plon war Charles de Gaulles Verleger und gilt als konventionelles, staatskonformes Haus. Mittlerweile wird es von Olivier Orban geleitet und gehört dem Großkonzern Vivendi Universal.

Mit Fallacis Buch hat sich der Verlag Ärger eingehandelt. Am 10. Juni reichten die antirassistischen Organisationen MRAP (Bewegung gegen den Rassismus und für die Freundschaft zwischen den Völkern) und LICRA (Internationale Liga gegen Rassismus und Antisemitismus) Klage wegen "Aufhetzung zum Rassenhaß" gegen ihn ein. Die Liga für Menschenrechte schloß sich sofort an. Der Antrag auf Beschlagnahmung des Buches wurde am 21. Juni von dem für einstweilige Verfügungen zuständigen Gericht abgelehnt.

Die Klage kurbelte das Interesse der Käufer wie der Medien an. Jean-François Kahns Wochenblatt Marianne empörte sich über die Aussagen der italienischen Journalistin, und hier und da in der französischen Presselandschaft sprossen entrüstete Artikel aus dem Boden, die ihre "derbe Islamophobie" anprangerten. Einzig die Rechte fand sich bereit, der Meinungsfreiheit das Wort zu reden - Jean Madiran in der national-katholischen Tageszeitung Présent oder Joëlle Prieur in der Wochenschrift Minute.

Im Mittelpunkt dieser Kontroverse steht die Frage, was man noch sagen darf, ohne gegen die politische Korrektheit zu verstoßen und sich dem Ruf auszusetzen, fremdenfeindlich zu sein. Und die schwerwiegendere Frage, die daraus folgt: Über welche Völker und über welche Religionen kann man offen sprechen? In Frankreich wird das Recht auf freie Meinungsäußerung recht willkürlich gehandhabt. Zum einen gibt es das sogenannte Pleven-Gayssot-Gesetz, mit dessen Hilfe sich so ziemlich alles strafrechtlich verfolgen läßt.

Klage wegen "Aufhetzung zum Rassenhaß"

Als wäre das nicht genug, wachen die Medien wie ein ständiges Tribunal über die Gesinnung. Michel Houellebecq, dessen Roman "Plateforme" ("Plattform", DuMont, 2002) einige Tiraden gegen den Islam enthält, weiß davon genauso ein Lied zu singen wie Renaud Camus, der sich wegen dreißig "antisemitischen" Zeilen in seinem Buch "La Campagne de France" (Fayard, 2000) vor Gericht verantworten mußte. Bis heute hetzt Bernard-Henri Lévy in den Spalten von Point gegen ihn.

Dagegen ist man mit Oriana Fallaci vergleichsweise gnädig umgesprungen. Nicht zuletzt ist das wohl auf den 11. September und auf die Mobilmachung für den amerikanischen Kreuzzug gegen die "Achse des Bösen" zurückzuführen. Auch die Schützenhilfe des Publizisten Alexandre del Valle dürfte ihr nicht geschadet haben. Del Valle ist der Autor mehrerer Werke über die islamistische Bedrohung. Sein neues Buch, das sich derzeit im Druck befindet, soll den Titel "La Totalitarisme islamiste à l'assaut des démocraties" tragen: "Der islamistische Totalitarismus im Sturm auf die Demokratien". Seine derzeitige proamerikanische, proisraelische Haltung ist nur die neueste Etappe eines kurvenreichen Lebensweges. In der Sommerausgabe der Monatszeitschrift La Spectacle du Monde zeichnet del Valle für einen Artikel verantwortlich, der Fallaci inbrünstig verteidigt. Diese revanchierte sich, indem sie in Le Figaro gegen den Antisemitismus wetterte. Ein Fall von Instrumentalisierung?

Französischer Verleger weist Vorwürfe zurück

Bei den Apologeten des israelischen Vorgehens gegen die Palästinenser schlagen die Wogen der Leidenschaft immer höher. Das macht sich in einem zunehmend radikalen Sprachgebrauch bemerkbar, wie die Enthüllungen der Tageszeitung Le Monde bezüglich der Internetseite amisraelhai.com am 23. August zeigten. Unter dem Vorwand, gegen israelfeindliche Propaganda anzugehen, verbreitet diese Seite, die von französischen Bürgern gestaltet und vom Rat der jüdischen Institutionen in Frankreich (CRIF) empfohlen wird, einen Rassismus der widerwärtigsten Art, indem sie die Palästinenser als "déchets grouillant" bezeichnen, als Abschaum oder wimmelndes Ungeziefer.

So befremdlich stellt sich der Kontext dar, in dem Fallacis Buch sein Dasein fristet. Ihr französischer Verleger beteuert weiterhin seine Unschuld und weist jeden Vorwurf der Islamophobie weit von sich. Ein "Pamphlet" habe man veröffentlicht, das sich mit "J'Accuse", Emile Zolas offenem Brief zur Dreyfus-Affäre, vergleichen ließe. Nur 110.000 Exemplare des umstrittenen Buches sind bislang verkauft worden, weit weniger als in Italien. Sein endgültiges Schicksal soll am 19. Oktober vor dem Pariser Gericht entschieden werden.


 
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