© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    37/02 06. September 2002

 
Der Magus von Bensheim
Zum 80. Geburtstag des Lyrikers und Organisten Karl-Heinz Klein
Baal Müller

In seinem 1925 erschienenen harmonikalen Werk "Orpheus" forderte der Musiktheoretiker Hans Kayser eine Harmonik, die der "Wiedervereinigung des materiellen, seelischen, geistigen Lebens" des Menschen dienen sollte. Nicht zufällig erwachte das damalige, aus Musik und Architektur, Choreographie, bildender und filmischer Kunst sprechende Interesse an der pythagoräisch-platonischen Proportionenlehre in einer Zeit des technologischen und sozialen Umbruchs, der politischen, militärischen und ökonomischen Zerstörung aller überlieferten Lebensformen.

Einer, der die kosmische Harmonie und die irdisch-menschlichen Verwerfungen des zwanzigsten Jahrhunderts gleichermaßen intensiv erlebt hat, ist der Dichter und Musiker Karl-Heinz Klein. Der am 8. September 1922 in Bensheim Geborene erlernte zunächst, als Sproß einer alteingesessenen Uhrmacherfamilie, das väterliche Handwerk, wurde 1941 zum Militärdienst eingezogen und diente als Adjutant von Erwin Rommel bei den Feldzügen in Italien und Frankreich. Er erlebte den Sturz Mussolinis, die Republik von Saló und die amerikanische Invasion in der Normandie. Nach seiner Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft studierte er in Frankfurt Kirchenmusik und wurde Privatschüler von Helmut Walcha, mußte jedoch 1954, nach dem Tod des Vaters, die Leitung des 1838 gegründeten Familienbetriebs übernehmen und das im Krieg völlig zerstörte Fachgeschäft für Uhren, Optik und Schmuck wiederaufbauen. Sein früherer Gymnasiallehrer, der auch als Schriftsteller hervorgetretene Carl Mumm, führte ihn in den Dichterkreis der "Hesperiker" ein, in welchem er den späteren Büchner-Preisträger Ernst Kreuder und Hans Henny Jahnn kennenlernte. Klein vertiefte sich in abendländische Philosophie, östliche Mystik und insbesondere in die Werke von Bachofen, Klages, Meister Eckhart und Jacob Böhme.

Seit den siebziger Jahren entfaltet er als Lyriker ein reiches Schaffen, das um den, mit Bezug auf die antike Harmonik von ihm so genannten "trigonalen Ton" als Ausdruck kosmischen Zusammenklanges kreist: Unter seinem an italienische Vorfahren großmütterlicherseits angelehnten Pseudonym "Colombara" erscheinen 1971 "33 gedichte im trigonalen ton" sowie in den folgenden Jahren "neue gedichte", "gnosis in blau" und "phantasie in purpur". Vom Literaturbetrieb weitgehend unbeachtet, gewinnt er doch in elitären Zirkeln von Literaten, Musikern und Philosophen große Anerkennung und wird zum Ehrenmitglied der Jacob-Böhme-Gesellschaft ernannt. 1988 gründet er den Telesma-Verlag, in dem unter anderem seine "Schwebenden Rhythmen", zwei an der chinesischen Kunst der Parabel geschulte Prosabände "Imaginationen I und II" sowie Schriften Franz v. Baaders erschienen. Trotz ihrer esoterischen Thematik sind viele von Kleins Gedichten konkreten Landschaften, besonders des heimatlichen Odenwaldes, gewidmet, die ihn zu kosmischer Schau inspirieren: "wälder sind wie dankgesänge / münden in die lichtsequenz / in die fernenüberschwänge / in tellurische kadenz", lautet die letzte Strophe im ‚gesang an einen berg', der sich in einer 1990 unter dem Titel "lausche mein freund der wälder gesänge" veranstalteten Auswahl seiner Odenwald-Gedichte befindet. Als Ausdruck der ungebrochenen philosophischen Leidenschaft des Jubilars können die Verse aus seinem Gedicht "Aufbruch" gelten: "niemals kann das WANDERN enden / sterne geben das geleit / seelen sind in weltenwenden / fernerkoren und bereit." 


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen