© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    37/02 06. September 2002

 
Pankraz,
das Endprodukt und die Krise des Buchhandels

Ein deutscher Medienmanager redete auf einer Fachtagung viel von der "content division" seines Hauses. Man dürfe diese "content division" nicht vernachlässigen, führte er aus, schließlich stehe sie "am Anfang der Verwertungskette".

Pankraz verstand erst gar nicht, was der Mann eigentlich meinte. "Content" heißt im Englischen einiges, Zufriedenheit beispielsweise, Herzensfreude, aber auch streiten, ringen, auf einer Sache beharren. Gab es in dem Konzern vielleicht extra eine Abteilung für Herzensfreude, in der sich die Mitarbeiter gewissermaßen aufwärmen können, bevor sie sich ins harte Mediengeschäft stürzen? Oder handelt es sich im Gegenteil um eine Abteilung für Streitkultur, wo innerhäusliche Differenzen und Spannungen offen ausgetragen werden?

Schließlich wurde klar: Der Manager meinte die zwei, drei Buchverlage, die zu seinem Konzern gehören. "Content" heißt ja auch Inhalt, Rauminhalt, und in der Sicht des Managers waren die Buchverlage deshalb wichtig, weil sie den "Inhalt" liefern, der dann von den anderen "divisions" medienstrategisch ausgewertet wird. "Keine Form ohne Inhalt", konstatierte er mit charmantem Lächeln, "was wären wir ohne die fleißigen Schriftstellerinnen und Schriftsteller, unsere Inhaltslieferanten".

Form und Inhalt sind nun in der Tat schwer voneinander zu trennen. Aber versuchte der Manager nicht gerade dies? Schon der Gedanke, daß ein bei einem Buchverlag eingehendes Romanmanuskript von den Verlegern lediglich als Lieferant von "Inhalt" betrachtet und behandelt wird, kann einem Angstschauer über den Rücken jagen. "Inhalt" - das ist doch höchstens die simple Story in dem Manuskript (sofern eine da ist), der rote Handlungsfaden, die imaginierte Lokalität, das imaginierte historische Milieu. Einen Roman auf solche Punkte zu reduzieren, wäre doch die pure Barbarei.

Aber genau um solche Methoden geht es offenbar in Konzernen, in denen Buchverlage nur noch den Anfang von Verwertungsketten bilden. Die Form ist dort nicht mehr Teil des originalen Kunstwerks, sondern Verwertungsmoment, Wurstmaschine, in die das Original, das "Anfangsprodukt", gnadenlos hineingenudelt wird. Und die Intention des Originals verblaßt immer mehr, wandelt sich, je weiter das "Merchandising" voranschreitet.

Es gibt eine Menge Verwertungsspezialisten, Verwurstungsspezialisten, die es alle besser wissen als der originale Autor: Spezialisten für Film- und Fernseh-Versionen, für Musical-Versionen, für Comic-Versionen, für Kernsprüche und Aufdrucke auf Blusen oder Jeans-Hosenböden, für "konsumgerechte" Kürzungen und Übersetzungen usw. Alle diese Spezialisten sitzen in eigenen "divisions", die sich der "content division" vollkommen ebenbürtig, wenn nicht überlegen fühlen und die die ursprüngliche Absicht des eingesandten Manuskripts gegebenenfalls bis zur Unkenntlichkeit verändern.

Nun könnte es einem Autor von einiger Kaltblütigkeit, sollte man denken, ziemlich gleichgültig sein, was der Konzern alles mit seinem Roman anstellt, Hauptsache, er erscheint zunächst einmal in Original-Version und wird ordentlich unter die Leute gebracht und die Tantiemen aus den Zweit- und Drittverwertungen fließen kontinuierlich. Doch wer so denkt, hat auf alte, überholte Verhältnisse gebaut.

Es geht längst nicht mehr, wie früher, um mögliche und meistens hochwillkommene, einkommensfördernde Zweit- und Drittverwertungen, sondern das Original wird von vornherein und ausschließlich unter Verwertungsgesichtspunkten angelegt, und zwar nicht nur von dem redigierenden Erstlektor, sondern schon vom Autor selbst. Der Gedanke an die Verwertungskette, ans optimale "Merchandising", tritt an die Seite des Zensors. Man muß es leider so sagen: Immer mehr Schriftsteller empfinden sich nicht mehr als eigene Firma, als frei und fromm vor sich hin Schaffende, sondern als Teil der Verwertungskette - und richten sich danach.

Das ist betrüblich, auch für die, die sich keine Illusionen über den Glanz und die Chancen des freien Schriftstellers machen. Die große Mehrheit der Schreibenden (wie übrigens auch der Malenden, Meißelnden, Fiedelnden) stand schon immer in fremdbestimmten Verwertungs-Zusammenhängen, empfing Aufträge und führte sie aus, verbog sich und den eigenen Stil. Doch scheint inzwischen eine neue, bedrohliche (Un-) Qualität erreicht.

Die einzelnen Stile schleifen sich ab, so daß man sie kaum noch voneinander unterscheiden kann. Ein auf Massenkonsum und industrielle Vervielfältigung orientierter Einheitsstil setzt sich durch, ein Minimalstil, eine Art Hemingway zu drastisch herabgesetzten Preisen. Leitmedium ist nicht mehr die Literatur selbst, sondern das Fernsehen mit seinen heruntergekommendsten "Formaten": Werbespots, Talkshows, Pornoshows, Serienkrimis, in denen dauernd etwas in die Luft fliegt.

Vor allem aber: Das Urbild selbst nimmt irreparablen Schaden, jenes schöne Idealbild des frei und souverän operierenden Geistesarbeiters und Buchstabenfürsten, das seit der Renaissance den Aufstieg der bürgerlichen Gesellschaft begleitet hat und in dem jeder brave Bildungsbürger seine geheime Sehnsucht hegte und inkarniert sah. Und auch die Bilder der einst unverdrossenen Schriftsteller-Freunde und verläßlichen Gefährten schwinden: des großen, kulanten Verlegers, des unbestechlichen und dennoch bescheidenen Lektors, des kongenialen, einzig dem Urtext verpflichteten Übersetzers. Alle diese Gestalten treten nun ab.

Sie werden ersetzt durch "division chiefs", die nur noch an dem interessiert sind, "was hinten herauskommt", nicht mehr am Anfangsprodukt, sondern nur noch am Endprodukt. Das ist fatal. Und es ist wohl die eigentliche, die vielleicht letale Krise des Buchhandels.


 
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