© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    37/02 06. September 2002

 
Neue Technologien: Erdgipfel in Johannesburg
Die Kakerlake dürfte das anders sehen
Angelika Willig

Die "grüne" Gentechnik hat nichts mit grüner Politik zu tun, sondern betrifft die Pflanzen. Allerdings sind es hauptsächlich ökologisch Engagierte, die sich Gedanken um die Folgen machen. Während "rote" Themen wie Stammzellen und Klonen ganze Ethikdebatten vom Zaun brechen, läßt die schleichende Veränderung unserer Nutzpflanzen die meisten Lebensmittelkäufer kalt. Hauptsache, das Zeug ist billig und sieht frisch aus. Auch hat die Argumentation der Umweltschützer durch die neuen Zuchtmethoden im Labor keine neue Qualität gewonnen. Genau wie bei Kunstdünger, Pflanzenschutzmitteln oder Monokulturen geht es letztlich um die Gefahr für den Menschen. Keiner kommt auf die Idee, es verstieße gegen die "Tomatenwürde", wenn aus ihr inzwischen eine Art Gummikürbis geworden ist. Die Tomate ist eines der frühesten und häufigsten Opfer von Genschere und Genkleber, sozusagen der "grüne Embryo", aber keiner macht daraus eine Gewissensfrage. Interessiert ist der Mensch doch nur am Menschen, und das entspricht vollkommen der biologischen Vernunft.

Diese stimmt mit der Logik nicht immer überein. Sonst würden wir nicht einerseits über sieben Milliarden Menschen auf der Erde jammern, andererseits mit großem Scharfsinn neue Reissorten entwickeln, die mit Leichtigkeit noch einmal so viele ernähren sollen. Der Scharfsinn ist aufgesetzt, es regiert nach Lorenz die Arterhaltung oder in der Version von Richard Dawkins das "selbstsüchtige Gen". Wir haben, obwohl es höchst unvernünftig ist, mehr Interesse an der Verbreitung des menschlichen Genoms als an irgendeinem anderen. Deshalb sterben um die 20 000 Arten pro Jahr aus, was bei uns nicht mehr als ein flüchtiges Bedauern auslöst. Ökologie ist zwar vernünftig, erweckt aber keine Begeisterung, solange nicht Menschen betroffen sind, wie etwa bei der Atomkraft.

Mit vollem Ernst wird auf dem "Erdgipfel", der gerade in Johannesburg stattfindet, das Aussterben der Arten deshalb beklagt, weil mit jeder Spezies eine mögliche Quelle für die Entwicklung neuer Medikamente verlorengehe. Ähnlich würde eine Kakerlake die Renovierung deshalb bedauern, weil sie ihre Nahrungsquellen bedroht sieht. Man kann sich hineinversetzen und wird doch nicht leugnen, daß es wichtigere Aspekte gibt. Unsere Perspektive ist anthropozentrisch, und das drückt sich in den gentechnischen Anwendungen aus. In Johannesburg haben die EU-Länder das sogenannte Cartagena-Protokoll zum "Schutz der biologischen Vielfalt" unterzeichnet. Das ist ein bemerkenswerter Schritt über den Artenegoismus hinaus. Doch schon bilden sich Schlupflöcher. Transgene Baumsorten zum Beispiel, die der Holz- und Papierproduktion direkt in die Hände arbeiten, werden so manipuliert, daß sie keine Blüten bilden und angrenzende "echte" Wälder nicht anstecken. Denn der Mensch braucht am Wochenende seine "Naherholungsgebiete".


 
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